Suchen und finden, ankommen und aufbrechen – Hochfest der Erscheinung des Herrn

Antwortpsalm 72
1 Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, / dem Königssohn gib dein gerechtes Walten!
2 Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit / und deine Armen durch rechtes Urteil.
7 Die Gerechtigkeit blühe auf in seinen Tagen / und großer Friede, bis der Mond nicht mehr da ist.
8 Er herrsche von Meer zu Meer, / vom Strom bis an die Enden der Erde.
10 Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, / die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.
11 Alle Könige müssen ihm huldigen, / alle Völker ihm dienen.
12 Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, / den Armen und den, der keinen Helfer hat.
13 Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, / er rettet das Leben der Armen.

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 2
1 Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem
2 und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
3 Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.
4 Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle.
5 Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten:
6 Du, Betlehem im Gebiet von Juda, / bist keineswegs die unbedeutendste / unter den führenden Städten von Juda; / denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, / der Hirt meines Volkes Israel.
7 Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war.
8 Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige.
9 Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.
11 Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.
12 Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Suchen und finden, ankommen und aufbrechen

Liebe Leserin, lieber Leser,
sehr wahrscheinlich kennen Sie jemanden, der eine Strecke auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela zu Fuß oder mit dem Fahrrad gewandert ist, denn es sind viele, viele Menschen. Vielleicht gehören Sie selbst dazu. Seit Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg“, im Jahr 2006 veröffentlicht, hat die Zahl der deutschen Pilger sprunghaft zugenommen. Was suchen Menschen, wenn sie sich eine solche Auszeit nehmen? Kraftorte aufsuchen, zu sich selbst finden, sich körperlichen und psychischen Grenzerfahrungen aussetzen, dem eigenen Glauben auf die Spur kommen, oder einfach die Erfahrungen auf einem ganz besonderen Wanderweg; das sind nur einige der Motive moderner Pilger, wohl immer eine religiöse oder auch natürliche Form der Sehnsucht nach dem ganz Anderen, Sehnsucht, es möge sich im eigenen Leben etwas ändern. Als Pilgerin oder Wallfahrer wird man heute nicht mehr mitleidig angeschaut. Und es muss ja nicht ein so weit entferntes Ziel sein. Unsere Wallfahrtskirchen ziehen täglich viele Menschen an, auch mich. Dort sind unsere Anliegen gut aufgehoben.

Mit den Sterndeutern aus dem fernen Babylon lernen wir die ersten christlichen Pilger kennen. Ihr Motiv ist eindeutig: 1200 Kilometer machen sie sich auf den Weg, um den neugeborenen König der Juden zu suchen, denn sie haben seinen Stern aufgehen sehen. Und wirklich ist für das wahrscheinliche Geburtsjahr von Jesus eine ganz außergewöhnliche Himmelserscheinung durch die Astronomen berechnet und belegt, wie sie sich nur alle 794 Jahre wiederholt. Dreimal innerhalb eines halben Jahres kamen sich die Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische ganz nahe und boten ein faszinierendes Schauspiel am orientalischen Himmel. Jupiter galt als der Königsstern, Saturn als Stern des jüdischen Landes. So konnte man diese Himmelsformation als Zeichen verstehen, dass dort ein großer König geboren worden ist. Die Sterndeuter beobachteten, was sie am Himmel sahen, und deuteten es als Zeichen. Sie benutzten nicht nur ihren Intellekt; sie waren ganz offensichtlich gottesfürchtige, gottsuchende Menschen. Vermutlich haben sie die Gestirne als Gottheiten verehrt. Auf jeden Fall standen sie nicht in der Tradition des jüdischen Glaubens. Trotzdem machten sie sich mit ihrer Karawane auf den weiten Pilgerweg, um den König der Könige zu suchen.

Und die Intellektuellen und Schriftgelehrten im nahen Jerusalem? Auch sie sehen das Himmelsschauspiel. Und obwohl sie die heiligen Schriften in- und auswendig kennen, z. B. dass ein Stern über dem Haus Jakob aufgehen wird, verstehen sie das leuchtende Sternenbild nicht als Zeichen. Es sagt ihnen nichts, oder höchstens Bedrohliches. Lieber verheimlichen sie zunächst dem als grausam bekannten König Herodes, dass in Bethlehem der langersehnte Friedensbringer aus dem Geschlecht des Königs David geboren werden soll. Die Schriftgelehrten wussten genau Bescheid; aber es sind Gottesfürchtige anderer Religion, die ganz treffend in der Tradition Weise genannt werden, die sich auf den Weg machen. Sie zwingen schließlich die Jerusalemer Aristokratie, Farbe zu bekennen und finden das göttliche Kind. Sie werfen sich vor dem Kind nieder als Ausdruck ihrer großen Verehrung und übergeben Geschenke voller Symbolik: Gold als Gabe für den König, Weihrauch zur Verehrung der Gottheit und Myrrhe als Vorzeichen des irdischen Leidens.

Wie hat dieses große Erlebnis wohl ihr Leben verändert? Wir wissen es nicht. Leider! Die Sterndeuter kehrten den weiten Weg zurück in ihr Heimatland und verschwinden wieder als Suchende und Fragende aus der Geschichte, denn sie konnten ja gar nicht voraus wissen, was es mit diesem König auf sich haben würde. Zeitlich trennt uns eine große Spanne von den Weisen aus dem Morgenland, die in der Legende bald zu den drei heiligen Königen wurden, wie sie im 72. Psalm rätselhaft anklingen. Man hat sie auch als die Vertreter der drei damals bekannten Kontinente gesehen: Afrika, Europa und Asien. Manchmal auch stellvertretend für die Lebensalter: Jugend, Erwachsensein, Alter. So sind uns diese drei Männer mit ihrem Gefolge menschlich ganz nah.

Wenn wir uns selber als Gottsuchende und um den Glauben ringende Menschen verstehen, dann können wir unser ganzes Leben im Bild eines Pilgerweges fassen, eines weiten, oft sehr beschwerlichen Weges. Einmal in jedem Lebensjahr kommen wir zu Weihnachten an der Krippe an. Es ist wie eine Zwischenstation. Hier spüren wir etwas vom Glanz des Zieles, zu dem wir lebenslang unterwegs sind. Wie begegnen wir diesem Kind? Was bedeutet es für uns? Für welche Menschen aus unserer Familie und unserem Lebenskreis zünden wir in diesem Jahr Kerzen an der Krippe an? Was finden wir ganz persönlich in diesem Kind, und was bringen wir ihm aus unserem Leben? Ich wünsche uns allen, dass die Begegnung mit dem göttlichen Kind eine Quelle der Kraft für uns sein möge, wenn wir in diesen Tagen aufbrechen in die Ungewissheit dieses neuen Jahres.

Hape Kerkeling schreibt in seinem Buch über seine Reise nach Santiago de Compostela, er habe keinen Kontakt zu den christlichen Pilgern gesucht, weil er sie für „nicht lernfähig“ halte: „Die werden als die gleichen Menschen die Reise beenden, als die sie sie begonnen haben…“ Da sitzt er einem Vorurteil auf. Trotzdem ist etwas gefährlich Wahres daran, wenn der Glaube, egal in welcher Religion, in Formeln erstarrt. Gott ist aber Mensch geworden, um uns die Lebendigkeit neu zu schenken, um uns, Frauen wie Männer, aus allen Erstarrungen und Abhängigkeiten auszulösen. Lebendiger Glaube ist nachfragen, suchen und finden, ankommen und aufbrechen – jedes Jahr, jeden Tag neu.

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