Die Kraft der Klage – 5. Sonntag im Jahreskreis B

Erste Lesung aus dem Buch Ijob, Kapitel 7
1 Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? / Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners?
2 Wie ein Knecht ist er, der nach Schatten lechzt, / wie ein Tagelöhner, der auf den Lohn wartet.
3 So wurden Monde voll Enttäuschung mein Erbe / und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu.
4 Lege ich mich nieder, sage ich: / Wann darf ich aufstehn? / Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert.
6 Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, / der Faden geht aus, sie schwinden dahin.
7 Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist. / Nie mehr schaut mein Auge Glück.

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 1
29 Jesus verließ die Synagoge von Kafarnaum und ging zusammen mit Jakobus und Johannes gleich in das Haus des Simon und Andreas.
30 Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen mit Jesus über sie,
31 und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie sorgte für sie.
32 Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus.
33 Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt,
34 und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu reden; denn sie wussten, wer er war.
35 In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten.
36 Simon und seine Begleiter eilten ihm nach,
37 und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich.
38 Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
39 Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.

Autorin:
scale-210-210-12_25508028_2Maria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen,
stellvertretende geistliche Leiterin der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung)

 
Die Predigt:
Die Kraft der Klage

Liebe Leserin,lieber Leser,
Wie reagieren Sie, wenn ein Freund Ihnen ausführlich sein Unglück schildert?
Falls er Sie dafür auswählt, wird Ihnen zugetraut, dass Sie zuhören können. Für das Gespräch sind die eigenen Reaktionen gleich entscheidend wie der Inhalt der Klage.
Ein berühmtes Wort sagt, geliebt wirst du einzig dort, wo du dich schwach zeigen kannst, ohne Stärke zu provozieren.

Ijob, der hier mit Hingabe klagt, hat drei Freunde, denen er sich in seinem ganzen Elend zeigt. Ziemlich wortgewandt, dennoch kostet es Überwindung, die erste Lesung des heutigen Sonntags so für sich stehen zu lassen. Vergeblich wartet man auf eine Wendung ins Tröstliche, ins Erbauliche. Wer gar das ganze Buch Ijob liest, muss tief eintauchen. Über dreißig Kapitel zieht sich Ijobs Auseinandersetzung mit seinen Freunden und mit Gott hin.
Ijob hat alles verloren. Herden wurden geraubt, die Knechte erschlagen, die Kinder kamen durch einen Wirbelsturm ums Leben. Schließlich verliert er noch seine Gesundheit, ein bösartiges Geschwür bedeckt ihn vom Scheitel bis zur Sohle.
Seine Freunde wollen ihm darlegen, dass das Leid ihn letztlich nicht grundlos treffe und suchen ausdauernd nach Verfehlungen in Ijobs Leben. Dieser bleibt beharrlich dabei, dass er zu Unrecht leide und streitet schließlich mit Gott himself.

Wie er so ausgiebig seine Situation schildert hat für heutige Hörer fast etwas Befremdendes. „Nie mehr schaut mein Auge Glück“, Ijob scheint geradezu in Melancholie zu verfallen.“Das“, um eine moderne umgangssprachliche Redewendung zu bemühen: „geht gar nicht“. Für Schwermut und Trübsal ist im globalisierten Kapitalismus kein Platz. Allenfalls burn out ist gestattet. Für Leistungsträger. Es wird erkannt und dann gehandelt. Punkt. Im Normalfall wird nach den Anteilen gesucht, die im Patienten selbst liegen. Ganz wie die Freunde Ijobs: irgendwie bist du selbst schuld an deiner Misere. Das ist die Botschaft, die nach Beratungsgesprächen hängen bleibt, neben wirkungsvollen Verhaltenstrainings.
So wichtig dies ist, was fehlt ist die Sprache für strukturelle Zusammenhänge.
Ich erinnere mich an ein Bild, das bei der Gemeinde im Arbeiterzentrum in Böblingen hing: ein Schraubstock in den eine Zitrone eingespannt war – ausgequetscht wie eine Zitrone. Eine Botschaft die jeder versteht. Ein Bild das entlastet: es gibt der unbestimmten Überforderung ein Gesicht.
Nun, es ist unangenehm, zuzugeben, dass man ausgequetscht wird. Viel lieber haben wir die Situation im Griff, geben uns selbstbestimmt und merken nicht, dass dies die absolute Form der Anpassung ist.

Was hindert uns, die entlastende Form der Klage zu nutzen?
Im Lesungstext ist eingangs von Tagelöhnern die Rede.
Wie verdreht sind heute Verhältnisse, in denen von Tausenden von Leiharbeitern erwartet wird, dass sie schweigend die schlechtere Bezahlung und Unsicherheit hinnehmen? Befremdet uns das Klagen mehr als dieses Unrecht?
Angesichts von wachsender Armut auf der einen Seite und frechem Reichtum auf der anderen, könnte es uns eher erstaunen, wie wir es anstellen nicht schwermütig zu werden, als umgekehrt. Ijob bedient sich der Klage als Ausdruck für Schmerz. Er hat Glück, weil er Zuhörer und gleichzeitig Kontrahenten hat. Durch das Gespräch entsteht gewissermaßen Öffentlichkeit. Und Ijob hält unbeirrbar daran fest, dass Gott sein Gegenüber bleibt auch im Streit. Seine Worte gehen nicht ins Leere.

Die Klage Ijobs bleibt nicht ungehört. Im Antwortpsalm 147 heißt es:
Gott heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden,
der Herr hilft den Gebeugten auf.
Ijobs Klage gründet sich im klaren Sinn für Recht und Unrecht. Auch als alles gegen ihn zu stehen scheint, verbiegt er sich nicht. Er verliert nicht die Orientierung. Er erwartet von Gott Gerechtigkeit. Gezeichnet von der Krankheit kann er gar nicht leugnen, dass er ein geschlagener Mann ist, aber er lässt sich nicht mundtot machen. Er streitet und fast scheint es so, als ob er es ist, der Gott wieder zur Besinnung bringt. Dieser hatte sich auf eine Wette eingelassen, bei der Ijobs Treue auf die Probe gestellt werden sollte.

Die neutestamentliche Lesung des heutigen Sonntags aus dem ersten Korintherbrief antwortet auf die Klage mit dem „jedem alles werden“ des Paulus, also mit Nähe, und das Evangelium mit Heilungserzählungen: Der Gott des Hinschauens. Wenn Jesus Kranke und Besessene heilt, stellt er sich in der Begegnung dem ganzen Elend das Ijob beschreibt.

Wenn Sie sich in einem Unglück an eine Freundin wenden, trauen Sie dieser zu, dass sie einigen Untiefen standhält. Das kann zum Umkehrpunkt werden.

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2 Antworten auf Die Kraft der Klage – 5. Sonntag im Jahreskreis B

  1. J. sagt:

    Es stimmt: Widerfährt jemandem Unglück, Krankheit, oder Unheil, dann wird schnell darüber hin weggegangen, die Ursache wird höchstens irgendwo anders gesucht, nur nicht im eigenen Umfeld.
    Ich hörte auch bei meinen Kollegen, Freunden und Bekannten: Mit Gott kann ich nichts anfangen, gerade als ich ihn am nötigsten hatte, war er nicht da. Mit Gott ist es nicht wie in eine wirtschaftlichen Bezeihung: Nur wer täglich Kontakt zu ihm sucht oder hält (wie Ijob) bekommt Trost oder Hilfe, auch wenn sie ganz anders ist, als man es sich vorstellt.
    In der Lesung steht: „….dein Leben ist wie ein Hauch….“ Wie oft höre ich bei Gesprächen über schwerste oder tötliche Krankheiten: „darüber will ich nicht sprechen!“ Es ist wie die Autorin schreibt: wer sich damit ernsthaft auseinandersetzt, der trägt auch persönliche Unglücke hoffnungvoller.

  2. W. sagt:

    Diese Predigt hat bei mir einiges klar gestell t.z.B.
    „Viel lieber haben wir die Situation im Griff, geben uns selbstbestimmt und merken nicht, dass dies die absolute Form der Anpassung ist.“ Genau, das ist die absolute Form der Anpassung! Bisher habe ich solche Menschen bewundert und versucht, sie nachzuahmen. Es gelang nicht und verunsicherte mich nur. Dank für diesen Satz.

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