Von Gottesliebe und Menschenliebe – 30. Sonntag im Jahreskreis A

– Übersetzung Bibel in gerechter Sprache
Erste Lesung aus dem Buch Exodus, Kapitel 22
20 Ansässige Fremde darft du nicht unterdrücken und schikanieren. Ihr seid doch auch Fremde in Ägypten gewesen.
21 Witwen und Waisen dürft ihr nicht ausbeuten.
22 Wenn du sie schlecht behandelst, dann werden sie mich anrufen und ich erhöre ganz gewiss ihr Klageschrei.
23 Ich werde dann wütend und erschlage euch mit dem Schwert. Eure Frauen mache ich zu Witwen und eure Kinder zu Waisen.
24 Wenn du einem bedürftigen Mitglied meiner Gemeinde Geld leihst, dann treibe keinen Wucher, gib es zinslos.
25 Nimmst du das Obergewand deines Mitmenschen zum Pfand, gib es ihm vor Sonnenuntergang zurück.
26 Es ist doch nachts seine einzige Decke, mit der er sich zudecken kann. Wie soll er sonst schlafen? Wenn er mich in der Not anruft, erhöre ich ihn; ich jedenfalls habe Mitleid mit ihm.

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 22
34 Als einige der pharisäischen Männer und Frauen hörten, dass Jesus die sadduzäischen Leute zum Schweigen gebracht hatte, versammelten sie sich;
35 Und einer von ihnen, ein Toralehrer, befragte ihn, um ihn auf die Probe zu stellen:
36 „Lehrer, welches Gebot in der Tora ist das größte?“
37 Er sagte zu ihm: „Du sollst Adonaj, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit deinem ganzen Leben und mit deinem ganzen Verstand lieben.
38 Das ist das große und erste Gebot.
39 Und das zweite ist ihm gleich: Du sollst deine Nächsten lieben wie dich selbst.
40 An diesen beiden Geboten hängt die ganze Tora und die Prophetie.“

Autorin:
Angela Repka Angela Repka, Offenbach, Literaturübersetzerin, verheiratet, zwei Söhne, drei Enkelkinder, Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische Tätigkeit in der Pfarrgemeinde

 
Die Predigt:
Von Gottesliebe und Menschenliebe

Liebe Leserin, lieber Leser,
in den Evangelientexten der vergangenen Sonntage hat sich Jesus vielen Fragen gestellt, selbst den verzwicktesten, die von Vertretern der geistlichen Elite seines Volkes, den Sadduzäern, den Schriftgelehrten und den Pharisäern, denen besonders die religiöse Alltagspraxis am Herzen lag, an ihn gerichtet wurden. Eigentlich nichts Außergewöhnliches in der damaligen jüdischen Lebenswelt. Aber wir spüren hier die Bedrohung, die hinter diesen speziellen Fragen steht. Bei ihrer Beantwortung könnte sich Jesus um Kopf und Kragen reden und schließlich der Gotteslästerung oder der Widersetzlichkeit gegen die römische Besatzungsmacht angeklagt werden. Jesus durchschaut das Spiel. Er ist aber nicht nur klug und zieht den Kopf aus der Schlinge. Mit seinem Verhalten und seinen Antworten entlarvt er die unredlichen Absichten der Fragesteller und gibt zugleich Rat und Orientierung.

Im heutigen Evangelium hören wir, dass Jesus die Sadduzäer bereits abgehängt hat. Die Pharisäer aber lassen nicht locker und besuchen ihn. Der Redestreit gipfelt in der Frage des Toralehrers, welches Gebot im Gesetz das wichtigste sei. Es geht um das Fundament des Glaubens und die Antwort wiegt schwer. Jesus beginnt mit dem ersten Gebot als dem wichtigsten, so wie es von jedem Menschen jüdischen Glaubens zu erwarten ist: „Du sollst Adonaj, deinen Gott, von ganzen Herzen, mit deinem ganzen Leben und mit deinem ganzen Verstand lieben.“ Doch er bleibt nicht dabei stehen und setzt das zweite Gebot „Du sollst deine Nächsten lieben wie dich selbst.“ dem ersten gleich. Er schmiedet die beiden Gebote untrennbar zusammen, so dass spätestens von nun an klar ist: Eines geht nicht ohne das andere. Ich kann Gott nicht lieben, ohne die Menschen zu lieben. Oder andersherum: Durch meine Liebe zu den Menschen und nur durch sie kann ich Gott lieben. Gottesliebe und Menschenliebe sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Dahinter können wir, zumindest als Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi, nicht mehr zurück.

Und das hat Folgen. So müssen wir uns – als Einzelne und als Gemeinschaft – fragen: Können Menschen, kann die Menschheit durch uns Gottesliebe erfahren? Und wie? Wer ist überhaupt meine Nächste, mein Nächster? Ist die Selbstliebe das Maß der Nächstenliebe? Und wenn ich mich selbst nicht annehmen kann, wo bleibe ich dann mit meiner Nächstenliebe? Dazu kommt noch die Feindesliebe, die Jesus von den Seinen verlangt. Fragen über Fragen…

Ich erinnere mich an eine Veranstaltung der katholischen Erwachsenenbildung, bei der wir mit der jüdischen Theologin Ruth Lapide über eben diese auch im Judentum immer noch sehr virulenten Fragen sprachen. Wer ist mein Nächster, meine Nächste? Sind das nur die Angehörigen meiner Familie, meines Volkes, meiner Glaubensgemeinschaft? Hier wurde von den TeilnehmerInnen die Geschichte des barmherzigen Samariters als beispielhaft erkannt: Menschen, die meine Hilfe und Solidarität brauchen, sind meine Nächsten und der Dienst am Nächsten ist hier der wichtigere Gottesdienst. Auch in der heutigen Lesung aus dem Buch Exodus wird über den Tellerrand hinausgeblickt: So spricht der Herr: Ansässige Fremde darft du nicht unterdrücken und schikanieren. Ihr seid doch auch Fremde in Ägypten gewesen (Ex 22,20 ) Die eigene leidvolle Erfahrung soll nicht verhärten, sondern zum Handeln aus Mitgefühl anregen

Zum zweiten Gebot gab Frau Lapide eine Übersetzungshilfe, nach der es dann lautete: Du sollst deinen Nächsten/deine Nächste lieben, denn er/sie ist wie du. Nämlich ein Mensch, geschaffen nach Gottes Ebenbild, mit der gleichen Würde, den gleichen Bedürfnissen, mit seinen Freuden und Nöten, seinen Schwächen und Stärken, wie du. Dies ist die Basis der Solidarität in Gottes Schöpfung, wo dem Menschen eine besondere Stellung und Verantwortlichkeit zukommt. Und hier öffnet sich auch ein Zugang zu den allgemeinen Menschenrechten.

Zum Thema Feindesliebe konnte Ruth Lapide als Jüdin ebenfalls Erhellendes beitragen. Bei der von vielen als masochistisch empfundenen Aufforderung Jesu, auch noch die andere Wange hinzuhalten, wenn dich einer auf die eine Backe schlägt, handele es sich um ein Missverständnis. Nach altem orientalischem Begrüßungsbrauch gäbe es nämlich eine Kuss- oder Grußwange und auf die dürfe nie geschlagen werden. Wenn dich also einer mit dem rechten Handrücken auf die rechte Wange schlägt – kein besonders fester, eher ein demütigender Schlag – , dann schlage nicht zurück, sondern halte die Kusswange zum Zeichen deiner Versöhnungsbereitschaft hin. Der Teufelskreis der Gewalt wird aktiv unterbrochen, Frieden wird möglich.

Die Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch, die Jesus leidenschaftlich gelebt hat und in die auch wir über seinen Tod hinaus hineingenommen sind, die Solidarität mit unseren Nächsten – besonders mit den Armen und Ausgegrenzten -, die Versöhnungsbereitschaft in einer Welt voller Unfrieden und Krieg sind Quellen der Hoffnung, aus denen wir inmitten aller Widrigkeiten leben können. Am heutigen Sonntag der Weltmission richtet sich der Blick zudem besonders auf die Nöte unserer Schwestern und Brüder in Pakistan, die wir als Kirche durch Gebet und materielle Unterstützung unter dem Motto Euer Kummer wird sich in Freude verwandeln. (Joh 16,20b) ermutigen wollen. Helfen wir mit, dass dieses Wort unter uns – ob hier, ob in Pakistan oder wo auch immer auf unserer Welt – kein leeres bleibt.

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3 Antworten auf Von Gottesliebe und Menschenliebe – 30. Sonntag im Jahreskreis A

  1. Kähny sagt:

    Macht und Ohnmacht…

    was fehlt sind nicht in jüdisch-christlicher Tradition eingetriebene Almosen für ferne „Prestigeprojekte“.
    Was fehlt ist ein an “ Jona und Ninive “ orientiertes Verhalten :
    der göttliche Auftrag zur Liebe SEINER geschundenen Schöpfung scheitert schon an SEINER (?) „verweltlichten“ Kirche.

  2. Armin Hänel sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    können Sie ein Email an Ruth Lapide weitergeben? Ich habe vor einiger Zeit in ein Sendung geschaltet in der Frau Lapide sagte, dass Gott nicht gewalttätig sei. So manche Bibelworte aus dem AT könnte man aber auch anders sehen, wenn beispielsweise das töten von Kindern, Frauen und Witwen von Gott beauftragt wird. Ein Freund von mir hat größte Glaubensprobleme bekommen, weil er den Gott der Liebe im AT so nicht erkennen kann.
    Falls Frau Lapide oder sonst wer helfen kann wäre das toll.

    Mit freundlichen Grüßen
    Armin Hänel

    • Angela Repka sagt:

      Sehr geehrter Herr Hänel,

      die Geschichte Gottes mit den Menschen, von der die Bibel Zeugnis ablegt, ist eine vielfältige Geschichte, die sich durch Zeiten und Lebenswelten zieht, die uns heute nicht so ohne weiteres zugänglich sind. Es ist auch heute keine einfache Geschichte und jede, jeder ist herausgefordert und eingeladen, eine eigene Antwort zu finden. Das AT ist die Geschichte der unverbrüchlichen Treue Gottes zu seinem Volk, wie dieses auch immer auf Irrwege gerät. Und Gott hat nicht zugelassen, dass Abraham seinen Sohn tötet, also ein Menschenopfer bringt. Die große biblische Vision ist ja, dass die Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, dass Frieden unter den Menschen und Völkern waltet. Bei Jesaja, auf den sich der Jesus der Evangelien bevorzugt bezieht, erfahren wir viel darüber.
      Das Thema, das Sie angeschnitten haben, ist groß und vielschichtig. Vielleicht können Sie über Bibel TV die nach meinen Recherchen noch immer in Frankfurt/M lebende Frau Ruth Lapide erreichen und Ihre Frage stellen. Im Internet sind übrigens viele interessante Gespräche von Frau Lapide mit dem Moderator Henning Röhl aufgezeichnet.
      Ihr Freund könnte sich mit seinen Fragen an eine geeignete Seelsorgerin oder Seelsorger in seiner Nähe wenden und in ein intensives persönliches Gespräch treten.
      Ich hoffe, dass ich Ihnen zumindest ein wenig weiterhelfen konnte.

      Mit freundlichen Grüßen
      Angela Repka

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