Wer aufbricht, kommt heim! – 7. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 2
1 Als Jesus nach Kafarnaum zurückkam, wurde bekannt, dass er wieder zu Hause war.
2 Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort.
3 Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen.
4 Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen die Decke durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab.
5 Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!
6 Einige Schriftgelehrte aber, die dort saßen, dachten im Stillen:
7 Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?
8 Jesus erkannte sofort, was sie dachten, und sagte zu ihnen: Was für Gedanken habt ihr im Herzen?
9 Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh umher?
10 Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten:
11 Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!
12 Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg. Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten: So etwas haben wir noch nie gesehen.

Autorin:
4f42d070Gabriele Thönessen, Gemeindereferentin im Pfarrverband Selfkant mit Schwerpunkt in der spirituellen Erwachsenenbildung, Bistum Aachen

 
Die Predigt:
Wer aufbricht, kommt heim!

Liebe Leserin, lieber Leser,
worum geht es in diesem Evangelium eigentlich? Geht es um predigen, heilen, vergeben oder streiten? Es lohnt, genauer hinzuschauen:

…sie laufen alle zusammen

Jesus hat sich schnell den Ruf eines Heilungspredigers erworben. Viele Menschen kommen von überall her, um ihn zu erleben. Wollen sie Jesus predigen hören? Oder treibt sie die Neugier nach Kafarnaum? Jedenfalls drängen sie sich im Haus und auf dem Platz davor, lassen aber den Schwerkranken nicht durch. Sie stehen dem im Weg, der wirklich Hilfe braucht. Damit erinnern sie mich an die neugierigen „Gaffer“, die sich bei Unfällen einfinden und den Weg für Feuerwehr und Notarzt versperren.
Auch heute erlebe ich Menschen – auch solche, die scheinbar nahe bei Jesus sind – und Situationen, die mir den Weg zum Glauben versperren. Aber auch Misstrauen, Vorurteile, schlechte Erfahrungen oder ein verzerrtes Gottesbild können den Blick verstellen.

Wahre Freunde

Dann brauche ich Freunde, die die Entschlossenheit haben, die ich nicht aufbringen kann. Das Evangelium erzählt von solchen Freunden, die unkonventionell nach Hilfe zu suchen, die Vertrauen haben; Vertrauen, dass Jesus helfen will und kann. Sie steigen Jesus „aufs Dach“ und legen ihm den kranken Freund zu Füßen.
Ihr Freund ist nicht nur hilflos, er kann aufgrund seiner Krankheit nicht am Gemeinschaftsleben teilnehmen, ist als Gelähmter kultunfähig und damit auch aus der religiösen Gemeinschaft ausgeschlossen. Aber er hat Freunde, die wissen, wo Hilfe zu finden ist. Diese fünf Freunde müssen nichts mehr sagen. Ihr Tun spricht Bände. Ihr Verhalten ist ihr Glaubensbekenntnis.

„Wer liebt, sieht tiefer“

Und was tut Jesus? Er sieht die eigentliche Not des Gelähmten. Die äußerlichen Hürden hat er durch seine Freunde zwar überwunden, aber innerlich trennt ihn noch vieles von Gott. Genau das nimmt Jesus weg in seinem erlösenden Wort von Gottes Vergebung. Dabei nennt er den Kranken liebevoll „mein Sohn“. Daraus spricht Nähe und Beziehung. Jesu Verhalten löst Verwunderung aus. Aber so ist das manchmal. Ich bitte Gott um eine Sache und bekomme eine ganz andere.
Sünde meint in diesem Zusammenhang nicht in erster Linie die Übertretung einzelner Gebote. Sonst wären die Schriftgelehrten in dieser Erzählung die Vorzeigegläubigen. Und das sind sie gerade nicht. Die Evangelien betonen, dass man alle Vorschriften erfüllen und trotzdem auf dem falschen Weg sein kann. Vom Wesen her ist Sünde Entfremdung des Menschen von sich selbst, von anderen und von Gott. Sünde kommt von Absondern. Sie macht einsam. Der Gelähmte steht hier für den unerlösten Menschen. Das Evangelium zeigt, dass ich nicht festgelegt bin auf meine Sünde, die mich lähmt. Aber ich kann mich nicht selbst erlösen. Ich brauche zugesagte Liebe und Barmherzigkeit. Und dabei genügt es, vertrauensvoll Jesu Nähe zu suchen und um Heilung zu bitten.

„Ich denk mir meinen Teil…“

Jesu Blick geht zu den Schriftgelehrten. Sie saßen schweigend da und beobachteten Jesu Verhalten. Sie, die Experten auf dem Gebiet des Gesetzes. Er fragt: „Was überlegt ihr in euren Herzen?“ Überlegt man normalerweise nicht mit dem Kopf? Diese hier sind jedenfalls nicht mit dem Herzen bei der Sache. Sie sehen weder den Kranken, noch seine Not, sie hören nur eines: Gotteslästerung. Nach dem Gesetz steht Gott allein die Sündenvergebung zu und es gibt vorgeschriebene Riten, wie man diese erlangen kann. Statt sich auf Jesus einzulassen, bleiben sie Zuschauer. Sie verschanzen sich hinter den Gesetzen und werden sich am Ende wohl auch nicht am Jubel der Menge beteiligt haben. Sie sind und bleiben die wahrhaft Gelähmten in dieser Erzählung.
Wenn ich Jesus nicht vertraue, dann hilft es auch nicht, Gottesdienste abzusitzen, Rosenkränze herunterzuleiern oder den Katechismus auswendig zu lernen. Ohne Vertrauen hat keine Beziehung eine Chance, weder die zu einem Menschen, noch die zu Gott.

Aufstehen und heimkehren

Jesus gibt keine langatmigen theologischen Erklärungen. Er schafft Fakten. Zuerst löst er die innere und dann die äußere Lähmung. Die körperliche Heilung bestätigt ihn und das, was er sagt. Durch sein Tun wird die von ihm verkündete Nähe des Reiches Gottes erlebbar. In dem was er sagt und tut verkündet er: Gott will dir nahe sein, dich heilen und aufrichten. Es ist erstaunlich, was da in Bewegung gerät durch ein erlösendes, liebevolles Wort: aufstehen, gehen, heimkommen.

Wenn heute Menschen darüber klagen, dass ihnen ein Problem schwer im Magen liegt, dass sie an einer Situation schwer zu tragen haben, sich über eine Entscheidung den Kopf zerbrechen, dass sie sich etwas schwer zu Herzen nehmen, drückt sich jeweils die Not der Seele im Körper aus. Auch hier hilft es nicht, wenn nur die Symptome behandelt werden.

Als der Gelähmte geheilt aufsteht, geraten die Zuschauenden außer sich. Sie werden ergriffen von dem Geschehen. Sie spüren, dass in Jesus Gott selber am Werk ist. Das ist es, was „mit Vollmacht handeln“ bedeutet. Solche Erlebnisse können uns in der Tiefe packen, bewegen und verändern. Es liegt jedoch an jedem selbst, was er daraus macht. Doch Ergriffenheit alleine reicht nicht. Der Theologe Sören Kierkegaard formulierte es so: „Christus will keine Bewunderer, sondern Nachfolger.“

Zu dieser Nachfolge will uns das Evangelium auffordern. Es erzählt von der heilenden Kraft des Glaubens, von Befreiung, die aufrichtet, von Hoffnung, die stark macht. Und es ermutigt, das Vertrauen aufzubringen, mich darauf einzulassen. Es fordert auf, in der Nachfolge Christi selbst „Wunder“ zu tun, einander zu vergeben, die Angstgeister durch Zuwendung und Trost zu vertreiben und so immer wieder Auferstehung mitten im Leben zu erleben.

So gesehen ist das Loch in der Decke, das geöffnete Dach, ein starkes Bild für den geöffneten Himmel.

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Eine Antwort auf Wer aufbricht, kommt heim! – 7. Sonntag im Jahreskreis B

  1. W. sagt:

    Mir gefällt der klare Aufbau der Predigt sehr.
    Bei diesem Evangelium habe ich mich aber oft gefragt, was wäre gewesen, wenn Jesus nach der Sündenvergebung keine Heilung der Lähmung hätte folgen lassen. Er sagt zu den Schriftgelehrten: „Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben“. Für uns heute wäre es doch leichter, an die Vollmacht Jesu zu glauben, wenn wir die Wirkung der Sündenvergebung an dem Gelähmten erfahren hätten. Wieso ging der Gelähmte einfach weg und reiht sich nicht in die Schar derer ein, die Gott priesen? Oder es stände im Text, dass er von nun an Jesu folgte, im Sinne Kierkegaards.
    „Christus will keine Bewunderer, sondern Nachfolger.“

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