Kinder brauchen Wurzeln und Freiräume – Fest der Heiligen Familie C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 2
41 Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem.
42 Als er zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach.
43 Nachdem die Festtage zu Ende waren, machten sie sich auf den Heimweg. Der junge Jesus aber blieb in Jerusalem, ohne dass seine Eltern es merkten.
44 Sie meinten, er sei irgendwo in der Pilgergruppe, und reisten eine Tagesstrecke weit; dann suchten sie ihn bei den Verwandten und Bekannten.
45 Als sie ihn nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn dort.
46 Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen.
47 Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten.
48 Als seine Eltern ihn sahen, waren sie sehr betroffen und seine Mutter sagte zu ihm: Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.
49 Da sagte er zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?
50 Doch sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte.
51 Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.
52 Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Kinder brauchen Wurzeln und Feiräume

Liebe Leserin, lieber Leser,
meine Schwester ist Lehrerin an einer Grundschule in Bayern. Kürzlich hatte sie im Ethikunterricht folgendes Erlebnis: Eine Unterrichtsstunde für Kinder der vierten Klassen, die weder am evangelischen noch am katholischen Religionsunterricht teilnehmen; die Kinder sollten anhand von Fotos und Legematerial ihren 9-jährigen Lebensweg darstellen. Die Lehrerin hatte ihr eigenes Fotoalbum mitgebracht, das natürlich auf großes Interesse stieß. Darunter war auch ein Bild von ihr als Kommunionkind zusammen mit ihrer Zwillingsschwester. Sie erklärte den Kindern, dass katholische Kinder zur feierlichen Erstkommunion gehen und evangelische mit 14 Jahren zur Konfirmation. Die Kinder fragten nach. Ein Junge sagte: „Was ist Religion?“ Ein Mädchen wusste, dass sie Muslima ist. Für einen Augenblick war es im Klassenzimmer ungewöhnlich still. Unausgesprochen stand die Frage im Raum: „Und was ist mit uns. Haben wir gar kein Fest?“ Dann ging der Unterricht wie gewohnt weiter mit lebhaften Erzählungen und den üblichen Störungen. Aber dieser Moment hat meine Schwester so beeindruckt, dass wir später darüber gesprochen haben.

Wir leben zum Glück in einer freien Gesellschaft, in der wir unsere Weltanschauung ohne Zwang wählen können. Doch ist diese Freiheit zugleich eine schwere Aufgabe, besonders für Eltern. Denn Kinder haben nicht nur ein Recht auf Bildung und Ausbildung, – eines von 10 Grundrechten in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen -. Sie haben es auch nötig, ihre kulturellen Wurzeln kennen zu lernen, zu denen nicht unwesentlich die Religion gehört.

Jesus wuchs in einer gläubigen jüdischen Familie auf: Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Das erfahren wir heute im Evangelium. Eigentlich wird das überraschend selten zum Thema gemacht. In der Zeit seines öffentlichen Auftretens hören wir viel von seinen Auseinandersetzungen mit religiösen Amtsträgern und Schriftgelehrten. Aber dass er selbst im Glaubensraum des Judentums aufgewachsen ist und seinen Glauben gelebt hat, das müssen wir uns erst immer wieder bewusst machen. Der Leipziger Jesuit Gerhard Kroll gibt uns in seinem Buch „Auf den Spuren Jesu“ einen Einblick, wie wir uns das religiöse Leben damals vorstellen können. Ich zitiere eine Passage daraus:
Ohne Zweifel gab es zur Zeit Jesu in Nazaret fromme Juden, die ihren Glauben ernst nahmen; es gab aber auch andere, denen weniger daran lag. Alles, was wir über die Eltern Jesu im Evangelium erfahren, lässt erkennen, dass sie zu den Gottesfürchtigen und Gesetzestreuen gehörten… Jedesmal, wenn der Jesusknabe das Haus verließ oder betrat, berührte er nach dem Beispiel seiner Eltern die Mesusa – ( ein Kästchen, in dem ein beschriebener Pergamentstreifen aufbewahrt wird, auf dem geschrieben ist: „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist ein einziger…“) – am Türpfosten mit seinen Fingerspitzen, die er daraufhin küsste. Beim Morgen- und Abendgebet trug er das „Höre, Israel“ auf der Stirn und den Händen, wie Josef es ihn lehrte. Jesus erlebte in der Geborgenheit des Elternhauses eine Welt, die ganz dem Göttlichen geweiht war. Das Heilige umgab ihn vom Morgen bis zum Abend. Alle Stunden des Tages waren von Segensgebeten begleitet, die der echte Israelit nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit seinem Herzen sprach: „Gepriesen seist du Herr, König des Alls“. In den Evangelien finden wir an vielen Stellen die kurze Notiz: „Jesus zog sich zum Gebet zurück.“ Das war seine Welt, in der er von Kindheit an aufgewachsen war.

Jesus ist mit zwölf Jahren kein Kind mehr, sondern fast schon ein junger Mann kurz vor der Religionsmündigkeit. Er pilgert mit seinen Eltern wie alle Jahre zum großen Paschafest, das an die Befreiung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft erinnert, ca.150 Kilometer zu Fuß von Nazareth zum Tempel nach Jerusalem. Bald wird er selbst für die Pflichten und Rechte eines gläubigen Juden einstehen müssen. Versuchen wir uns vorzustellen, dass zu den 50tausend Einwohnern der Stadt ungefähr ebenso viele Pilger dazu kamen: ein riesengroßes Fest, eine Woche der Feierlichkeiten mit einer unübersehbaren Menge an Opfertieren. Jesus zieht es in den Tempelbezirk, und er hält sich dort tagelang auf; er sucht die Gelehrten, hört ihnen zu und stellt ihnen Fragen, die aufhorchen lassen. Wer ist dieser Junge mit solch außergewöhnlichem Verständnis? Sie nehmen ihn offenbar bei sich auf, geben ihm einen Schlafplatz und zu essen.

Erst fünf Tage nach Ende des Festes finden die Eltern ihren Sohn, der anscheinend im Hause seines Vaters alles um sich herum vergessen hat: ein Wandertag nach Hause, angstvolle Suche nach dem Sohn, ein Tag Fußmarsch zurück, dann drei Tage Suche in der Großstadt. Wie können wir mitfühlen, wenn Maria, die vielleicht schon mit dem Schlimmsten gerechnet hat, ihrem Herzen jetzt Luft macht: Kind, wie konntest du uns das antun? Niemals hat sie wohl vorher daran gedacht, dass der Junge verloren gehen könnte, waren doch viele Verwandte, Freunde und Bekannte aus der Dorfgemeinschaft mit dabei. Da kann und muss man einen 12-jährigen doch nicht mehr ständig im Auge behalten, da muss man ihm doch seine eigenen Erlebnisse zubilligen. Zum Glück für uns alle ist die Geschichte gut ausgegangen: Wir hören, dass Jesus mit seinen Eltern nach Nazareth zurückgekehrt ist und sich wie zuvor in die Familie einfügt hat. Aber das Judentum und die heiligen Schriften blieben seine Welt. Er wurde zunehmend erfüllt von göttlicher Weisheit. Für Maria, die Mutter, aber war das alles kein Vorfall, den man vergessen könnte. Sie ahnte jetzt noch mehr von der Berufung ihres Sohnes. Das Ereignis war für sie voller Vorbedeutung für das Kommende. Auch zwei Jahrzehnte später sollte Jesus wieder zum Paschafest nach Jerusalem ziehen. Da aber nahmen die Ereignisse eine andere Entwicklung.

Die religiöse Identität als Jude und die Beheimatung in seiner Familie waren für Jesus von Nazareth die Wurzeln, aus denen sich seine Berufung zum Messias entfalten konnte. Kann man das so sagen? Ich denke ja. In abgeleiteter Form gilt es für jeden Menschen: Wer keinen festen Stand hat, den ja nur eine Verwurzelung geben kann, wird es schwer haben, in den Anforderungen und Gefährdungen einer immer komplexer werdenden Welt zu bestehen. Eltern, die sich den Fragen nach dem Woher und Wohin nicht mehr stellen, werden umso mehr versuchen, alle Schritte ihrer Kinder zu kontrollieren, sie zu behüten und darauf aus sein, mit jeder Schulnote für die Zukunft der Kinder vorzusorgen. Wo man hinhört, können Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Geschichten erzählen. Und dabei wissen wir es doch eigentlich alle: Materielle Güter machen nicht wirklich satt und Erfolg garantiert noch lange keinen Lebenssinn. Wir brauchen einen festen Orientierungsrahmen für unser Leben und geistige wie spirituelle Nahrung. Unsere jüdisch – christliche Tradition bietet uns dafür einen unerschöpflichen Reichtum an Geschichten und Botschaften. Wir sollten sie achten und uns um Kenntnisse bemühen. Was für ein Glück, wenn dann auch noch jemand zum Glauben an den Gott des Lebens finden kann. Amen

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5 Antworten auf Kinder brauchen Wurzeln und Freiräume – Fest der Heiligen Familie C

  1. Kähny sagt:

    „… an den Früchten werdet ihr sie erkennen… !“
    Zu sehr gilt das tradierte jüdisch-christliche Dogma vom “ gesegneten “ Erfolg:
    ich bin strikt gegen die Theologisierung von Kindern.

    • clara sagt:

      wurzeln geben sicherheit – wurzeln können durchtrennt werden und dennoch bleibt ein same da – der später ja wieder aufgehen kann.

      was meinten sie, kähny, genau mit „theologisieren von kindern“? da fehlt mir was.

      danke, lg, c

      • Kähny sagt:

        Hallo clara,
        es sind zumeist und zuerst die Mütter und Grossmütter,die ein Kind an die Tradition der Religion heranführen -und somit „Bindungsfähigkeit “ an einen vetrauenswürdigen Gott und die Mutter Maria herstellen.

        Ich verstehe unter „Theologisieren von Kindern“ das Vermitteln der sooft heillosen kirchlichen Moral durch „theologisierte“ Erwachsene:
        über (Erb-) Sünde(Ave Maria),Schuld (Vaterunser) ,Sühneopfer…:
        eine fast sadistische Enttabuisierung und Entmythologisierung des „Kinderglaubens“…

        „… wenn ihr nicht werdet wie die Kinder,werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen…!“

        • clara sagt:

          liebe kähny!

          danke für die info – ich kenn mich aus.
          meine kinder werden von mir an den glauben herangeführt, ja, aber eben nicht wie oben beschrieben, sondern mit befreienden, liebenden, heilenden ansätzen -die marienpredigt vom 1.1. hat mir endlich ein gutes bild für maria geliefert (danke, danke!!).
          ABER: meine kinder ecken an in ihrer umgebung, die wie beschrieben prägt… als zukünftige religionslehrerin habe ich also noch viel zu tun :-)

          liebe grüße. clara

          • Kähny sagt:

            „Anecken“,“Eckstein“,liebe Clara,
            was ist „recht“ und was ist „richtig „?
            Wenn Glaube Bindungsfähigkeit ist,so ist die der Erfolg einer Erziehung zur Kommunikationsfähigkeit:
            wie eine Amöbe auf ihrem Weg über „Versuch und Irrtum“ dem Widerstand mit einer Wendung begegnen können, die überrascht (!).

            Ich bin als Grossvater von 5 Enkeln so oft überrascht von deren Fähigkeit zu streiten und sich wieder zu vertragen : loslassen zu können…

            Streben nach Harmonie in der Herde,Mitschwingen wie das Korn im Wind, der Vogel,der Fisch im Schwarm.

            Die stärkste Kraft der Kinder ist der Humor, der sich aus dem Vertrauen speist, das Mutter und Vater schenken konnten.

            Humor und Selbstvertrauen sind die stärksten Waffen gegen die Angst – die Mutter des bodenlosen Bösen…

            (D i e s hat mich – leider- die Theologie n i c h t gelehrt…!)
            LG.KH.Kähny

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