Sehnsucht nach Gemeinschaft – 2. Sonntag der Osterzeit A

Erste Lesung aus der Apostelgeschichte, Kapitel 2
42 Die Gläubigen hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.
43 Alle wurden von Furcht ergriffen; denn durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen.
44 Und alle, die glaubten, waren an demselben Ort bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam.
45 Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.
46 Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens.
47 Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.

Kirchenfenster (2)
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin in Mannheim

 
Die Predigt:
Sehnsucht nach Gemeinschaft

Liebe Leserin, lieber Leser,
Echte Gemeinschaft oder Wunschtraum?
Die Beschreibung des Lebens der Urgemeinde mutet paradiesisch an. Manche denken sicher „Wie schön wäre es, wenn das in unserer Gemeinde auch so wäre!“ Die meisten werden das aber eher als Wunschtraum betrachten. Sicher war es das idealistische Ziel der Urgemeinde, doch sah die Realität wohl anders aus.

Schon als Jesus noch lebte, gab es Disharmonie sowohl unter den Jüngern selbst als auch mit Jesus. Etwa als er sich von einer Frau mit kostbarem Öl salben ließ, prangerten die Jünger das als Verschwendung an. Und unter dem Kreuz standen außer dem Lieblingsjünger Johannes nur die mutigen Frauen. Die ganze Jüngerschar hatte Jesus im Stich gelassen, Judas ihn gar verraten, Petrus ihn dreimal verleugnet. Von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung in solch einer schweren Situation also keine Spur…!

Und als der Auferstandene sich nicht zuerst Petrus, sondern Maria von Magdala zeigte, sie sogar beauftragte mit der Verkündigung der frohen Botschaft, glaubten ihr die Jünger nicht, allen voran Petrus. In den apokryphen Evangelien (die nicht in die Bibel aufgenommen wurden) wird ebenfalls von Disharmonie berichtet. Etwa weil Jesus nicht Petrus, sondern Maria von Magdala besondere Dinge offenbart hatte.

Doch die Trauer und Verzweiflung über den Verlust Jesu brachte die Jünger und Jüngerinnen wohl wieder zusammen. Wohin sonst hätten sie auch gehen sollen? Später wurde durch das machtvolle Pfingstereignis und die Wunder wahrscheinlich die Stimmung wieder so gut, dass die Gläubigen tatsächlich für einige Zeit in Liebe und Harmonie miteinander lebten. Diese Lebensweise zog natürlich dann viele Menschen an, die auch zu solch einer Gemeinschaft gehören wollten.

Wir haben hoffentlich alle schon die Erfahrung von tiefer, beglückender Gemeinschaft gemacht. Denn jeder Mensch trägt eine tiefe Sehnsucht in sich nach Verbundenheit und nährender Gemeinschaft. Natürlich ist auch im gemeinschaftlichen Leben nicht immer alles wunderbar. Doch der Grundakkord der Liebe, der Freude und des Füreinander-da-Seins verbindet alle, trotz Krisen und Konflikten. Im Optimalfall erleben wir das in unserer Familie. Doch Großeltern und Eltern sterben vor uns, Geschwister gibt es vielleicht keine. Dann ist eine Gemeinde um so wichtiger.

Fundament und Vision von Gemeinschaft
Die Lehre Jesu ist einfach zu verstehen, aber nicht einfach zu leben. Die Gläubigen halten an dieser Lehre fest – sie haben gemeinsame Werte und Überzeugungen. Durch diese sind sie miteinander verbunden. Jesus ist der Maßstab. Sie wollen im Alltag konsequent so leben, wie er es ihnen vorgelebt hat, auch wenn das nicht immer gelingt. Dies setzt eine klare Entscheidung voraus. Gelingende Gemeinschaft braucht auch Verbindlichkeit.

Was die Menschen davor getan haben, ist unwichtig. Entscheidend ist, wie sie jetzt leben: Gott, sich selbst und die Nächsten lieben, Vergebungsbereitschaft, Einmütigkeit, mit den Armen teilen, was sie haben, Kranke und Einsame trösten, tägliches gemeinsames Gebet und Gotteslob, miteinander in Freude Mahl halten als Agape durch nährende Speisen und Getränke für den Leib und als Sakrament durch Brot und Wein zur Erquickung von Geist und Seele.

Kirche – Diskrepanz zwischen Lehre und Verhalten
In der gesamten Kirchengeschichte wie auch heute sehen wir allerdings, dass es viele Meinungen von der wahren Lehre Jesu gibt. Auch wurden bewusst Aussagen von Jesus verschwiegen, verfälscht oder anders interpretiert oder übersetzt. Die „Irrlehren“ wurden von den Mächtigen immer unterdrückt, bisweilen ihre Führer sowie Gläubige sogar ermordet. Zahlreiche Kirchenspaltungen waren die Folge.

Heutzutage hat die Weigerung zu notwendigen Veränderungen und schonungsloser Aufklärung von Missbrauch jeder Art die Gläubigen bereits zu Millionen aus der Kirche getrieben. Die Diskrepanz zwischen gepredigter Lehre und tatsächlichem Verhalten sehr vieler Amtsträger ist zu groß; das Schweigen zu brisanten Themen bis hin zur Unterstützung gefährlicher Entwicklungen und Maßnahmen unvereinbar mit der Lehre Jesu. Auch die Kirchensteuer und ihre manchmal fragwürdige Verwendung ist ein Austrittsgrund.

„Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast“
Es gab immer wieder Menschen, die wie Jesus leben wollten. Beispielsweise Franz und Klara von Assisi. Die Brüder und Schwestern hatten alles gemeinsam, versammelten sich täglich zum Gebet und kümmerten sich um Arme und Kranke. Doch baldige Machtkämpfen im wachsenden Männerorden endeten in Spaltungen. Heute haben die meisten Ordensgemeinschaften durch Nachwuchsmangel keine Zukunft mehr.

Einigen wenigen, wie etwa der von Roger Schutz gegründeten Communauté de Taizé, ist es gelungen, notwendige Veränderungen zu machen und gleichzeitig die Essenz zu erhalten. Sie haben keine Nachwuchsprobleme, nehmen keine Spenden an und einige Brüder leben mit den Ärmsten in verschiedenen Ländern. Frère Rogers Botschaft war „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast, und sei es noch so wenig, aber lebe es.“ Bis heute kommen jährlich Zehntausende vor allem junge Menschen aus aller Welt nach Taizé. Für eine Woche erleben sie, wie Gemeinschaft trotz aller Unterschiede gelingen kann. Sie beten, singen und essen gemeinsam, tauschen sich aus und werden ermutigt, in ihren Ortsgemeinden kleine Gemeinschaften zu gründen. So sind weltweit Gebetsgruppen entstanden. In jährlichen europäischen Treffen werden Jugendliche von Kirchengemeinden und Gastfamilien aufgenommen.

Ungewollte Veränderungsprozesse und Krise als Chance
Der unfreiwillige Reinigungsprozess, der zunehmende Mangel an geweihten Amtsträgern und Ordensleuten sowie der demographische Wandel zwingen zu neuen Strukturen und Formen. Zukünftige Riesen-Pfarreien werden sicher weiter zu Mitglieder- und Bedeutungsverlust der Kirche führen. Selbst Zölibatsabschaffung und Frauenpriestertum würden das nur verlangsamen. Kirchliche Angebote gehen oft völlig an den Bedürfnissen der Gläubigen vorbei; gemeinsames Essen beispielsweise wird kaum angeboten. Die in der evangelischen Tradition beheimateten Hauskirchen dagegen wachsen seit Jahren.

Es bräuchte wieder ein Pfingstereignis, um die Vision auch in die Tat umzusetzen. Doch die heilige Geistkraft wirkt, wo sie will…! Außerhalb der Kirche suchen und finden sich immer mehr spirituelle Menschen, um echte Gemeinschaft zu leben, die auch Elemente verschiedener Traditionen einbeziehen. Denn es kommt nicht auf den Buchstaben, sondern den Geist an. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, ob eine Gemeinschaft ein stabiles Fundament hat.

Leben in Gemeinschaft – die natürliche Lebensweise
Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist ein urmenschliches Bedürfnis, Leben in kleinen Gemeinschaften die natürliche Lebensform. Unsere Urgroßeltern wohnten meistens noch mit ihren Nachkommen zusammen.
Im Mittelalter, als die Menschen überwiegend in Dörfern lebten, gab es außerdem die Allmende. Jedes Dorf besaß Wiesen, Ackerflächen, Wald und Wasser, wo alle etwas für den Eigenbedarf entnehmen durften. Heute entstehen zunehmend öffentliche Gemeinschafts-Gärten und essbare Städte.

Außerhalb der westlichen Welt gibt es noch Stämme und Clans, die in kleinen Dörfern leben oder umherziehen. Von diesen Gemeinschaften können wir lernen. Denn sie haben in Jahrtausenden tragfähige Lebensformen geschaffen, die sie bis heute überleben ließen. Ihre Merkmale sind der Lehre Jesu oft sehr nahe.

Es gibt Schöpfungsmythen: die Menschen hüten die Erde und teilen, was sie haben, weil alle Geschwister sind. Es gibt Rituale, um die Gemeinschaft zu stärken und für wichtige Lebensereignisse. Wer etwas Böses getan hat, wird nicht eingesperrt, sondern an das Gute in sich erinnert, Kranke werden auch durch Geistheilung geheilt. Beispielsweise hat das kleine Bergvolk der Kogi in Kolumbien noch nie Krieg erlebt. Einige sind nun nach Europa gereist, um die Menschen an die natürliche Lebensform wieder zu erinnern. Oder die Völker in der Kalahari – bei ihnen ist jede Arbeit gleichwertig, und ein erlegtes Tier wird mit allen geteilt.

Abschließend zwei wissenschaftliche Beispiele über die positiven Wirkungen von Gemeinschaft. Die Wissenschaftsjournalistin Lynne McTaggart hat folgendes herausgefunden: Wenn sich 6-12 Menschen real oder in Gedanken 10 Minuten mittels einer speziell formulierten Intention auf einen kranken Menschen konzentrieren, können beachtliche Heilungen geschehen – für alle Beteiligten. Das HeartMath Institute beschäftigt sich mit der Herzkohärenz. Durch spezielle Meditationen wird der Herzschlag harmonisiert. Sind mehrere herzkohärente Menschen zusammen mit einem nicht herzkohärenten, überträgt sich die Kohärenz auf ihn. So gibt es weniger Konflikte und mehr Verbundenheit.

Unabhängig vom Schicksal der Kirche wird die Essenz der Lehre Jesu, eingebunden in den jeweiligen kulturellen und spirituellen Hintergrund, überall auf der Welt weiter gelebt. Denn die Sehnsucht und die Vision von Geschwisterlichkeit, tiefer Gemeinschaft untereinander, mit Gott und auch mit Mutter Erde wohnen jedem Menschen inne. Amen

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Eine Antwort auf Sehnsucht nach Gemeinschaft – 2. Sonntag der Osterzeit A

  1. Lydia sagt:

    Das macht Mut. Vielen Dank für diese stärkenden Gedanken!

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