Offensichtlich und geheimnisvoll – 6. Sonntag im Jahreskreis A

Erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach, Kapitel 15
15 Gott gab dem Menschen seine Gebote und Vorschriften. / Wenn du willst, kannst du das Gebot halten; / Gottes Willen zu tun ist Treue.
16 Feuer und Wasser sind vor dich hingestellt; / streck deine Hände aus nach dem, was dir gefällt.
17 Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; / was er begehrt, wird ihm zuteil.
18 Überreich ist die Weisheit des Herrn; / stark und mächtig ist er und sieht alles.
19 Die Augen Gottes schauen auf das Tun des Menschen, / er kennt alle seine Taten.
20 Keinem gebietet er zu sündigen / und die Betrüger unterstützt er nicht.

Zweite Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther, Kapitel 2
Schwestern und Brüder! 6 Wir verkündigen Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die einst entmachtet werden.
7 Vielmehr verkündigen wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung.
8 Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
9 Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.
10 Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.

Autorin:
scale-210-210-12_25508028_2Maria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen, stellvertretende geistliche Leiterin der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung)

 
Die Predigt:
Offensichtlich und geheimnisvoll

Liebe Leserin, lieber Leser,
welche Antwort geben Sie auf die Frage „Was ist Glück“?
Klingt Ihnen das berühmte Sprichwort im Ohr „Jeder ist seines Glückes Schmied“, das individuelle Freiheitsrecht, nach Glück zu streben? Oder die „sechs Richtigen im Lotto“? Manche würden Glück eher so umschreiben: Freude am Gelingen, unerwartet Geschenktes, sorgloses Genießen, gutes Miteinander, Genugtuung nach einer erfüllten Aufgabe, einfaches Dasein, eine Entscheidung im richtigen Moment, mit sich und der Welt im Einklang sein.

Vom Mittelhochdeutschen gelücke her bedeutet Glück die Art wie etwas endet/gut ausgeht. So formuliere ich die Frage neu: was in ihrem Leben bezeichnen Sie als geglückt? Die Frage bekommt eine andere Färbung; es geht im Rückblick um Lebensdeutung. Vielleicht spielt bei der Beantwortung dieser Frage eine Rolle, was Viktor Frankl, Begründer der Logotherapie, die Fähigkeit zur selbständigen Sinnfindung nennt. Die persönliche Fähigkeit, dem eigenen Leben in seiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit Sinn zu entnehmen.

Beide biblischen Texte der heutigen Lesungen würden wohl auf die Frage nach Glück antworten, es finde sich darin, die Weisheit Gottes zu leben. Der erste Text betont die Willenskraft. Diese muss ich aufbringen. Was zu tun ist, wird als allgemein bekannt vorausgesetzt. Gebote befolgen! Der zweite Text, schreibt von Geheimnis und Erkenntnis. Die Weisheit Gottes verbirgt sich vor der Welt der „Reichen und Schönen“.

Diese Trennung kennt der erste Text nicht. Leben ist Leben in der einen Welt. Macht und Gottesfurcht schließen sich nicht zwangsläufig aus. Vielmehr wird im ersten Testament in den Büchern Samuel ausführlich geschildert, wie viel Mühe weise Männer darauf verwandten, die Könige Saul und David dazu zu bringen, den Gesetzen JHWEs treu zu bleiben.

Ganz anders die Situation in Korinth. In der Gesellschaft gelten andere Gesetze. Kultur und Denken sind von den Griechen geprägt. Machtzentrum ist Rom. Die Unterscheidung in Weisheit dieser Welt und verborgene Weisheit Gottes klingt zunächst nach Spaltung. Wer sein Glück in Gottes Weisheit sucht, kann es nicht in dieser Welt finden. Das Große bleibt verborgen.

Und heute? Ist es ein Wichtigmachen angesichts gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit? Wenn ich schon in der Welt nichts gelte, suche ich meine Bedeutung im geheimnisvollen Gott, der ganz anders ist? „Das Glück sucht uns an einem andern Ort“ heißt ein Projekt, in dem Leiharbeiter ihre Lebenssituationen schildern. Man kann den leisen Schrei durchhören: das kann nicht alles gewesen sein. Mir kommt die Begegnung mit einer Frau im mittleren Alter in den Sinn, die sich im Seminar “bewegen, empfinden, ausdrücken“ ehrlich dem Empfinden, bedeutungslos zu sein, gestellt hat; sie hat daran gelitten und ist nicht ausgewichen. Es ist nicht lustig, das Leben im Abseits. Gleich, ob von der persönlichen Fähigkeit der Sinnfindung zeitweise abgeschnitten, oder von wirtschaftlichen Interessen bedrängt.

Statt in die Tiefen eines verborgenen Geheimnisses abzutauchen würde ich angesichts der Folgen weltlicher, sprich ökonomischer, Macht lieber auf die Pauke hauen im Sinne des Jesus Sirach: ihr kennt die Gebote. Haltet sie ein! Doch unsere Welt bezieht sich nicht auf die Gebote. Gott ist nicht der selbstverständliche Bezugsrahmen der in der Welt Handelnden. Jedenfalls haben wir keine Sprache dafür, dies einzuklagen.

Paulus beeindruckt das nicht. Im Korintherbrief der heutigen Lesung sagt er schlicht: … hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Paulus ist ein leidenschaftlicher Denker, kryptisch ist er nicht. Er macht aus dem Offensichtlichen kein Geheimnis: keiner der Machthaber dieser Welt hat die Weisheit Gottes erkannt… Diese Tatsache nimmt nichts weg von der Gültigkeit der Weisheit Gottes. Das Problem haben die anderen. Sie erkennen nicht. Jesus ist auch als Gekreuzigter Herr der Herrlichkeit. Paulus hat Verfolgung, Folter und Gefängnis hinter sich. Er hat sich als Zeltmacher verdingt. Er macht keine schönen Worte. Vielmehr nimmt er am Tiefpunkt der Jesusbewegung allen Mut zusammen und bekräftigt: der Gekreuzigte ist Gottes Sohn.

Religionspädagogisches Material versucht vielfältig, die Wandlung von Saulus, dem Christenverfolger zu Paulus, dem Christusbekenner darzustellen. Darauf wird soviel Energie verwendet, dass seine eigentliche Lebensleistung fast ins Hintertreffen gerät: dem Geschehen Sinn entnehmen. Er steht zu dem Gekreuzigten.
Von diesem Standpunkt aus erschließt sich für ihn der Sinn des Lebens… Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen, außer Jesus Christus und zwar als den Gekreuzigten…, so beginnt Paulus das Gespräch über Geist, Geheimnis und Erkenntnis (Vers 2). Dieser Gekreuzigte steht in ganz einmaliger Weise für die Gültigkeit von Gottes Geboten. Die Frage ist: wie sieht die Welt aus dem Blickwinkel des Gekreuzigten aus?

Den Paulustext höre ich als christliche Perspektive, die Welt mit den Augen des Gekreuzigten zu betrachten und so verortet in der Welt zu handeln. In der KAB nennen wir es: wir bringen unseren Glauben in unserem Handeln zum Ausdruck. Es geht weniger darum Recht, Gesetz, Gebot oder gar Moral einzuklagen als vielmehr sich selbst – oder uns – von einer Verortung aus ins Spiel zu bringen. Mitzumischen. Paulus hatte keine fertigen Antworten, sondern einen Standpunkt, von dem aus er in seiner Zeit, in seiner Welt und in Auseinandersetzung mit den Gemeinden, Antworten entwickelte.

Mit den Augen des Gekreuzigten kann ich auch persönlich auf mein Leben schauen. Brüche, Wunden, Widrigkeiten benennen, annehmen und Sinn darin finden; ebenso wie in den Momenten des Glücks. Wie Paulus dies in einer „Spaßgesellschaft“ kommuniziert hätte? Das bleibt sein Geheimnis.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

19 − = 9

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>