Wer ist Jesus für mich? – 12. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 9
In jener Zeit
18 als Jesus einmal in der Einsamkeit betete und die Jünger – und Jüngerinnen – bei ihm waren, fragte er sie: Für wen halten mich die Leute?
19 Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden.
20 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Messias Gottes.
21 Doch er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen.
22 Und er fügte hinzu: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er wird getötet werden, aber am dritten Tag wird er auferstehen.
23 Zu allen sagte er: Wer mein Jünger – und meine Jüngerin – sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
24 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.

Autorin:
KonnyKornelia Vonier-Hoffkamp, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Remseck mit Ludwigsburg-Poppenweiler, Gestaltpädagogin

  
Die Predigt:
Wer ist Jesus für mich?

Liebe Leserin, lieber Leser,
für wen werde ich gehalten? Wie erleben mich die anderen? In welche Schublade stecken sie mich?
Eine spannende Frage, die Jugendliche vor allem in der Pubertät umtreibt, wo sie sehr abhängig sind von der Meinung der anderen.
Erwachsen werden heißt dann, mich unabhängiger zu machen von der Meinung der Leute, versuchen, Ich selbst zu sein, die Psychologie spricht von Individuation.
Doch weiß ich, wer ich bin?

Dietrich Bonhoeffer schreibt in seiner Gefängniszelle: Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest… und doch: Wer bin ich? Bin ich das, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selber von mir weiß: unruhig, sehnsüchtig, krank, ringend nach Lebensatem, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, …
Wer bin ich?
Jede und jeder von uns kennt diese zwei Seiten: das, was die anderen von mir wahrnehmen und was ich zeige, aber auch die Selbstzweifel, die schlaflosen Nächte, die Leere, die Angstattacken,…

„Wer bin ich? Für wen halten mich die Leute?“
Auch Jesus stellt diese Frage.
Seine Jünger haben Antworten parat, was die Leute denken, doch Jesus möchte auch ihr eigenes Bekenntnis. „Für wen haltet ihr mich?“ Für Petrus ist das klar: er ist der Messias, der Retter, der Gesalbte, nach ihm haben sich alle gesehnt, auf ihm ruhen die Hoffnungen von vielen, aber auch die Ängste der Machthaber.

Einen ganz kleinen Geschmack haben wir diese Woche in Deutschland davon bekommen, was es heißt, wenn auf einem viele Hoffnungen ruhen: Mit Barack Obama begann etwas Neues, auch etwas noch nie Dagewesenes und für einen kurzen Augenblick hielt damals bei seiner ersten Wahl die Welt den Atem an und eine kleine Hoffnung keimte auf, dass sich etwas ändern könnte. Diese Hoffnung ist der Realität gewichen: große Veränderungen werden torpediert, Machtkampf und Eigensucht bestimmt die Politik zu sehr und nicht die Suche nach dem bestmöglichen Leben für alle.
So haben es Hoffnungsträger schwer, denn eigentlich können sie nur enttäuschen.

So wie viele damals auch von Jesus enttäuscht waren, der ihre Erwartungen in keiner Weise erfüllt hat und aus Hoffnung wurde Gleichgültigkeit oder Wut. Zum Glück gab es manche, die sich auf ihn einließen. Dies waren vor allem auch die Menschen, die keine Hoffnung mehr hatten und Menschen, die sich nach etwas anderem sehnten, was ihnen ihr Alltag nicht bieten konnte. Diese erlebten Wunder, sie fanden einen neuen Lebenssinn.

„Für wen hält der sich eigentlich?“
Auch Jesus wird in Schubladen gesteckt: der Zimmermannssohn, ein Fresser und Säufer, ein Freund von Zöllnern und Sündern, ein Gotteslästerer ist er in den Augen einiger, einer, der die Ordnung stört, sich nicht an die Regeln hält, ein unbequemer, einer, der sich Dinge anmaßt, die ihm nicht zustehen. „Für wen hält der sich eigentlich?“, die Frage bekommt bei ihnen einen ganz anderen Klang.

Für mich ist Jesus: ein Spinner, ein Träumer, ein Idealist, aber auch ein Realist und ein Vorbild. Er weiß, dass er nicht die ganze Welt retten kann – wie viele von ihm erhoffen – er weiß, dass Veränderung nur dort beginnt, wo Menschen sich verändern, ihre Sehnsüchte zugeben, ihre Ängste benennen, sich nicht anpassen an die Realitäten der Welt, sich nicht in Schubladen stecken lassen, sondern auf die Suche danach gehen, wer sie wirklich sind und sich lösen von dem, was ihnen zugeschrieben wird.

Diese Suche beginnt oft dann, wenn das, was bisher getragen hat, nicht mehr trägt, wenn zu vieles zusammen kommt und die Kräfte nicht mehr reichen, wenn die Ansprüche, eigene und die der anderen, zu viel geworden sind. Die Mutigen holen sich dann Hilfe und suchen das Gespräch, auch bei uns Seelsorgerinnen und Seelsorgern.
Und eigentlich immer geht es dann dabei darum, Ordnung zu schaffen, das Familiensystem anzuschauen, die inneren Antreiber kennen zu lernen und dabei dem auf die Spur zu kommen, was eigentlich diese Menschen selber wollen in ihrem Leben.
Denn viele von uns werden auf Rollen festgeschrieben und bekommen die Anerkennung der Eltern dafür, dass sie brav sind oder erfolgreich, gut aussehen oder immer lustig sind … Und dieses Muster, das wir gelernt haben, um Anerkennung und Liebe zu bekommen, begleitet uns unser Leben lang – bis in die eigene Partnerschaft und Kindererziehung hinein und ebenso in unserer Arbeitswelt.
Diesen Ansprüchen zu genügen, ist anstrengend und irgendwann kommt ein Punkt, wo das nicht mehr funktioniert. Weil ich für diese Anerkennung viel aufgeben musste an Spontanem, an Lebensfrohem, an Kreativem, an Kritischem, an Eigenem.

Aber unser Leben soll nicht nur anstrengend sein, es soll voller Lebensfreude sein, es soll leidenschaftlich sein.

Und da komme ich wieder zurück zum Evangelium. Wer ist Jesus für mich?
Schon als Jugendliche war für mich klar, dass die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft Jesu, die einzige Botschaft ist, die mir ein sinnerfülltes Leben ermöglichen kann und eine Vision, wie für alle auf der Welt Gerechtigkeit und Frieden möglich ist. Daran glaube ich bis heute.
Jesus ist für mich einer, der die Schubladen öffnet, der die Menschen aus ihrem starren Denken und ihrer Fixiertheit herausholt, der ihnen neues Leben einhaucht, der sie mit neuem Geist erfüllt, ihre Lähmungen überwindet, ihre Schatten integriert.
Jesus ist einer, der eine Leidenschaft hat: er kann die Menschen leiden.

In diesem Wort Leidenschaft steckt aber auch drin, womit das Evangelium heute endet: Leidenschaft ohne Leid geht nicht.
Zum Leben gehören Höhen und Tiefen. Um uns aber vor diesem Leid zu schützen, opfern wir oft unsere Leidenschaft.
Und so höre ich das heutige Evangelium für mich als Aufruf, dem Leben zu trauen, meine Ängste zu überwinden und leiden-schaftlich zu leben.

Und wie unser Leben dann aussehen könnte, möchte ich Ihnen zum Schluss mit einem Text von Joseph Beuys veranschaulichen:

Lass dich fallen, lerne Schlangen zu beobachten.
Pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein.
Mache kleine Zeichen, die “ja” sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen.
Schaukle so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen.
Verweigere dich, ’verantwortlich zu sein’ – tu es aus Liebe!
Mache eine Menge Nickerchen.
Gib Geld weiter. Mach es jetzt. Es wird folgen.
Glaube an Zauberei, lache eine Menge.
Bade im Mondschein.
Träume wilde, fantasievolle Träume.
Zeichne auf Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern, höre alten Leuten zu.
Öffne dich, tauche ein. Sei frei. Preise dich selbst.
Lass die Angst fallen, spiele mit allem.
Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig.
Baue eine Burg aus Decken. Werde nass. Umarme Bäume.
Schreibe Liebesbriefe…
Joseph Beuys

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Eine Antwort auf Wer ist Jesus für mich? – 12. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Benedikta Hellrung sagt:

    Der Text von Beuys ist großartig ! Besonders : „Verweigere dich, verantwortlich zu sein —- tu es aus Liebe !
    Herzlichen Dank !

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