Mehr als Barmherzigkeit, das ist Liebe! – 4. Fastensonntag C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 15
1 In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören.
2 Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen.
3 Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte:
11 Ein Mann hatte zwei Söhne.
12 Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf.
13 Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.
14 Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land und es ging ihm sehr schlecht.
15 Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten.
16 Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.
17 Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um.
18 Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt.
19 Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner.
20 Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.
22 Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und zieht ihm Schuhe an.
23 Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein.
24 Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.
25 Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz.
26 Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle.
27 Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat.
28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu.
29 Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte.
30 Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
31 Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein.
32 Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.

Autorin:
Foto_Jutta_Schnitzler-Forster-225x300Jutta Schnitzler – Forster, verheiratet, zwei Söhne, Gemeindereferentin in Ulm,
Bildungsreferentin und Organisationsberaterin

 
Die Predigt:
Mehr als Barmherzigkeit, das ist Liebe!

Liebe Leserin, lieber Leser,
wir sind mitten in der Fastenzeit und nicht wenige Menschen verbinden mit diesen besonderen Wochen etwas Positives. Sie nutzen diese Zeit ganz bewusst – zum Innehalten, zur Reflexion, vielleicht auch zum genauen Hinschauen. Sie hinterfragen ihren Lebensstil, versuchen Gewohnheiten zu ändern und vieles mehr.
Mir ist aufgefallen, dass sich das Verständnis von Fasten in den letzten Jahren erweitert und auch verändert hat.
In den einschlägigen Büchern und Kalendern gibt es keinen moralischen Zeigefinger. Es fehlt das klassische Vokabular von Sünde, Schuld und Buße. Vielmehr werden die Menschen ermutigt, ihr Leben anzuschauen und da zu verändern, wo es für sie selber oder andere keine guten Auswirkungen hat.
Dieser Ansatz nimmt Menschen ernst und glaubt an ihre Fähigkeiten sich ändern zu können.

Das zeigt auch das heutige Evangelium. Das Gleichnis gehört zu den ganz großen und bekannten Geschichten der Bibel.
Schon allein, wie das Gleichnis benannt wird, gibt Aufschluss darüber, welche Person im Mittelpunkt steht. Ist es der „verlorene Sohn“ oder der „barmherzige Vater“? Was ist mit dem braven, dafür aber sehr neidischen Bruder, der immer zu wenig Beachtung erfährt?
Jesus wählte dieses Gleichnis aus, um etwas Neues über Gott zu sagen, den Menschen damals und auch uns heute.
Wir lernen eine Familie in der Zeit der Patriarchen kennen. Nur die männlichen Familienmitglieder werden genannt, nur sie spielen eine Rolle. Was mit der Mutter ist oder ob es Schwestern gibt, erfahren wir nicht. Sie gelten als Besitz, über die entschieden wird. Die Rechte haben die Söhne und der Jüngere macht davon Gebrauch und fordert seinen Erbteil. Er verlässt die Familie und zieht in die Welt. Sein aufregendes und feierfreudiges Leben bekommt eine rasche Wende, nachdem das Geld verprasst war. Offensichtlich hat er nicht gelernt, Verantwortung für sich zu übernehmen. Vielleicht hat er als Jüngster, als Nesthäkchen, in den Tag hinein gelebt und offensichtlich nicht gelernt, wie er seinen Lebensunterhalt sichern und sein Gut verwalten könnte. Und nun zurück, ohne Hab und Gut, ohne Freunde – ohne Familie!? Alles hat er verloren und ist sehr tief gefallen. Sein Platz ist nun bei den Schweinen, den unreinsten Tieren, die damals vorstellbar waren. Er hat sich den Anspruch, weiter als Sohn zu gelten, verwirkt.

In dieser trostlosen Situation erinnert er sich an seinen Vater und daran, wie rechtschaffen dieser immer gegenüber seinen Dienern war. Er hofft, einen Platz bei den Dienern zu finden. Er spricht sich den Platz als Sohn ab und wäre einverstanden und dankbar, wenn er nun einen geringeren Platz zugewiesen bekäme. Denn, er hat seiner Familie den Rücken gekehrt, sie enttäuscht und gesündigt. Er kehrt um und geht zurück als ein Gescheiterter, einer, der nicht mehr viel Anerkennung verdient.
Doch der Vater überrascht ihn. Er wartet nicht, bis er zu ihm kommt, sondern er geht ihm vielmehr entgegen, sobald er ihn kommen sieht. Er lässt erst gar nicht zu, dass er auf die Knie fällt und so um Barmherzigkeit bittet. Er fällt ihm um den Hals, voll Liebe und auf Augenhöhe.
Der Vater steckt ihm einen Ring an; so bekommt der Sünder seine Würde als Sohn zurück. „Mein Sohn war tot und lebt wieder“ nur das zählt für den Vater und es ist Anlass, ein großes Fest zu feiern. Alles scheint wieder gut, aber da ist der erstgeborene Sohn. Er, der immer treu war, gearbeitet hat und dem keine Fehler nachzuweisen sind, kann das Verhalten des Vaters nicht gut heißen.
Der heftige Neid des älteren Bruders zeigt, dass auch er nicht gespürt und verstanden hat, dass er als Sohn immer geliebt war und geliebt ist. Er hätte auch mehr Freiheiten gehabt, als die, die er bisher genutzt hat. Diese Erkenntnis ist bitter, kann aber auch von ihm als Neuanfang genutzt werden.

Der Vater hat mehr gezeigt als Mitleid oder Barmherzigkeit. Er schenkt dem Sohn – egal was war – seine Liebe. Mehr als alle Regeln oder Gesten der Buße und Unterordnung ist ihm sein geliebtes Kind wichtig. Er handelt nicht als strenger Patriarch, sondern wie ein liebender Vater.
Jesus zeigt uns in diesem Gleichnis den bedingungslos liebenden Gott, an den auch wir unsere Anfragen haben.
Ist es gerecht, wenn eine/r auf Kosten anderer lebt? Ist es zu verzeihen, als Taugenichts, vielleicht auch als „Lebenskünstler“ in den Tag hinein zu leben? Dürfen wir es dulden, wenn Menschen ganz andere Entscheidungen treffen und andere Lebenswahrheiten leben, als die, die wir selber vertreten und für gut halten?
Schafft es nicht einen falschen Anreiz, wenn eine/r – egal was er tut – immer noch geliebt wird?
Das sind die Fragen und Widerstände des älteren Sohnes, und ich vermute auch die unseren.

Dabei ist die befreiende Botschaft des Evangeliums eindeutig: Gott nimmt Sünderinnen und Sünder, die Gescheiterten, die zurückkehren wollen, bedingungslos an. Bei ihm werden Menschen nicht bewertet und das bewirkt, das sie sich in diesem Raum des Angenommenseins und der Freiheit verändern können. Sie wachsen über sich hinaus. Sie bekommen ihre Kraft und Würde zurück und das schenkt neues Leben.
So gilt auch für uns, andere nicht zu bewerten oder uns über sie zu erheben. Was gut und was schlecht ist, ist nicht immer so eindeutig, wie viele meinen.
Gehen wir doch einfach davon aus, dass der jüngere Sohn seinen Weg gesucht hat, vieles ausprobieren und erleben musste, um zu erkennen, dass er so keine Zukunft hat. Er selber hatte die Konsequenzen seiner Handlungen zu tragen, musste Not und Leid durchstehen. Das war sein Weg. Und ob dieser Weg besser oder schlechter ist, als der seines Bruders, der sich vielleicht vieles erspart hat, sei dahin gestellt. Entscheidend bleibt sein Mut, aus dieser verfahrenen Situation aufzubrechen, und er geht an den Ort zurück, an dem er als Kind angenommen und geliebt war, zurück in seine Familie, zurück zum Vater. Er konnte diesen Schritt tun, weil er wusste, sein Vater handelt nicht nur nach den bestehenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Er wagte zu hoffen, wieder aufgenommen zu werden, auch wenn es nur als Knecht sein sollte. Wie großartig, dass sein Mut nicht nur mit Barmherzigkeit sondern mit soviel unerwarteter Liebe und Akzeptanz beantwortet wurde. Er kam zurück als Verlorener und wurde aufgenommen als Sohn.

Aber nicht nur für uns als Glaubende, auch für die Kirche sind Bibeltexte, die Liebe über Gesetz und Tradition stellen, eine bleibende Herausforderung. Der liebende Blick tut denen besonders gut, die sich als Ausgegrenzte erleben. Im derzeitigen Dialogprozess tauchen immer wieder Themen auf, die mit Regeln, Verständnissen und Tradition behaftet sind. Daran darf man nicht rütteln, es gibt viele Tabu -Themen. Der Umgang mit geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken zum Beispiel fällt der Kirche sehr schwer. Sie erfahren derzeit Ausgrenzung und keine Barmherzigkeit, geschweige denn werden sie von dieser Liebe überrascht, wie sie der Vater dem Sohn entgegen bringt.

Wie befreiend und ermutigend wäre es, wenn es in der Kirche ein neues Denken und einen neuen Umgang miteinander, gerade mit bisher Ausgegrenzten, gäbe. Wiederverheiratete Geschiedene wären auch kirchenrechtlich akzeptiert und selbstverständlich mit dabei. Homosexualität müsste nicht versteckt werden und verschiedene Lebensformen würden gleichwertig geachtet. Frauen wären nicht nur an der Kirchenbasis entscheidend, sondern in Macht- und Amtsstrukturen mit eingebunden. Das alles wären Zeichen der Liebe, die vieles zum Aufblühen bringen könnten.
In diesem Klima hätten vielleicht auch wir alle mehr Mut mit eigenen Unzulänglichkeiten und Verstrickungen offener und aktiver umzugehen.
So könnte Ostern erlebt und neu verstanden werden!

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2 Antworten auf Mehr als Barmherzigkeit, das ist Liebe! – 4. Fastensonntag C

  1. Kähny sagt:

    „Gott ist anders“ oder “ der blinde Fleck des Altruismus „:
    Papst Benedikt erklärt in seinem Jesusbuch II die Paradoxie der Entstehung des Bösen aus dem Gehorsam gegen Gott…
    (vielleicht hat er dabei an die og.Lukaserzählung gedacht)

    Gott ist anders: ER allein weiss und will – das Eine („gut“) wie das Andere („böse“).
    Und deshalb geht keine/r verloren.

  2. clara sagt:

    danke für diesen schönen kommentar!

    da kommt nämlich auch die nicht erwähnte mutter des verlorenen sohnes vor – als ich in einer diskussion anregte, vorzustellen, dass da die mutter dem sohn entgegengeht, ging das gar nicht. muss gott immer als patriarchalisch, mächtiger dargestellt werden? das steigert dieses gleichnis vielleicht, ja, auch aus der zeit so besser zu verstehen, aber ich tu mir manchmal mit einer mama, die dem sohn, der tochter entgegengeht, viel leichter, mehr zärtlichkeit.

    und dann das fest: der sohn kehrt um, es gibt ein fest. mit den kindern feiern wir die erste versöhnung als ein „fest der versöhnung“, ich unterrichte dieses gleichnis dieses mal mit psalm 126 in der übertragung von martin gutl: „wenn gott uns heimführt aus den tagen der wanderschaft, aus der dämmerung in sein beglückendes licht, das wird ein fest sein!“ (buch: der tanzende hiob).
    schaffen wir das so umzusetzen? trauen wir uns?

    clara

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