Pfingsten heute zeitgemäß umsetzen – Pfingstmontag

Lesung aus dem Buch Joël, Kapitel 3, (alternative Lesung)
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
1 Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgieße. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben.
2 Auch über die Sklaven und Sklavinnen werde ich in jenen Tagen meine Geistkraft gießen.
3 Ich setze Zeichen an den Himmel und auf die Erde: Blut, Feuer und Rauchsäulen.
4 Die Sonne wandelt sich in Finsternis, und der Mond wird blutig rot, ehe der große, furchteinflößende Tag der Ewigen kommt.
5 Es wird geschehen, dass alle, die den Namen der Ewigen anrufen, entkommen werden. Denn wie die Ewige versprochen hat, wird es Rettung geben auf dem Berg Zion und in Jerusalem und unter den Überlebenden, die die Ewige gerufen hat.

Autorin:
Utta Hahn (2)Utta Hahn, Gemeindereferentin, Dekanatsreferentin in Schwäbisch-Hall

 
Die Predigt:
Pfingsten heute zeitgemäß umsetzen

Liebe Leserin, lieber Leser,
die zweiten Feiertage unserer christlichen Hochfeste weiten den Inhalt jedes Festes noch auf eine andere, vielleicht größere Dimension hin. Sie sind wie ein zweiter Schritt, der vielleicht wieder ins Leben und den Alltag zurückführt.

An Weihnachten feiern wir die Geburt Gottes, am Zweiten Feiertag den ersten Märtyrer.
An Ostern feiern wir die Auferstehung Jesu, am Zweiten Feiertag die Gegenwart Jesu im Alltag und im Ritual.
An Pfingsten feiern wir die Kraft des Heiligen Geistes, der die Freundinnen und Freunde Jesu aufbrechen lässt und die Gemeinschaft grundlegend auf Offenheit und Furchtlosigkeit hin verändert.
Und am Zweiten Feiertag? – Das ist die spannende Frage für die heutigen Gedanken, die ich mit Ihnen teilen möchte.

Ich habe die Lesung aus dem Buch des Propheten Joël gewählt. Sie wird in der Leseordnung als Alternative zur ersten Lesung angeboten. Und sie führt uns tatsächlich einen Schritt weiter vom Pfingstereignis hin zum Leben MIT dem Geist.

Wann und wo das kurze, nur vier Kapitel starke Buch von wem geschrieben wurde, das lässt sich nicht sicher festlegen. Die Möglichkeiten erfassen einen Zeitraum von mehreren 100 Jahren – vor dem Exil bis nach dem Exil – und vom Autor oder der Autorin gibt es nur den Namen Joël, keine weiteren Angaben.

Sicher ist auf jeden Fall, dass es alles hat, was ein Prophetenbuch sonst auch hat: Eine düstere Analyse der Gegenwart, einen Ausblick auf noch verheerender Katastrophen, wenn sich nix ändert, und den Blick Gottes, der einerseits enttäuscht und zornig ist, aber dann doch Barmherzigkeit in Aussicht stellt und mit der Verheißung auf Glück, Frieden und Wohlstand die Hoffnung und Zuversicht der Menschen erreichen will.

Und in dieser Vision spielen die Menschen eine wichtige Rolle.

    1 Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgieße. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben.
    2 Auch über die Sklaven und Sklavinnen werde ich in jenen Tagen meine Geistkraft gießen.

Nach Joëls Ankündigung werden es nicht die Mächtigen und die Entscheidungsträger sein, die den richtigen Weg erkennen, sondern die Söhne und Töchter – das ist hier nicht gegendert, sondern steht mit zwei Worten im Text – werden prophetisch reden. Sie werden die Zeichen der Zeit erkennen und deuten können. Sie werden den Geist – die Geistkraft haben. Und diese Kraft gilt ALLEN – da gilt kein Unterschied mehr in der Hierarchie oder sonstigen gesellschaftlichen Unterschieden.

Die Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte dazugelegt, ist der Bezug leicht herzustellen. Das, was die Freundinnen und Freunde Jesu erlebt haben, passt zu den prophetischen Ankündigungen. Es ist dieselbe Geistkraft, die schon immer in der Glaubenswelt der Gemeinde wirksam und lebendig war. Und immer schon war es wichtig, in diesem Geist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Veränderung der Gruppe, des Volkes, des Glaubens, der Tradition anzugehen und zuzulassen.

Joël hilft uns bei der Suche nach den „richtigen“ Zeichen, bei der Suche nach dem „wahren“ Geist, bei der Unterscheidung der Geister: was ist guter und was ist schlechter Ratgeber? Dort finden wir, wen wir fragen sollten, um Gottes Geist zu hören. Die Söhne und die Töchter – alle Menschen in der Gesellschaft, die eigenen und die fremden; die mit Stimmrecht und die ohne Stimmrecht. Es wird keine geisterfüllten Entscheidungen und Veränderungen geben, wenn sie NUR von denen getroffen werden oder nicht getroffen werden, die dafür bisher die Macht und das Mandat beansprucht haben.

An Pfingsten erkannten die Jüngerinnen und Jünger Jesu die Zeichen der Zeit und konnten sie prophetisch deuten – sie konnten die Auferstehung verkünden, das Reich Gottes leben und der Welt sichtbar machen. Das heißt, sie konnten ihren Glauben neu verstehen und all die Veränderungen, die das mit sich brachte, umsetzen. Eine Gemeinschaft leben, die nach anderen als den bisherigen Maßstäben funktionierte. Die Gebote und Vorschriften neu ausrichten. Einander in Würde und Gerechtigkeit begegnen. Gottes Liebe für jeden Menschen erkennen und alle Menschen als Geschwister wahrnehmen. Dem gemeinsamen Gebet und der gemeinsamen Erkenntnis vertrauen – heute würde das vielleicht heißen, dem „Sensus fidelium“ – dem Glaubenssinn aller Gläubigen vertrauen. Angstfrei miteinander feiern, beten und leben.

Ja und mit Joël können wir vielleicht auch Pfingsten heute zeitgemäß umsetzen. Lasst uns, wenn gestern Pfingsten war, heute auf die Jungen Leute hören, die uns prophetisch die Zeit und die Not und die Krise deuten; lasst uns auf die hören, die wir oft als „nicht zu uns gehörig“ ansehen. Nehmt Abschied von Privilegien, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit erhalten und fortführen.

Junge Menschen wollen mehr Klimaschutz, weil sie auch in Zukunft noch auf dieser Welt leben wollen. Junge Männer und Frauen wollen gehört, wahrgenommen, gefragt werden – mitentscheiden – all das in und außerhalb der Kirche.

Und die Unterscheidung der Geister? Wie wissen, was Gottes Geistkraft ist und was nicht?
Alles, was Hoffnung auf eine gerechtere, liebevollere, friedlichere Zukunft stärkt, was alle Menschen in den Blick nimmt, was Würde und Bewahrung der Schöpfung bedeutet – all das zeigt uns die Richtung. Was abschottet, was einengt, was ausgrenzt kann nicht aus dieser freimachenden Geistkraft sein.

Jesu Auftrag war eindeutig: das Hinausgehen, das Sich-offen-Halten, das Sich-Aussetzen und das Vertrauen. Strukturen sind und waren dabei eher nachrangig.

Die ersten Gemeinden haben ausprobiert. Und wie sich das Leben entwickelte, so wurden auch Entscheidungen getroffen. Das könnte doch Mut machen, nicht alle Probleme der Kirche aber auch des eigenen Lebens mit einem Wurf lösen zu wollen oder zu können. Aber noch mehr Mut braucht es anzufangen, denn nichts ist unwiderruflich. Die Geistkraft lässt sich nicht einsperren und Söhne und Töchter entwickeln und verändern sich – vielleicht schneller als die Alten das manchmal wünschen oder wahrhaben wollen.

Liebe Leserinnen und Leser, lassen wir uns aus dem Pfingstereignis inspiriert darauf ein, im Alltag bei denen genau hinzuhören, bei denen wir sonst nicht die perfekten Antworten erwarten. Trauen wir unseren Träumen, fangen wir an, unsere eigenen prophetischen Gedanken zu teilen und mitzuteilen. Die Geistkraft ist mit uns.

Wie war das nun also mit dem zweiten Feiertag?
An Pfingsten erzählt die Apostelgeschichte von einem Ereignis in Jerusalem. Am zweiten Feiertag gilt die Verheißung uns allen – jung und alt, mächtig und ohnmächtig, Sohn und Tochter. Das Geschenk für ALLE Menschen. Wir sollen und können an einer gerechten Welt für alle Menschen mittun. Amen

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