Weisheit im Denken, Fühlen und Handeln – 2. Sonntag nach Weihnachten

Erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach,Kapitel 24
– vollständige Fassung –
1 Die Weisheit lobt sich selbst, / sie rühmt sich bei ihrem Volk.
2 Sie öffnet ihren Mund in der Versammlung Gottes / und rühmt sich vor seinen Scharen:
3 Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor / und wie Nebel umhüllte ich die Erde.
4 Ich wohnte in den Höhen, / auf einer Wolkensäule stand mein Thron.
5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, / in der Tiefe des Abgrunds ging ich umher.
6 Über die Fluten des Meeres und über alles Land, / über alle Völker und Nationen hatte ich Macht.
7 Bei ihnen allen suchte ich einen Ort der Ruhe, / ein Volk, in dessen Land ich wohnen könnte.
8 Da gab der Schöpfer des Alls mir Befehl; / er, der mich schuf, wusste für mein Zelt eine Ruhestätte. Er sprach: In Jakob sollst du wohnen, / in Israel sollst du deinen Erbbesitz haben.
9 Vor der Zeit, am Anfang, hat er mich erschaffen / und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht.
10 Ich tat vor ihm Dienst im heiligen Zelt / und wurde dann auf dem Zion eingesetzt.
11 In der Stadt, die er ebenso liebt wie mich, fand ich Ruhe, / Jerusalem wurde mein Machtbereich.
12 Ich fasste Wurzel bei einem ruhmreichen Volk, / im Eigentum des Herrn, in seinem Erbbesitz.

Evangelium: Der Johannesprolog

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindeseelsorge, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Weisheit im Denken, Fühlen und Handeln

Liebe Leserin, lieber Leser,
wie viele Neujahrswünsche haben wir doch in den letzten Tagen ausgetauscht! „ Alles Gute“,“vor allem Gesundheit“, „komme gut durch das neue Jahr“ und so fort. Wie würde sich der folgende Neujahrswunsch für Sie anhören? „Ich wünsche Dir Weisheit in deinem Denken, Fühlen und Handeln.“ Ich habe es nicht ausprobiert, aber vermutlich würde dieser Wunsch Erstaunen hervorrufen, vielleicht aber auch Nachdenklichkeit.

Ich habe mir überlegt, wo in unserem Sprachgebrauch das Wort Weisheit überhaupt noch vorkommt und bin nur auf die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ gekommen, die jährlich der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ein Zeugnis ausstellen. Vermutlich werden sie deshalb „Weise“ genannt, weil sie die politischen Entscheidungen in einem größeren Zusammenhang sehen und voraussehbare Folgen mit bedenken. In der Kirche begegnen uns übermorgen die „Weisen aus dem Morgenland“, Sternenkundige mit großem Wissen und dem Mut, auf die Stimme des Herzens zu hören.

Was aber ist Weisheit? Sie zählt zu den Haupttugenden, ist also eine vorbildliche, erstrebenswerte Haltung und Eigenschaft, die die Folgen unserer Lebensführung im Blick hat:
– Weise denken bedeutet: viel mehr als Intelligenz, sondern ein weites und liebevolles Herzenswissen; Zusammenhänge sehen; Folgen abschätzen können; nicht alles für bare Münze nehmen; dem Pessimismus widerstehen; nicht vorschnell urteilen …
– Weise fühlen bedeutet: impulsiv sein, auf Eingebungen hören und trotzdem, nicht den spontanen Regungen nachgeben; die Kontrolle über sich selbst behalten; die eigene Mitte finden und sich selbst fühlen …
– Weise handeln bedeutet: nicht jeder Mode nachlaufen; einen langen Atem haben und geduldig sein; auf das eigene Gewissen und die eigene Erfahrung vertrauen; sein Bestes geben; mutig den eigenen Standpunkt verteidigen; Selbstdisziplin üben: öfter lieber schweigen als reden…
Weisheit wäre für so vieles in unserer Welt die Rettung. Darin sind sich wohl die meisten unserer Mitmenschen einig.

Für die Glaubenden ist sie eine Gabe, eine Geschenk der Heiligen Geistkraft:
In der Lesung aus dem ersten Testament begegnet uns die Weisheit Gottes als weibliche Person, als weibliche Seite Gottes. Am Anfang war die Weisheit, so hörten wir am Weihnachtstag und hören es auch heute wieder im Evangelium. In ihr ist das unermessliche ALLES bereits da. Gott in seiner Herrlichkeit und Macht ist so unvorstellbar viel größer als das Universum und das, was Menschen davon enträtseln können. Er hat die Menschen zur Freiheit berufen und schränkt ihre Freiheit nicht ein. Zugleich ist alle Vergangenheit und alle Zukunft in seinem unendlichen und liebevollen Wissen immer gegenwärtig.

Die Weisheit verbindet die Menschen mit Gott. Sie sagt in der heutigen Lesung von sich selbst, dass sie bei den Menschen ihr Zelt aufschlagen will. Sie will bei ihnen wohnen, sie führen, anleiten, sie mit ihrer Schönheit in den Bann ziehen. Sie will denen Nahrung geben, die nach ihr hungern und zu trinken denen, die durstig sind.(Vers 21) Der Schriftsteller Jesus Sirach wählt sogar an einer anderen Stelle das Bild: Sie ist für mich zur Amme geworden.(Kapitel 51,Vers 17)

Die Weisheit ist nicht unerreichbar. Auch wenn das Vertrauen in Gott und der Glaube sich oft verdunkeln, die Weisheit lässt sich von denen finden, die nach ihr suchen(Kap 51,26 und viele andere Stellen). Nach jüdischem Verständnis zeigt sie sich im Gesetz des Mose, in dichtester Form in den Zehn Geboten.

Deshalb möchte ich heute am Beginn des neuen Jahres versuchen, die zehn Gebote als Ausdruck der gütigen Führung und Leitung Gottes für unser Leben zu verstehen. Wir alle dürfen und müssen unser Leben selbst entwerfen und gestalten, ohne das Gerüst von Sitte und Tradition. Das macht uns aber auch frei, in den Traditionen viel Heilsames zu entdecken und es nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung von neuem anzunehmen, wie z.B. die zehn Gebote.

I. Keine Götter anerkennen, außer dem einen lebendigen Gott, der mich liebt, als wäre ich sein einziges Geschöpf – keinen anderen Menschen, nicht den Leistungsdruck, nicht die Gewinnmaximierung, nicht die Arbeitsverdichtung, nicht die Hektik… sondern widerstehen
II. Gott sein lassen, ihn nicht in Bilder, Formulierungen und Namen pressen
III. Den Namen Gottes heilig halten und ehren – anerkennen, dass es etwas Heiliges gibt, das so viel größer ist als ich selbst; wissen, dass jedes Leben von ihm her kommt und zu ihm zurückkehrt, dass nicht wir über das Leben verfügen dürfen
IV. Einen freien Tag in der Woche einhalten – einen Tag der Ruhe, an dem nicht gearbeitet wird; ein Tag zur Erholung – nach Meinung vieler Experten das beste Mittel gegen das verbreitete „Ausbrennen“
V. Die Eltern ehren – die eigenen Eltern, was auch immer an Belastendem gewesen sein mag, aber auch dafür Sorge tragen, dass in unserer Gesellschaft der Umgang mit den alten Menschen endlich gründlich bedacht wird.
In unserer Zeit müssten wir ergänzen: die Kinder ehren, denn kein Mensch darf Mittel zum Zweck sein. Die Kinder haben eigene Rechte, das Recht auf eine Kindheit. Sie dürfen nicht als Eigentum ihrer Eltern behandelt werden. Erwachsene Kinder haben das Recht auf ein eigenes Leben.
VI. Nicht töten – nicht mit Taten, nicht mit Gedanken, nicht mit Worten; niemanden mobben und verächtlich machen. Das Leben schützen.
VII. Die Ehe oder verbindliche Beziehung pflegen und achten – oft werden so schnell Beziehungen beendet, die uns den Raum gegeben hätten, an den Schwierigkeiten zu wachsen – wie viele Kinder bleiben im Niemandsland zwischen Mutter und Vater zurück! Wie viele Menschen sind im Alter aus diesem Grund allein.
VIII. Bei der Wahrheit bleiben; die Wahrheit suchen und sagen, in der Flut der sinnlosen Informationen
IX. Nicht stehlen: mir nichts aneignen, was jemand anderem gehört
X. Das Eigentum des anderen achten – mehr Gewicht auf das Sein legen, als auf das Haben – was brauchen wir wirklich? Dem Neid und der Geltungssucht widerstehen

Viel Stoff zum Nachdenken, Diskutieren, Annehmen, Ergänzen, je nachdem.
In Jesus Christus hat die göttliche Weisheit ihren vollkommensten Ausdruck gefunden. Er wollte das Gesetz ja nicht auflösen, sondern erfüllen. Wir alle können uns ihm öffnen und sein Licht in uns aufnehmen, damit wir weise werden. Amen
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siehe auch die Predigten zum 1.Weihnachtstag „Weisheit – Licht – Leben“, zum Dreifaltigkeitssonntag 2013 „Von der spielerischen Seite Gottes und der Menschen“ und „Wissen und Liebe“, zum Gedenktag der Hl. Hildegard 2014

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Eine Antwort auf Weisheit im Denken, Fühlen und Handeln – 2. Sonntag nach Weihnachten

  1. Kähny sagt:

    entsetzlich…
    bricht die Weisheit , wie schon so oft, bei Jakob ihr Zelt ab ?

    Wir wissen nicht.Die Weisheit weiss !

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