Wer bin ich und wer bin ich nicht? – Gaudete / 3. Adventssonntag B

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
6 Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes.
7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.
8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.
19 Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?,
20 bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias.
21 Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein.
22 Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst?
23 Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.
24 Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer.
25 Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet?
26 Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt
27 und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren.
28 Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.

Autorin:
PassbildSabine Mader, Pastoralreferentin, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, Klinikseelsorgerin im Klinikum Esslingen

 
Die Predigt:
Wer bin ich und wer bin ich nicht?

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wer bist Du?“ Die Frage lässt mich seit dem ersten Lesen zur Vorbereitung dieser Predigt nicht mehr los. „Wer bist Du?“ fragen Priester und Leviten Johannes, der durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit – im eigentlichen Sinn des Wortes – fragwürdig geworden ist. Es ist wichtig für jeden Menschen, für sich diese Frage beantworten zu können: „Wer bist Du?“ oder vielleicht eher: „Wer möchte ich sein?“, „Wen, möchte ich, dass die anderen in mir sehen?“ Nach dem Sich-Ausprobieren in der Jugend, so ist es in der Gesellschaft gefordert, sollte dann doch jede und jeder die eigene Rolle gefunden haben, wissen, was sie oder er vom Leben möchte, wer sie oder er sein möchte. Daraus wird viel an Sicherheit und Lebensqualität gewonnen, die eigene Rolle zu kennen und ausfüllen zu können.

Und dann geschehen Dinge, die Menschen vollkommen aus dieser Spur fallen lassen. Als Klinikseelsorgerin erlebe ich viele Menschen, deren Leben fragwürdig geworden ist. Eine schwere Krankheit zwingt sie, kürzer zu treten, nicht mehr schaffen zu können, von der fleißigen Geberin, vom tüchtigen Geber, zu einem Menschen zu werden, der sich nutzlos fühlt, der die Frage, „Wer bin ich“ nicht mehr wie gewohnt beantworten kann. „Ich bin nutzlos“, „ich bin eine Last“ wären dann mögliche Antworten, die tiefe Verunsicherung spüren lassen.

Aber auch andere Lebenskrisen, beruflich oder privat, lassen das Bild von sich selbst und damit das Selbstbewusstsein stark ins Wanken kommen. Wir kennen sie alle, diese Geschichten von menschlichen Abstürzen ins Bodenlose: die Frau, die nach dem Tod des Ehemannes vereinsamt und depressiv wird, der Mann, der nach seiner Entlassung zu trinken beginnt, die Alleinerziehende, die ihr Leben mit den Kindern nach der Scheidung nur mehr überfordert. Auf die Frage „Wer bist Du?“ gibt es für manche Menschen dann keine sinnstiftende Antwort mehr: Ich bin nur mehr halb ohne meinen Ehemann, ich bin nicht der erfolgreiche Abteilungsleiter, sondern ein Arbeitsloser, ich bin nicht mehr Teil einer glücklichen funktionierenden Ehe sondern eine gescheiterte, überforderte Alleinerziehende.

Auch bei Johannes ist es am Beginn eher ein Frage-Antwort-Spiel als ein klares Statement. Wahrscheinlich hat er die Erwartungen seiner Gegenüber gespürt, die gerne gehört hätten, dass er der Retter sei. So sind seine ersten Antworten eher Abgrenzungen: „Ich bin nicht der Messias, ich bin nicht Elija, ich bin nicht der Prophet.“ Doch die Frager lassen nicht locker: „Wer bist Du? Wir müssen Auskunft geben.“ Es erscheint mir so, als bräuchte auch Johannes diesen Umweg über die wichtigen Persönlichkeiten seiner Gesinnung, um dann doch ganz klar seine eigene Rolle definieren zu können, aus :“Ich bin nicht…“ wird schließlich ein: „Ich bin… Ich bin der, der auf ein Heilsgeschehen hinweist. Ich bin der, der seine Rolle in diesem Geschehen kennt“, auch wenn sie ihn selbst in der zweiten Reihe einordnet.

„Ich bin nicht mehr…“ ist ein Satz, den ich in verschiedenen Varianten oft am Krankenbett höre. Nicht mehr stark, bestimmend, mein Leben im Griff habend… Für mich ist das immer Trauerarbeit. Es ist schwer, sich von der gewohnten, Sinn stiftenden und Sicherheit gebenden Rolle zu lösen. Angst vor dem Ungewissen lässt verzweifeln. Aber das Aussprechen dessen, was man nicht oder nicht mehr ist, kann auch wie bei Johannes Sicherheit geben – es stellt hinein in eine liebgewordene Tradition. Es braucht das, zu wissen und zu akzeptieren, was man nicht mehr ist, um sich auf den Weg machen zu können, zu entdecken, was man noch sein kann.

Die Antwort des Johannes finde ich ungemein entlastend: er definiert sein Rolle nicht im Blick auf sich selbst, sondern verleiht seiner Rolle dadurch Sinn, dass sie auf einen verweist, der retten wird, und von dem er voll Vertrauen glaubt, dass er kommen wird. Vielleicht kann das eine Antwort für jede und jeden von uns sein, wenn die Frage: „Wer bin ich“ schwer zu beantworten ist. Vielleicht, wenn man schuldig geworden ist, und sich selbst nicht mehr ins Gesicht sehen kann. „Wer bin ich?“ Ein Mensch, der vor Gott auf Vergebung hofft. „Wer bin ich?“ Ein Mensch, der sein Leben nicht mehr alleine schafft und deshalb Hilfe, Trost und Begleitung braucht.

„Wer bin ich?“, wenn mein Leben fragwürdig geworden ist. Vielleicht braucht es da immer wieder Mutige unter uns, die zugeben, dass ihr Leben, ihre Rolle brüchig geworden sind und dass sie Hilfe brauchen bei der Antwort. Mutige, die die Verzweiflung nicht überspielen sondern den anderen die Möglichkeit zur Hilfe geben. Die Botschaft des Johannes ist eindeutig auch für uns da: er wird kommen, dieser Messias, um zu retten. Aber tief in der Verzweiflung, wenn man ganz unten ist, ist es oft kaum zu schaffen, von sich und seinem Elend weg zu sehen, auf den, der kommt. Ich wünsche uns allen diese Achtsamkeit miteinander, zu sehen, zu spüren, wenn jemand von uns an der Frage verzweifelt: „Wer bin ich?“ Und dass wir uns dann immer wieder gegenseitig zusagen können: „Du bist immer ein geliebtes Kind Gottes! Eines Gottes, der immer auf dem Weg zu Dir ist!“

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Eine Antwort auf Wer bin ich und wer bin ich nicht? – Gaudete / 3. Adventssonntag B

  1. Kähny sagt:

    Selbst (un-) sicherheit:

    Der Selbstwert scheint einerseits einem archaischen Lernprozess über Macht und Ohnmacht ausgesetzt.(Einzeller-Korallenstock,Herdentrieb,etc.).

    Andererseits ist so die aktuelle Debatte über Beziehungsethik eine wie immer auch geartete religiöse Debatte:

    Die evolutionäre Erkenntnis liegt darin,dass die Würde der Person nicht aus sich selbst („Selbstrecht/Faustrecht „) definierbar ist ,sondern nur über ein transzendental-göttliches Gegenüber :

    Naturrecht und Selbstwert sind dann nicht durch Leistung,etc.erworbenes, sondern geschenktes Recht (= Gnade).

    Erst Gnade und göttliche Barmherzigkeit machen – u.a. in Form von Leid – die von Johannes zu mir und meinem Schöpfer hin (!) geforderte Umkehr möglich .

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