Verstrickungen – 3. Fastensonntag C

Zweite Lesung aus dem ersten Korintherbrief, Kapitel 10
1 Ihr sollt wissen, Schwestern und Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen
2 und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer.
3 Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise
4 und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem Leben spendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus.
5 Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen.
6 Das aber geschah als warnendes Beispiel für uns: damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen, wie jene sich von der Gier beherrschen ließen.
10 Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht.
11 Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat.
12 Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt.

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 13
1 Zu dieser Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, sodass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte.
2 Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht?
3 Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
4 Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden – meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht?
5 Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
6 Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine.
7 Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?
8 Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen.
9 Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.

Autorin:
KonnyKornelia Vonier-Hoffkamp, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Remseck mit Ludwigsburg-Poppenweiler,
Gestaltpädagogin

 
Die Predigt:
Verstrickungen

Liebe Leserin, lieber Leser,
von einem amerikanischen Bischof, Fulton Sheen (1885-1979), wird folgende Geschichte erzählt. Er galt als begnadeter Prediger und wurde als solcher auch für Exerzitien in ein Hochsicherheitsgefängnis eingeladen. Doch wie sollte er zu Mördern und Vergewaltigern, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt waren, von der Liebe Gottes sprechen ohne peinlich zu werden. Die mit finsteren Mienen dasitzenden Inhaftierten erwarteten – wie üblich – eine Moralpredigt, Bischof Sheen aber begann so: „Meine Herren, es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen mir und Ihnen“ … „es gibt wirklich einen wesentlichen Unterschied zwischen mir und euch: Ihr seid geschnappt worden, ich nicht.“

Ich bin mir sicher, damit hatte er die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Erwartet hatten sie einen, der ihnen ins Gewissen redet, der weiß, wie es besser geht, einen mit abgedroschenen Phrasen von der Liebe Gottes und von Schuld, dieser Anfang aber war ungewöhnlich, ließ aufhorchen. Da stellte sich einer – und dazu auch noch ein Gottesmann – nicht über sie, sondern auf gleiche Stufe mit Ihnen, entdeckte Gemeinsamkeiten.
Selbstverständlich hatte Sheen eine andere Vergangenheit und unterschied sich in vielem von diesen Straftätern. Was also war das Gemeinsame?

Für mich ist dies die Frage nach der Schuld. Und diese wird uns in allen Bibeltexten heute gestellt. In der alttestamentlichen Lesung wird uns die Geschichte von Mose und vom brennenden Dornbusch erzählt.
Altbekannt und doch: Wir bekommen da die Geschichte eines Mörders erzählt, der sich versteckt, damit er nicht geschnappt wird. Dieser aber ist der Verheißungsträger, der, dessen Aufgabe es ist, sein Volk aus der Verbannung zu führen in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.

Und im Korintherbrief greift Paulus diese Heilsgeschichte auf. Alle waren unter der Wolke, alle zogen durch das Meer, alle wurden auf Mose getauft, alle aßen die gleiche gottgeschenkte Speise und tranken den gleichen gottgeschenkten Trank, Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen, schreibt Paulus, denn sie ließen sich von der Gier, der Unzufriedenheit, dem Neid, dem Eigensinn beherrschen; sie murrten und wollten wieder zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens, sie waren „eingeschnappt“ im Teufelskreis der bösen Gedanken.
Und er stellt diese Geschichte warnend der Gemeinde in Korinth vor Augen, die zu diesem Zeitpunkt auch sehr zerstritten war.

Alles gipfelt im heutigen Evangelium, das erzählt von Menschen, die es „erwischt“ hat, vom gewaltsamen Tod galiläischer Zeloten (Eiferer) im Tempelbereich, vom Unfalltod von vielen beim Einsturz des Turms von Schiloach.

„Selber Schuld“, das war damals die gängige Meinung. Denn Gott straft nur den, der Böses getan hat. Heute sind wir Gott sei Dank – im wörtlichen Sinn – viel weiter, denn wir wissen, dass Katastrophen alle treffen können, den Frommen, Gottesfürchtigen genauso wie den Verbrecher, den Schuldigen genauso wie den scheinbar Schuldlosen. Aber bleibt da nicht dennoch immer wieder – heimlich im Hinterkopf – der Gedanke: „Selber schuld“? Hätte er nicht das oder das gemacht…..?

Und da komme ich wieder zurück zu Weihbischof Sheen und auf die Frage, ob es überhaupt ein „schuldloses“ Leben gibt, ob ein Mensch wirklich besser ist als der andere oder ob wir nicht alle unter der gleichen Wolke ziehen wie Paulus schreibt.
Im Jüdischen gibt es eine überlieferte Tradition: man solle keiner Fliege etwas zuleide tun, weil der Tod dieser Fliege die gesamte Schöpfung verändere. Ein extremer Gedanke, der aber in den Mittelpunkt stellt, dass alles, was ich tue, aber auch, was ich lasse, Konsequenzen hat, die ich gar nicht im Blick haben kann.

Diesen Gedanken hat ein Autor, Mitch Albom, in seinem Buch „Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen“, aufgegriffen, vielleicht haben Sie es ja schon gelesen. An seinem 83. Geburtstag kommt Eddie, ein Mechaniker in einem Vergnügungspark namens „Ruby Pier“, der zuständig ist für die Wartung des Kinderkarussells, ums Leben bei dem Versuch, ein Mädchen von einer herabstürzenden Gondel zu retten. Er erwacht im Himmel. Dieser ist allerdings kein blühender Garten Eden, sondern ein Ort, der für jeden Menschen eine andere Gestalt annimmt. Hier trifft jeder Neuankömmling auf fünf Menschen, die das Leben des Verstorbenen auf unterschiedliche Weise beeinflusst und für immer verändert haben: enge Vertraute, entfernte Bekannte oder völlig Fremde.

Eddie begegnet dabei:
1. dem „Blauen Mann“, einem Menschen, der als Kuriosität auf dem Jahrmarkt ausgestellt wird. Als Kind rennt Eddie einem Ball auf die Straße nach, ein Autofahrer kann gerade noch bremsen, so dass Eddie nichts passiert. Der Autofahrer allerdings, eben dieser „blaue Mann“, stirbt kurz danach als Folge des Schreckens an einem Herzinfarkt, Eddie bekommt das nicht mehr mit.

2. seinem „Captain“, dem befehlshabenden Offizier bei seinem Kriegseinsatz auf den Philippinen. Eddie wird mit seiner Gruppe und dem „Captain“ gefangen genommen, nach langem gelingt ihnen die Flucht und dabei zerstören sie alles, was ihnen in den Weg kommt. In einem von ihm in Flammen versetzten brennenden Haus meint Eddie, einen Schatten zu erkennen, will rein rennen, um Leben zu retten, der Captain weiß, dass Eddie dabei selber sterben wird und schießt ihm ins Bein, um ihn vor dieser Torheit zu bewahren. Diese Beinverletzung prägt Eddie sein Leben lang. Auf dem Weg ins Krankenhaus sichert der Captain den Weg und wird dabei von einer Tretmine getötet, Eddie bekommt davon nichts mehr mit.

3. Ruby, der Frau, für die der Vergnügungspark gebaut wurde, in dem Eddies Vater und dann er selber Zeit ihres Lebens arbeiten, Eddies Vater freiwillig, Eddie gezwungenermaßen. Eddie träumt eigentlich davon, Maschinenbauer zu werden, als aber sein Vater krank wird, übernimmt er dessen Arbeit und hält sie ihm frei. Als der Vater stirbt und die Mutter diesen Verlust kaum verschmerzt, zieht er mit seiner Frau in das Haus seiner Kindheit zurück und arbeitet weiter im Vergnügungspark, gefangen in einem Leben, das er sich ganz anders erträumt hat. Und diese Frau zeigt ihm Dinge aus seines Vaters Leben, die Eddie manches anders verstehen lassen…

4. Eddie begegnet seiner Frau Marguerite, die auf dem Weg einen schlimmen Unfall hat, als sie ihn von der Rennbahn holen will, damit er nicht das ganze Geld verspielt. Dadurch platzt eine geplante Adoption, die beiden verlieren sich im Alltag, finden sich dann wieder neu… mit 47 Jahren stirbt Marguerite an einem Gehirntumor, für Eddie bricht eine Welt zusammen.

5. Als fünftes begegnet ihm ein wildfremdes Mädchen und sie erzählt ihm seine Geschichte. Er hat im Krieg richtig wahrgenommen, dass in dem brennenden Haus ein Schatten war, dieses Kind nämlich, das darin verbrannt ist. Und als er im Gespräch mit ihr sagt, dass sein ganzes Leben nutzlos war, erklärt sie ihm, warum er diese Aufgabe am Kinderkarussell von Ruby Pier hatte: um andere Kinder zu schützen. Und so konnte er heute das Mädchen vor der herabfallenden Gondel schützen.

Und so erkennt Eddie, der eigentlich an seinem Leben verzweifelt ist und sich Zeit seines Lebens sinn- und nutzlos gefühlt hat, im Nachhinein einen Sinn in Dingen, die vorher völlig bedeutungslos nebeneinander standen und kann Frieden schließen mit allem, was ihm geschehen ist.

Schuld hat er dennoch auf sich geladen, aber er hätte es auch nicht verhindern können, denn nichts davon hat er beabsichtigt.

Dieses Buch zeigt uns in eindrücklicher Weise, wie alles verstrickt ist im Leben und wir uns dem gar nicht entziehen können.

Und so warnt uns Jesus im heutigen Evangelium, uns über andere Menschen zu stellen und über andere zu urteilen. Wir alle sitzen im gleichen Boot und haben das gleiche Lebensthema.

Und er stellt uns das Bild des unfruchtbaren Feigenbaums vor Augen, der gefällt werden soll, so will es der Weinbergbesitzer. Gott, der die Geduld verliert?
Der Weingärtner bittet für ihn: „lass ihn dieses Jahr noch stehen, ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen, vielleicht trägt er doch Früchte….“Fast könnte man sagen, da findet ein innergöttlicher Dialog statt und es ist noch unklar, wie er ausgeht…..

Der Aufruf an uns aber ist eindeutig: Lasst all das Leblose, Lähmende, nicht Frucht Bringende in eurem Leben los, trennt euch von dem, was abgestorben ist in euch, verlasst den Teufelskreis von bösen Gedanken und schaut nach dem, was dem Leben dient, eurem und dem der anderen, was austreibt und Frucht bringen will: im Miteinander, im Dialog, für Dich.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Zu einem Baum, der keine Früchte trägt, führt kein Weg.“ Machen wir uns auf, fruchtbar zu sein, damit viele den Weg zu uns finden.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf Verstrickungen – 3. Fastensonntag C

  1. Wagner Klara sagt:

    Danke, für die Predigt, mit ganz neuen Gedanken, ermutigend!
    Klara Wagner

  2. Kähny sagt:

    noch zu “ Eddie “ dazu – die Verstrickungen mit den Schicksalstragödien der Ahnen…
    (s. systemische Therapie ).
    Das evolutionäre Prinzip von Versuch und Irrtum sollte der „Krone der Schöpfung “ helfen in Demut Theologie und Biologie miteinander zu versöhnen:
    der „freie Wille“ hat ausgedient… !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

− 1 = 1

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>