Eine Schwester oder einen Bruder zurückgewinnen – 23. Sonntag im Jahreskreis A

Erste Lesung aus dem Buch Ezechiel, Kapitel 33
So spricht der Herr:
7 Du aber, Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter; wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.
8 Wenn ich zu einem, der sich schuldig gemacht hat, sage: Du musst sterben!, und wenn du nicht redest und den Schuldigen nicht warnst, um ihn von seinem Weg abzubringen, dann wird der Schuldige seiner Sünde wegen sterben. Von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut.
9 Wenn du aber den Schuldigen vor seinem Weg gewarnt hast, damit er umkehrt, und wenn er dennoch auf seinem Weg nicht umkehrt, dann wird er seiner Sünde wegen sterben; du aber hast dein Leben gerettet.

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 18
aus: Das neue Testament. Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht. Rom 2008
Verantwortung füreinander
Jesus sprach zu seinen Jüngerinnen und Jüngern:
15 Wenn dein Bruder – und das gilt entsprechend für die Schwester – Unrecht getan hat, dann geh zu ihm und sag ihm, was er falsch gemacht hat. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
16 Will er davon nichts wissen, nimm einen oder zwei andere mit, und versucht es noch einmal gemeinsam, ihn zur Einsicht zu bringen.
17 Wenn er auch dann nicht hören will, bring den Fall vor die Gemeinde. Nimmt er selbst das Urteil der Gemeinde nicht an, dann behandle ihn wie einen, der ungläubig ist und von Gott nichts wissen will.
18 Ich versichere euch: Was ihr hier auf der Erde für verbindlich erklärt, das soll auch im Himmel verbindlich sein. Und was ihr auf der Erde für nicht verbindlich erklärt, das soll auch im Himmel nicht verbindlich sein.
19 Auch das versichere ich euch: Wenn zwei von euch wirklich eins sind auf Erden, dann mögen sie bitten, was sie wollen; mein Vater im Himmel wird es ihnen geben.
20 Denn wo zwei oder drei zusammenkommen und in der Liebe eins sind, da bin ich in ihrer Mitte.

Autorin:
wetzel-140x150Sabine Wetzel, Gemeindereferentin in der Seelsorgeeinheit Ailingen, Ettenkirch, Oberteuringen

 
Die Predigt:
Eine Schwester oder einen Bruder zurückgewinnen

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Es handelt sich um eine Methode der gewaltfreien Konfliktbearbeitung, um konstruktive Konfliktlösung mit Hilfe einer neutralen, dritten Person, bei der Win-win-Lösungen angestrebt werden.“ Soweit eine Definition, wie wir sie heute dafür finden können, wenn ein Konflikt entstanden ist, zum Beispiel dadurch, dass jemand Unrecht getan hat, und eine Konfliktlösung angestrebt wird. Es ist eine Definition für Mediation. (siehe:www.bmev.de)

Wir erkennen dieselben Verhaltensmuster zur Zeit des Propheten Ezechiel, zur Zeit Jesu und heute: Wo Menschen miteinander zu tun haben, kann es zu Konflikten kommen. Da bin ich immer wieder selber involviert, immer wieder selber die Auslöserin, ein andermal bin ich Außenstehende, Beobachterin. Jedoch: Dadurch, dass ich zur Beobachterin eines Konflikts oder eines Unrechts geworden bin, bin ich nicht mehr Außenstehende. Denn, nehme ich die heutigen Schriftlesungen ernst, muss ich zur Handelnden werden. Das gibt schon die Überschrift vor, die – außerhalb des originären Bibeltextes, rein als Verstehenshilfe – über diesen Absatz gestellt wurde: „Verantwortung füreinander“. Als Gesamtüberschrift über Matthäus, Kapitel 18, aus dem der heutige Text entnommen ist, steht „Über das Gemeindeleben“ – oder „Gemeinderegeln“.

Was bedeutet dann das heutige Evangelium für unsere Gemeinde, hier und jetzt? „Ausgangspunkt für ein Mediationsverfahren ist die Erkenntnis, dass Konfliktpartner fähig sind, die für sie akzeptable Lösung gemeinsam zu finden. Das setzt natürlich voraus, dass die Beteiligten wieder in ein Gespräch kommen, das konstruktiv ist, so dass alle Meinungen und Sichtweisen gehört werden.“ – so weiter in einer Erklärung zur Mediation. Zwar ist im Evangelium nicht von zwei Parteien die Rede, zwischen denen es zu einem Konflikt gekommen ist, sondern es wird lediglich von einer Person gesprochen, die Unrecht tut, aber beim ersten Durchlesen des Bibeltextes kam mir gleich die Assoziation zur Mediation, da eben viel Unrecht im direkten Umgang zwischen Menschen geschieht. Wenn ich solches Unrecht beobachte, bin ich also aufgefordert zu handeln. Dabei ist sicher in jeder Situation zuerst zu klären: ist hier tatsächlich Unrecht geschehen?

Die Einheitsübersetzung spricht von „Sünde“, die das Eingreifen einfordert. Es müsste also zuerst geklärt werden, ob eine Sünde begangen wurde. Wollten wir jetzt überlegen, was Sünde ist, wären wir in einer großen theologischen Erörterung darüber, die hier fehl am Platze ist, weshalb ich mich auf „Unrecht“ beschränken will, so, wie wir es mit unserem gesunden christlichen Menschenverstand beurteilen können. Und dann wird hier also ein jegliches Gemeindemitglied – nicht nur Richter oder sonstige Amtsträger – ein jegliches Gemeindemitglied wird aufgefordert, den oder die unrecht Handelnden zur Umkehr zu bewegen, zur Konfliktlösung, zur Wiederherstellung der Gemeinschaft. Und das in einem abgestuften Verfahren, das uns einleuchtet.

Zuerst das Vieraugenprinzip: im kleinen Rahmen, als vertrauensbildende Maßnahme; nicht das Gegenüber vor anderen bloßstellen wollen. Denn damit würde wohl nur die nächste Eskalationsstufe erreicht werden. Sondern im wohlwollenden – aber ehrlichen – Gespräch versuchen, ihm zu einem guten Weg zu verhelfen. Und dazu ist keine Mediatorenausbildung nötig. Eine Fachkraft kann dort sinnvoll und nötig sein, wenn in Gremien oder zum Beispiel im Arbeitsleben ein Konflikt schon so weit eskaliert ist, dass viele bisherigen Versuche der Konfliktlösung schon gescheitert sind. Was hingegen nötig ist, ist sicher Zivilcourage. Denn solch ein Eingreifen fordert Mut. Und steht immer in der Spannung zum Helferkomplex, zu einem Drang zum Erziehenwollen – oder sich möglicherweise selbst in Gefahr zu bringen. Langfristig sinnvoll ist sicher nicht ein Erziehenwollen, sondern die Erkenntnis und Einsicht, die eigene Lösungsfindung der Konfliktpartner.

Und dann, wenn’s im kleinen Rahmen zu keiner Lösung kam, soll der Kreis derer, die nach einer Konfliktlösung suchen, erweitert werden. Ich selbst habe von solch einem Verfahren am Rande mitbekommen, als ich einige Zeit in einem kleinen Dorf in Namibia mitgelebt habe. Ein Gemeindemitglied hatte mich bezüglich einer Unrechtshandlung einer Person angesprochen und aus der Darstellung habe ich nachvollziehen können, dass eben dieses Verfahren in der Dorfgemeinschaft angewandt wurde. Hier war spürbar: Wenn in einer – kleinen – Gemeinschaft einer Unrecht tut, so wirkt sich das auf die gesamte Gemeinschaft aus. Negativ natürlich. Darum sind alle in der Gemeinschaft aufgefordert, den Konflikt zu lösen, damit die Gemeinschaft nicht insgesamt zerbricht. Schließlich, so habe ich gelesen, ist der zeitliche – oder dauernde – Ausschluss aus der Gemeinschaft die ultima ratio, der letztmögliche Weg. Aus dem Arbeitsleben ist uns dies bekannt: Vorstufen von Ermahnung, Abmahnung, jeweils mit der Möglichkeit der Besserung, und nur als ultima ratio die Kündigung, der Ausschluss.

Im Evangelium geht es aber nicht nur um irgendwelche kleine Gemeinschaften, die mit uns nichts zu tun haben, da wir ja in einem großen Ort, in einer großen Gemeinde leben, wo viele einander nicht kennen und somit nicht auf eine intakte Gemeinschaft angewiesen sind, nach dem Motto: was geht mich der Streit meiner Mitmenschen an, da weich ich lieber aus, da misch ich mich nicht ein. Es geht auch nicht um die Aufgaben von Personalverantwortlichen in Firmen, die für ein gutes Betriebsklima verantwortlich sind, damit produktiv gearbeitet werden kann. Jesu Botschaft meint jede und jeden von uns, jeden Tag.

Wir kennen ja die Redewendung: „Jeden Tag ein gutes Werk“. Lassen wir uns einladen, jeden Tag – oder eben immer, wenn wir eine solche Unrechtssituation erkennen – nicht wegzuschauen, sondern Jesu Aufforderung nachzukommen: diejenige und denjenigen, der Unrecht getan hat, als Schwester und Bruder zurückzugewinnen. Zurückzugewinnen für die Gemeinschaft untereinander und die Gemeinschaft mit Gott. Ein Satz des Evangeliums ist mir in diesem Zusammenhang nochmal neu bewusst geworden: Wo zwei oder drei zusammenkommen und in der Liebe eins sind, wenn zwei von euch wirklich eins sind auf Erden, dann mögen sie bitten, was sie wollen; mein Vater im Himmel wird es ihnen geben.Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen kommen nicht als eigene Beruhigung in einem kleinen Kreis, wenn es schade ist, dass nicht mehr zusammengekommen sind, ob bei einem Bibelabend, einem Schülergottesdienst oder einem interessanten Vortrag zu einem religiösen Thema. Sondern: wenn ich mich im Vieraugengespräch oder in einem erweiterten Kreis um eine Konfliktlösung bemühe – kann es sein, dass das Gebet von zwei oder drei um einen guten Weg dazu helfen kann, dass dann Gott das Seine tut, dass alle wieder eine Gemeinschaft sein können? Jesus lädt uns zu diesem Gebet ein!

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Eine Antwort auf Eine Schwester oder einen Bruder zurückgewinnen – 23. Sonntag im Jahreskreis A

  1. Kähny sagt:

    Die Theologen Ezechiel und Matthäus (in Jesu Namen !) schlagen ein archaisches Konfliktlösungsmodell vor,das bis heute Bestand hat,und mit welchem -nicht nur- die Theologie/Kirche viel Unrecht und Schaden angerichtet hat: siehe (ua.) die „Bitten um Entschuldigung “ der letzten Päpste…

    Nein- Theologen,Politiker,Chefs,Gemeinschaft und Zeitgeist können irren !
    Somit wird der letzte Satz der Predigt der wichtigste:
    „Jesus lädt (-nicht nur,aber gerade im Konfliktfall-) ein zum Gebet “ :

    ER allein weiss.ER allein ist es , der „löst“ und/oder „bindet“…!

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