Rechnest Du mit Gott? – 27. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 17
5 Die Apostel baten den Herrn: Stärke unseren Glauben!
6 Der Herr erwiderte: Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr zu dem Maulbeerbaum hier sagen: Heb dich samt deinen Wurzeln aus dem Boden und verpflanz dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.
7 Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen?
8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken.
9 Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde?
10 So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Rechnest Du mit Gott?

Liebe Leserin, lieber Leser,
gestern fuhr ich mit dem Auto von Berlin durch die Tiefebene in Ostdeutschland nach Süden: der Verkehr auf den Autobahnen fließt Tag und Nacht, Industrietürme und Schornsteine ragen in den Himmel und Windräder in großer Zahl – an manchen Stellen sind es Hunderte – dazwischen, wie aus dem Holzbaukasten verstreut, die Dörfer mit ihren Kirchen und meist spitz zulaufenden Kirchtürmen. Wer von all den unentwegt beschäftigten und in die digitale Welt eingetauchten Menschen versteht noch, worauf die Kirchtürme verweisen? Für wen spielt Gott noch eine Rolle in seinem selbst entworfenen und gestalteten Leben? Ja, spielt er für uns Christinnen und Christen eine Rolle, in dem Sinne, dass wir fest mit ihm rechnen und uns seiner Gegenwart in unserem Leben bewusst sind? Zugespitzt: Spielt er für mich selbst eine entscheidende Rolle?

Unser Evangelium lässt uns wie durch einen Spalt in die Gemeinde des Lukasevangelisten schauen: es war damals offensichtlich schwer, als kleine Minderheit den festen Glauben an Gott und seinen Messias gegen alle Zweifel zu bewahren. Deshalb erinnert Lukas an das provozierende Wort Jesu: Wenn euer Glaube nur so groß wäre, wie ein Senfkorn … Und die Leiterinnen und Leiter der Gemeinde mussten wohl immer wieder ermahnt werden, sich nichts auf ihre Funktion einzubilden und keine Sonderrechte daraus abzuleiten: ihr seid nicht mehr als Sklavinnen und Sklaven, die zu tun haben, was ihnen aufgetragen ist. Wird nicht einfach viel gefordert von jenen, denen auch viel gegeben wurde?

Aber kehren wir von dem Hinweis auf die weit zurückliegende Vergangenheit, der den Aufbau des Evangeliums mit seinen zwei Teilen besser verstehen lässt, zu dem zurück, was das Wort durch alle Zeiten uns sagen will: Wäre Dein Glaube doch nur so groß wie ein winziges Samenkorn! Hart und provozierend sind diese Worte, Jesus spricht ja zu Menschen, die mit ihm gehen wollen und dafür sehr viel aufgegeben haben, aber stellen sie uns nicht, wenn auch unsanft, auf den Boden unserer Wirklichkeit? Sind wir nicht alle durchdrungen von einer „Machermentalität“: immer mehr verdienen, wissen, erleben, genießen, planen – von der Zeugung bis zum Tod? Ist der Glaube an Gott mehr als eine gute Gewohnheit, eine Verzierung für Feierstunden, eine Garantie für Werte, ohne die der Zusammenhalt der Gesellschaft in Gefahr wäre? Vertraue ich wirklich auf seine Kraft und sein Wirken, sein Zusammenwirken mit mir ganz persönlich, Tag für Tag, auf seine ungeahnten Möglichkeiten, die er für mich, dieses winzige Staubkorn im Weltall, bereit hält?

Was es bedeutet, Gott uneingeschränkt den wichtigsten und zentralen Platz im eigenen Leben einzuräumen, ihm die Ehre der höchsten Stelle zu geben, zeigt eine fesselnde Geschichte, die der frühere Landesrabbiner von Baden – Württemberg Joel Berger in seiner Biografie „Der Mann mit dem Hut“ von seinem Vater erzählt: Die Familie, ungarische Juden, lebte in Budapest. Auch in Ungarn wütete in den Wirren des Zweiten Weltkrieges der Antisemitismus, schon vor der Besetzung durch die Deutschen. Im September 1943 wurde der Vater zur Zwangsarbeit an die russische Grenze deportiert. In der Zeit seiner Abwesenheit gelang es der Mutter, Schutzpässe zu organisieren. Lesen Sie im folgenden die Geschichte im Wortlaut:
Im Sommer 1944 bekamen wir eine Nachricht, dass Zwangsarbeiter von der russischen Grenze zurückgebracht worden seien und auf dem Josefstädter Güterbahnhof einwaggoniert stünden. Es sei unklar, was mit ihnen geschehen sollte. Von einem Polizisten erfuhren wir, dass auch mein Vater in einem dieser Waggons festgehalten würde. Meine Mutter ging … und hat den spanischen Pass für meinen Vater vorgezeigt. Die Wachmannschaft hat daraufhin zu ihm gesagt: „Bitte sehr, Herr Berger, Sie können mit dem Polizisten gehen, Ihr Pass ist in Ordnung.“ Daraufhin antwortete mein strenggläubiger Vater: „Jetzt, am Freitagnachmittag um vier Uhr, kann ich nicht nach Hause fahren. Die Straßenbahnfahrt dauert mindestens anderthalb Stunden; aber in einer Stunde beginnt der Schabbat, dann darf ich nur noch zu Fuß gehen. Jetzt nicht, der Herr soll morgen am Abend wiederkommen.“ Der Polizist hat dies versprochen, er hat auch seinen Obulus dafür bekommen und ist am Samstagabend nochmals zum Josefstädter Bahnhof gefahren. Die Botschaft allerdings, die er bei seiner Rückkehr mitbrachte, war furchtbar: „Die Rampen sind leer, der Transport ist weitergefahren. Niemand weiß wohin.“ Meine Mutter war total verzweifelt. Sie ahnte freilich nicht das Schrecklichste. Sie ahnte nicht, dass dieser Zug auf dem Weg nach Bergen – Belsen war. Ein gutes Jahr später läutete es an unserer Wohnungstür. Ich öffnete und sah einen abgerissenen, halbverhungerten, mir fremden Mann. Es war mein Vater.

Was mich an dieser Erzählung so berührt, ist die unbedingte Konsequenz, Gott die erste Stelle zu überlassen und die Ehre zu geben, nicht nur dann, wenn es gerade passt oder eine große Bitte auf am Herzen liegt. Bei weitem ist nicht alles gut in dieser Geschichte. Die Ehefrau und das Kind litten sehr unter der Ungewissheit. Der Vater selbst zahlte einen hohen Preis, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Aber er hat mit seiner Familie überlebt und Zukunft gewonnen. Er ist seinem Gott und sich selbst treu geblieben. Was sich zwischen Gott und ihm wirklich ereignet hat, blieb das Geheimnis dieses Mannes. Mich beschäftigen die Fragen: Was traust du Gott zu? Rechnest du mit seiner Macht in Deinem Leben? Und was ist der passende und angemessene Ausdruck, um ihm Liebe und Ehre zu zeigen in meiner persönlichen Lebenssituation, da wo ich gerade stehe? Amen

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Eine Antwort auf Rechnest Du mit Gott? – 27. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Kähny sagt:

    wie oft hat die „unbedingte Konsequenz “ in die angstbesetzte Unbarmherzigkeit geführt – und sich letztlich als Hochmut gegen Gott und die Mitmenschen (zB. Selbstmordattentäter…) erwiesen ?: „… Liebe will ich, nicht Opfer…! “ Mt 9,13, (Hosea 6,6),
    und dann noch –
    …der Sabbat ist für den Menschen da,nicht der Mensch für den Sabbat…!(Mk 2,27).

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