Geborgen in der felsenfesten Liebe Gottes – 12. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 10
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln:
26 Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird.
27 Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.
28 Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.
29 Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.
30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
31 Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.
32 Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.
33 Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.

Autorin:
C-Bettin-komprimiert-200x300Christina Bettin, Gemeindereferentin in der Gemeinschaft der Gemeinden Mönchengladbach – Süd im Bistum Aachen

 
Die Predigt:
Geborgen in der felsenfesten Liebe Gottes

Liebe Leserin, lieber Leser,
in der Bibel kommt ziemlich häufig der Ausspruch „Fürchte dich nicht!“ bzw. „Fürchtet euch nicht!“ vor, allein im Neuen Testament 34-mal. Bei solch einer Häufung können wir davon ausgehen, dass es sich um etwas Wichtiges, Bedeutsames handelt. Wenn Jesus es sagt, klingt es sogar so wie ein roter Faden, der sich durch seine Botschaft zieht, wie ein Lebensthema.

Der heutige Abschnitt des Matthäusevangeliums steht im Zusammenhang mit der Aussendungsrede. Das heißt, Jesus gibt seinen Jüngern dabei Wichtiges mit auf den Weg. Es handelt sich gleichsam um sein Rüstzeug, sein Vermächtnis für sie. Dieses „Fürchtet euch nicht!“ zeugt von der Erfahrung, dass eben viele Menschen mit denen Jesus zu tun hatte, in ihren Grundfesten erschüttert waren und als Grundhaltung Ängste hatten. Solche Menschen haben es existentiell nötig, Verlässlichkeit und Vertrauen zugesprochen zu bekommen. Eine Urangst statt eines Urvertrauens in diese Welt, in die Menschen und Beziehungen und in Gott zu haben, ist etwas nachhaltig negativ Lebensprägendes. Ständig mit Unsicherheiten, Sorgen und Angst durchs Leben zu gehen, verhindert die freie Persönlichkeitsentwicklung. Instinktive Fluchttendenzen sind dann das typische Verhaltensmuster: Immer in „Hab-Acht-Stellung“, immer auf dem Sprung und innerem Rückzug, permanent damit rechnend, dass etwas Schlimmes passieren wird, die Katastrophe über mich hereinbricht, der ich schutzlos ausgeliefert bin.

In solche Situationen und leidvolle menschliche Grundhaltungen spricht Jesus sein „Fürchtet euch nicht!“ Es ist im heutigen Evangelium gleich dreimal zu hören und richtiger Balsam für die Seele! Es ermutigt die Jünger zu ihrem Tun, zum Aufbruch in die Welt, zum Verkünden und zum Heilen.

Doch wie „erlernen“ oder entwickeln wir normalerweise gesundes Urvertrauen? Die Entwicklungspsychologie lehrt uns, dass Menschen schon in ihrer frühesten Kindheit emotional geprägt werden. Wenn sie in den ersten drei Jahren verlässliche Bezugspersonen, Fürsorge und Liebe erfahren haben, haben sie gute Voraussetzungen sich zu hoffnungsfrohen, positiv denkenden, stabilen Persönlichkeiten zu entfalten. Ist dies allerdings nicht der Fall, sind die Bedingungen zur Entfaltung erheblich erschwert, manches wird verzögert oder gar verhindert.

Durch die Häufung von „Fürchtet euch nicht!“ wird deutlich, dass es Jesus wirklich ein wichtiges Herzensanliegen ist. Er möchte, dass seine Freundinnen und Freunde und alle Menschen, die Chance haben, sich als gefestigte Persönlichkeiten zu entwickeln, getragen durch eine verlässliche und vertrauensvolle Bezugsperson, von Gott. In dieser Beziehung soll nichts durch Ängste getrübt oder belastet sein. Jesus predigt und lebt vielmehr einen liebevollen, erbarmenden Gott, der eben nicht zum Fürchten ist, oder auf den man mit Schrecken und Fluchtgedanken reagieren müsste. – Leider ist das bis ins letzte Jahrhundert hinein von der Kirche oftmals anders gepredigt worden. Gläubige wurden im Namen Gottes eingeschüchtert, kleingehalten und kamen so nicht zu ihrer persönlichen Entfaltung. In vielen Köpfen regierte ein strafendes Gottesbild. Hier ist wirklich viel Missbrauch getrieben und erheblicher Schaden angerichtet worden. Wir beklagen das bis in heutige Generationen hinein und müssen noch viel häufiger als in der Bibel das „Fürchtet euch nicht!“ dagegensetzen, um an Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Zum Glück prägen uns in unseren frühen Kinderjahren nicht in allererster Linie die Priester und Prediger, sondern vielmehr unsere Erstbezugspersonen, unsere Eltern und besonders unsere Mütter. Ich kann sagen: Mit dem, was meine Mutter mir mitgegeben hat, hatte ich großes Glück! Und es hat mich nachhaltig geprägt. – Das Lebensthema meiner Mutter und ihr Vermächtnis sind mir besonders klar vor Augen, weil ich mir in den letzten Wochen sehr viele Gedanken darüber gemacht habe. Meine Mutter ist in diesem Mai 78jährig verstorben. Meine Mutter ist ein Kriegskind gewesen und hat viele, viele Bombennächte im Luftschutzkeller in Berlin erlebt. Davon hat sie mir in meiner Kinderzeit häufig erzählt und das entscheidende Wort, das davon bei mir hängengeblieben ist, war: „Gottvertrauen!“ – Ihre eindringlichen Schilderungen vom Fliegeralarm, Sirenengeheul, Motorengedröhne und Detonationen, haben ein furchtbar erschreckendes Szenario vor meinem geistigen Auge gezeichnet; und doch war das nachhaltige Gefühl „Gottvertrauen“. Das war viel, viel größer und trug durch alle Schrecken hindurch. Es war dermaßen eindringlich, dass es auch für mich wesentlich prägend war, dass ich es für mein Leben übernommen habe als unerschütterlich, tragenden Urgrund. „Gottvertrauen!“ Die Zuversicht und Gewissheit, dass mir im letzten nichts passieren kann, ich eingetragen, aufgehoben, geborgen bin in der verlässlichen, felsenfesten Liebe Gottes. – Ich bin froh und dankbar, dass ich ein solches Vermächtnis von meiner Mutter mitbekommen habe. Es deckt sich für mich so wunderbar mit dem „Fürchtet euch nicht!“ Jesu.

Diese Worte nehmen nicht das Grauen aus der Welt. Diese Worte schützen mich nicht vor schrecklichen Widerfahrnissen. Doch diese Worte stabilisieren mich zu einer Grundhaltung, die mich ohne unangemessene Fluchtgedanken durch das Leben gehen lässt. Diese Grundhaltung verbreitet Zuversicht und Hoffnung, die Hoffnung, dass im Letzten alles gut wird und das Leben stärker ist als aller Tod. Dass wir über alle Maßen getragen sind von Gottes verlässlicher Liebe.

Vielleicht ermuntert Sie dieser Gedanke, sich auf die Spur Ihres eigenen Lebensthemas zu machen. Und dazu wünsche ich Ihnen ein Mut machendes: „Fürchtet euch nicht!“

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Eine Antwort auf Geborgen in der felsenfesten Liebe Gottes – 12. Sonntag im Jahreskreis A

  1. W. sagt:

    Auch ich verdanke meiner Mutter in Bezug auf meinen Glauben den Mut, gegen den Strom zu schwimmen und mich nicht vor Verurteilungen seitens der Amtskirche zu fürchten. Ohne sie hätte ich die Kirche sicherlich sehr früh verlassen. Ich hoffe, dass meine Kinder auch so über mich urteilen und nicht nach meinem Tod die Kirche verlassen, wie ich es bei denBrüdern meines Mannes erlebt habe. Ich bin zwar oft in der Kirche verletzt worden, aber das Fürchten habe ich, Gott sei Dank, nicht gelernt.
    Vielen Dank für die Erinnerung an unsere furchtlosen Mütter.

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