Effata – Öffne dich! – 23. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 7
31 Jesus verließ das Gebiet von Tyrus wieder und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis.
32 Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.
33 Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel;
34 danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich!
35 Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
36 Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt.
37 Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.

Autorin:
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Elisabeth Dörrer-Bernhardt,
Pastoralreferentin in Stuttgart- Vaihingen
verheiratet, drei Kinder

 
Die Predigt:
Effata – Öffne dich!

Liebe Leserin, lieber Leser,
wie viel haben Sie heute schon gesprochen?
Nach einer Umfrage sprechen deutsche Ehepaare im Durchschnitt gerade mal 10 Minuten am Tag miteinander.
Sind Sie heute schon einem Menschen begegnet, der Ihnen zugehört hat?
In Zeitungen locken heute geschäfttüchtige Menschen mit dem Versprechen:“Ich höre Ihnen zu!“

Wir schicken E-Mails um die halbe Welt, haben aber oft keine Zeit mehr für einen nachbarschaftlichen Plausch. Wir leben in einer Zeit zunehmender Sprachlosigkeit, einer Zeit, in der Vereinsamung auch immer mehr Menschen trifft.

Jesus begegnet im heutigen Evangelium einem Menschen, der wirklich „sprachlos“, der stumm ist. Einer der real nicht hören kann und zugleich eine Symbolgestalt ist für den von den Medien heute überfüllten Menschen, der sich von seiner realen Umwelt zurückzieht und „taub und stumm“ im übertragenen Sinne wird.
In der Erzählung hören wir, dass Menschen seine Not wahrnehmen. Sie sehen, dass es dem Taubstummen schlecht geht und sie bringen ihn zu Jesus. Diese Menschen nehmen die Probleme des Taubstummen wahr, sie sehen, wie verkapselt er lebt, wie er in sich verschlossen ist. Sie vertrauen Jesus und bringen denn Taubstummen zu ihm.
Jesus lässt sich auf den Taubstummen ein. Er nimmt sich Zeit, ganz für ihn da zu sein, er nimmt ihn beiseite, er berührt ihn dort, wo er leidet. Er spricht das erlösende Wort: Effata – Öffne dich oder „Verschließ dich nicht länger, sei nicht länger in dir gefangen“.

Für die junge Christengemeinde, die aus dem Markusevangelium diese Erzählung liest. ist dieses Heilungswunder in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung.
Zum einem wird geschildert, dass Jesus mitten im Gebiet der Dekapolis heilt. Ein nichtjüdisches, ein heidnisches Gebiet. Jesus hat selbst betont, dass er vor allem für die Kinder Israels gekommen ist. Aber auch außerhalb Israels suchen Menschen Hilfe bei Jesus und Jesus verschließt sich nicht für sie. Für die junge Gemeinde ist das eine wichtige Zusage, ist doch die Heidenmission, das Hinausgehen der ersten Christen in die Welt noch ganz jung.
Zum anderen gibt es zur damaligen Zeit viele Wundertäter und Jesus weicht in seiner Art zu heilen nicht unbedingt von ihnen ab. Trotzdem ist er für die ersten Christen weitaus mehr als ein Heiler, er ist doch der Sohn Gottes. Deshalb betont der Evangelist Markus immer wieder, dass Jesus die Menschen auffordert über seine Heilungen zu schweigen, das heißt er will selbst nicht mit anderen Heilern in dieselbe Ecke gestellt werden. Jesus ist der Messias, weil er den Weg ans Kreuz gegangen ist und nicht weil er geheilt hat, das ist dem Evangelisten ganz wichtig zu sagen. Und doch sollen die Menschen erfahren, da wo Jesus ist, da geschieht Heil, da wird die Prophezeiung des Jesaja, die wir heute in der Lesung hörten wahr: Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen, die Zunge der Stummen jauchzt auf.

Für uns heute kann die Prophezeiung des Jesaja ein Schlüssel dafür sein, wie wir die Heilungen Jesu verstehen können. Bei Jesaja wird deutlich, dass seine Heilsworte, Worte über die Endzeit sind, die dem Volk schon jetzt Mut machen sollen, dass Gott sie nicht im Stich lässt und dass in seiner Gegenwart Gerechtigkeit und Heil geschehen. Wenn es nun auch bei uns im Evangelium heißt: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen, dann wird deutlich, dass das Heil Gottes von dem Jesaja spricht, bei Jesus in seinen Handlungen konkret sichtbar wird. Die Heilungen Jesu erzählen also davon, wie Gott ist, wie er alles heil macht und dass Jesus als Gottes Sohn mit seinen Heilungen uns diese Liebe Gottes zeigen möchte.
Freilich ist das ein punktuelles Geschehen, das nicht alles Leid der Welt wegwischen kann, sondern uns etwas von der Vision Gottes von uns Menschen und der Welt erzählt, die durch Jesu Handeln greifbar wurde.
Wenn Jesus heilt zeigt er uns, wie Gott die Welt in ihrer Vollendung meint. Das hat damals und heute Aufforderungscharakter.

Wir können nicht alle Krankheiten und Behinderungen heilen, wir fühlen uns oft ohnmächtig angesichts des Leids, das Menschen anderen zufügen, und doch fordert diese Erzählung uns heute auf zu sehen, wo wir die Welt, unsere Umgebung, uns selbst etwas heiler werden lassen können., etwas von der Vision Gottes aufleuchten lassen können.
Effata ruft Jesus. Öffne dich!
Taubstummheit heute, Kommunikationsarmut kann viele Gesichter haben:
Wenn ich so in Anspruch genommen werde von meiner Arbeit, dass ich keine Zeit mehr finde, um meinen Kindern richtig zuzuhören, oder keine Zeit finde, um meinen Partner mit seinen Gedanken wahrzunehmen oder im Gespräch gemeinsam zu entdecken, was Gott eigentlich mit uns als Paar vorhat, welche Vision er von uns hat.
Wenn mich mein Freizeitprogramm, mein Sport, mein Computer oder aufwändiges Hobby so in Anspruch nimmt, dass ich keine Zeit mehr habe, um mit einem Kollegen mehr als das Nötige zu sprechen, keine Zeit habe mich mal wieder mit alten Freunden zu treffen, keine Zeit der Nachbarin richtig zuzuhören…
In unserer Erzählung nehmen sich die Menschen Zeit für einen anderen. Sie öffnen sich für die Not des Taubstummen, sie vertrauen Jesus und bringen ihn zu ihm. Und der Taubstumme lässt sich von Jesus berühren, er lässt sich dort berühren, wo sein Problem liegt, er öffnet sich für diese Begegnung.
Christen erleben immer wieder, dass sie innerlich aufbrechen, dass sie einen neuen Weg finden, wenn sie sich von Jesus berühren lassen. Dazu muss ich wahrnehmen können, wo mir die Ohren verstopft sind, wo es mir die Sprache immer wieder verschlägt. Manchmal sind da Freunde hilfreich, die mir zeigen, wo meine blinde Flecken sind, manchmal wird mir es auch bewusst, wenn ich mein Leben vor Jesus bringe und ihm aus meinem Leben erzähle.

Uns berühren lassen von Jesus.
Wenn wir als Kind getauft wurden, dann haben auch uns schon andere zu Jesus getragen. Jedem Täufling wird das Effata im Taufritus zugesagt, wo es heißt: „Wie der Herr mit dem Ruf Effata dem Taubstummen die Ohren und den Mund geöffnet hat, öffne er auch dir Ohren und Mund, dass du sein Wort vernimmst und den Glauben bekennst zum Heil der Menschen und zum Lobe Gottes“.

Uns berühren lassen von Jesus.
Das kann viele Male erlebt werden. Beim Gottesdienst für die Schulanfänger, wenn die Kinder gesegnet werden. Bei Erstkommunionfeiern oder bei Hochzeitsfeiern, auch bei Trauerfeiern, es gibt immer wieder Momente im Leben, bei denen wir spüren, dass einer mitgeht durchs Leben, Momente in denen wir uns durch Not hindurch getragen fühlten oder in der Freude erlebt haben, dass Gottes guter Segen da ist.
Jedes Mal, wenn wir uns am Weihwasserbecken einer Kirche mit dem Kreuz bezeichnen, können wir uns der Zusage Jesu neu bewusst werden: Effata – Öffne dich, du kannst deine Verkrustungen, deine Taubheit, dein Stummsein überwinden. Jesus hat dich zu einem befreiten Leben gerufen.
Öffnen wir uns für alles Neue, das nun wieder diese Woche auf uns zukommt. Die Schule beginnt wieder, viele gehen nach dem Urlaub wieder zur Arbeit, der Alltag hält wieder Einzug. Öffnen wir uns für die Menschen, denen wir begegnen und öffnen wir uns dabei immer wieder für Gott, der unsere Verkrustungen aufbrechen kann und Gutes, Heil in unser Leben bringt. Amen

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