Alle wurden satt und es blieb noch übrig – 17. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 6
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
In jener Zeit,
35 als es schon spät war, traten die Jüngerinnen und Jünger zu Jesus und sagten: „Die Gegend ist einsam und es ist schon spät.
36 Schicke die Leute fort, damit sie zu den umliegenden Bauernhöfen und Dörfern gehen und sich etwas zu essen kaufen.“
37 Aber Jesus entgegnete ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Da sagten sie zu ihm: „Sollen wir weggehen, für 200 Denare Brot kaufen und ihnen zu essen geben?“
38 Da antwortete er ihnen: „Wie viele Brote habt ihr? Geht und seht nach!“ Als sie es herausgefunden hatten, sagten sie: „Fünf Brote und zwei Fische haben wir.“
39 Da befahl er ihnen, alle sollten sich niederlegen, in Tischgemeinschaften mitten auf der grünen Wiese.
40 Sie lagerten sich in Gruppen zu 100 und zu 50.
41 Da nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische, schaute zum Himmel empor, sprach den Brotsegen, brach die Brote auseinander und gab sie seinen Jüngerinnen und Jüngern, damit sie austeilen sollten. Die zwei Fische teilte er unter ihnen allen auf.
42 Alle aßen und wurden satt.
43 Es blieb sogar noch etwas übrig: zwölf Körbe voller Brotstücke und einiges von den Fischen.
44 Dabei betrug die Anzahl der Essenden 5000 Leute.

Autorin:
Passfoto A.R.Angela Repka, Offenbach, Literaturübersetzerin, verheiratet, zwei Söhne, drei Enkelkinder, Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische Tätigkeit in der Pfarrgemeinde

 
Die Predigt:
Alle wurden satt und es blieb noch übrig

Liebe Leserin, lieber Leser,
immer, wenn meine Mutter einen frischen Laib Brot für unsere Familie anschnitt, segnete sie ihn mit einem Kreuzzeichen. Sie wusste, was Brot wert war. Der Krieg, mit dem Hitlerdeutschland die Welt überzogen hatte, und auf den dann die Vertreibung von Millionen Deutschen aus dem Osten folgte, hatte es sie grausam gelehrt. Ihre eigene Mutter verhungerte bei diesem Exodus. Sie selbst war mit ihrer kleinen Tochter, die unterwegs laufen lernte, ganz allein auf sich gestellt. Von Hunger geschwächt, wäre sie am liebsten am Wegesrand liegen geblieben, aber die Sorge um das Kind ließ es nicht zu. Schließlich landete sie auf einem Bauernhof in Westfalen, wo man ihr ein abgelegenes Zimmer zuwies, in dem es nur ein Bett gab – und nachts Ratten. Von ihrem Essen gaben die Bauern den beiden nichts ab. Nur ein Schüsselchen mit Quark stand immer auf einem Türsturz, von dem sich meine Mutter in ihrer Not etwas wegnahm, wie eine Diebin. Ganz anders ein junger russischer Soldat, dem sie auf ihrem gefahrvollen Weg in einem Zug begegnet waren. Er schenkte der Kleinen verstohlen eine dicke Weißbrotstulle mit Marmelade, gab dem Kind des Feindes sein eigenes Brot. Diese Tat soll nicht vergessen werden.

Hunger kannten gewiss auch viele aus der im heutigen Evangelium erwähnten Menschenmenge, die Jesus mit ihren Nöten und Erwartungen ans andere Ufer des Sees von Galiläa gefolgt war. Kein Event, keine Idylle. Die Lage zahlreicher Menschen im damaligen Palästina war unter der römischen Besatzung prekär. Armut und Hunger trieb die Leute um und machte sie wütend, wie die Schweizer Theologin Luzia Sutter Rehmann den sozialen Hintergrund der Zeit Jesu beschreibt.* Hungeraufstände drohten und den Mord an Johannes dem Täufer bei einem Bankett des Königs, der im Markusevangelium der wunderbaren Brotvermehrung direkt vorausgeht, deutet sie als Versuch des Herrschers, die auf der Suche nach Nahrung rastlos umherirrenden, aufgebrachten Menschen einzuschüchtern.

Insgesamt sechsmal wird die Geschichte der Brotvermehrung in den Evangelien erzählt, jedes Mal mit einem anderen Akzent. Das Thema hat also ein großes Gewicht. Jesus fühlt sich beim Anblick der Menge zum Handeln gedrängt. Im Markusevangelium heißt es, dass ihn das Volk jammerte. Er hat tiefstes Mitgefühl, es nimmt ihn mit. Wenn die Heilszusage des gerechten Gottes glaubhaft sein soll, dann muss hier und jetzt etwas geschehen, was die göttliche Güte und Menschenfreundlichkeit erfahrbar werden lässt. Die Überlegung, Brot zu kaufen, bringt nicht die Lösung. Als ihm aber die im Moment einzig greifbaren Vorräte (sehr wahrscheinlich die eigenen der Jüngerinnen und Jünger) gereicht werden – fünf Gerstenbrote und zwei Fische -, kann Jesus den Anwesenden zeigen, worauf es ankommt: auf das Miteinander-Teilen. Nicht auf das Abgeben vom Überfluss von oben herab, wie es zu jener Zeit das ausschließliche Recht des römischen Kaisers war, der den Armen bisweilen Brot spendierte, um das Volk für sich einzunehmen und dadurch seine Macht zu stärken. Nein, das Letzte, was da ist, die besondere Gabe, die eine oder einer hat, muss uneigennützig, ohne Nebengedanken geteilt werden, um die machtvolle Dynamik der göttlichen Kraft ingangzusetzen.

Jesus segnet das Brot und die Fische, dann beginnt er zu teilen und alle tun es ihm gleich. Das Wunder geschieht: 5000 Menschen werden satt und es bleibt noch eine Menge Brot übrig. Denn wenn Gott im Spiel ist, herrscht kein Mangel, sondern ein Überfluss, der gute, gerechte Beziehungen schafft. Fülle des Lebens wird spürbar, Freude, Befreiung, Dankbarkeit. Von diesem Lebensbrot, das Leib und Seele nährt, darf nichts verloren gehen. In Körben wird es gesammelt und für den weiteren Bedarf aufbewahrt. Jesus sorgt selbst dafür. Und er entzieht sich der Menge, die ihn zum König machen will. Er lässt sich nicht vereinnahmen.

Wie anders geht unsere Wohlstandgesellschaft mit dem täglichen Brot um! Schätzungsweise mehr als ein Drittel aller käuflichen Lebensmittel, die andere dringend nötig hätten, wird weggeworfen. Etwa 800 Millionen Menschen hungern weltweit. Dagegen wollen Großkonzerne wie Monsanto mit genmanipuliertem Saatgut die Macht über das Brot an sich reißen. Auch wir sind involviert. Aus den Krisengebieten kommen Flüchtlinge zu uns, sofern sie überhaupt hierher durchkommen. Sie fliehen vor Krieg, Verfolgung, Armut und Perspektivlosigkeit aus ihren Heimatländern. Wir aber wollen sie nicht haben. Wir wollen nicht teilen, weil wir um den eigenen Wohlstand, um unsere Bequemlichkeit fürchten. Weil uns vielleicht zu wenig übrig bleiben könnte vom sauer Verdienten und wir einer anderen Logik folgen als der, die uns Jesus und viele prophetische Menschen im Vertrauen auf Gott vorgelebt haben.

Zugegeben, es ist nicht leicht, loszulassen und wirklich zu teilen, besonders nicht für die Reichen, für Wohlstandsbürger. Das hat einst schon Jesus betrübt oder auch zornig gemacht. Wir müssen jedoch nicht dabei stehen bleiben, sondern können ruhig klein anfangen. Es gibt ja schon so viele hilfsbereite Menschen, auch in unserem Land, auch in meiner Stadt. In unserer Pfarrgemeinde gibt es beispielsweise eine Initiative, die Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahrt und an Bedürftige verteilt. Ergänzend besteht ein Treff, wo mit Kaffee, Tee und etwas zum Knabbern ein freundlicher Rahmen der Begegnung angeboten wird. Alles ehrenamtlich und auf Spendenbasis. Inzwischen hat sich so etwas wie eine Gemeinschaft entwickelt, wo man sich kennt, Sorgen und kleine Freuden teilt und sich zuweilen gegenseitig unterstützt. Jedes Jahr veranstalten wir einen festlichen Erntedank-Brunch, zu dem auch Helfer und Helferinnen, Spender und Spenderinnen herzlich eingeladen sind. Viele Frauen bringen eine mit Liebe selbst zubereitete leckere Speise für das Büffet mit. Obwohl ihnen die Kosten für die Zutaten ersetzt werden können, damit niemand vom Mittun ausgeschlossen ist, wollen die meisten ihren Beitrag schenken. Von Herzen teilen sie das Wenige, das sie haben, und es entsteht Fülle – eine wunderbare Erfahrung, die satt macht und froh.
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* Luzia Sutter Rehmann, Hunger, Wut und Glaube, Publik-Forum Nr. 11/2015, S. 18-22

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