Mit den Augen Gottes sehen und antworten – Hochfest der Geburt des Herrn

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
1 Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott.
2 Im Anfang war es bei Gott.
3 Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
4 In ihm war das Leben / und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis / und die Finsternis hat es nicht erfasst.
6 Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes.
7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.
8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.
9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, / kam in die Welt.
10 Er war in der Welt / und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
11 Er kam in sein Eigentum, / aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12 Allen aber, die ihn aufnahmen, / gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, / allen, die an seinen Namen glauben,
13 die nicht aus dem Blut, / nicht aus dem Willen des Fleisches, / nicht aus dem Willen des Mannes, / sondern aus Gott geboren sind.
14 Und das Wort ist Fleisch geworden / und hat unter uns gewohnt / und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, / die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, / voll Gnade und Wahrheit.

Autorin:
scale-210-210-12_25508028_2Maria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen,
stellvertretende geistliche Leiterin der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung)

 
Die Predigt:
Mit den Augen Gottes sehen und antworten

Liebe Leserin, lieber Leser,
nach der anschaulichen, einfachen Erzählung von Heiligabend mit Krippe, Engel und Hirten steht Jahr für Jahr am ersten Weihnachtstag „das Wort an sich“ im Mittelpunkt der Verkündigung. Verschiedene Personen, die nicht jedes Jahr an Weihnachten dem Evangelium lauschen, lasen auf meine Bitte hin den Text. Die häufigste spontane Reaktion war Ausdruck von Verwirrung.
Beim zweiten, dritten Lesen zeigten manche eine gewisse Neugier bis hin zu, „ ja ganz einfach: ohne Gott entsteht nichts.“

Tatsächlich erscheint der Text bei wiederholtem Lesen, am besten laut gelesen, ganz schlicht. Gleichzeitig wird er unter Fachleuten als schwierig gehandelt. Schlicht und schwierig, im Sinne von gehaltvoll, sind zwei Aspekte, die sich nicht ausschließen müssen. Wiederholt gelesen tönt der Auftakt zum Johannesevangelium kraftvoll, klar und bestimmt:
„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“In diesem einen Satz werden wir mit zurückgenommen an den Uranfang, Genesis 1,
„im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. So ursprünglich wie die Erschaffung der Welt ist das Geschehen von Weihnachten: die Geburt Jesu. Wir Christen deuten das Wort auf Jesus hin, es kann in anderer Lesart auch als Weisheit gedeutet werden:
Im Buch der Sprichwörter heißt es über die Weisheit: „Der Herr hat mich geschaffen, im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit;… als die Urmeere noch nicht waren , wurde ich geboren, …als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm.“

Alles ist durch das Wort geworden
Nach biblischem Verständnis lenkt Gott durch sein Wort die Geschichte. Er lenkt die Geschicke der Welt, die er durch sein Wort überhaupt erst hervorgebracht hat.
Gott sprach… und es ward…. Gottes Worte schaffen Wirklichkeit. Aus ihnen entsteht das Leben selbst. Worte, die gleichsam Taten sind. Keine Befehle, keine Anordnungen, die ausgeführt werden, sondern Worte, die indem sie gesprochen werden etwas bewirken. Im persönlichen, zwischenmenschlichen Bereich erleben wir das durchaus: im Trostwort, im Versprechen, auch in einem offenen Wort der Kritik. Ein Wort, das an mich als Gegenüber gerichtet ist, erreicht mich und hat die Chance etwas auszulösen, zu bewirken. Die Aktivität des Sprechens steht im Vordergrund. Gleich wie im Moment, in dem eine in einer Versammlung zum richtigen Zeitpunkt ein treffendes Wort findet. Vor einigen Wochen haben wir einen Diskussionsabend gestaltet, an dem Menschen, die sonst nie Gehör finden, für sich selbst sprechen konnten. Einer hat sich zunächst permanent entschuldigt und gesagt er könne nicht gut reden – um dann vielen aus dem Herzen zu sprechen.
Gottes Worte, die Leben in sich tragen, sind in konkrete geschichtliche Situationen hinein gesprochen. Die Propheten zeugen davon. Einige haben mühsam mit sich und mit Gott gerungen, vor sie den Mut zum Sprechen fanden. Nicht immer sind gesprochene Worte das Ergebnis, es kann auch, wie dieser Tage das von Unicef zum Foto des Jahres gekürte Bild sein. Es zeigt einen Jungen auf der Suche nach verwertbarem Schrott, auf einer Giftmüllhalde hält er einen TV- Monitor hoch. Ein Aufruf zur Umkehr: allein aus Deutschland kommen jährlich rund 100 000 Tonnen Giftmüll nach Afrika. Vermutlich würde er sich selbst nicht so bezeichnen, doch diese Arbeit des Fotografen Kai Löffelbein, wirkt prophetisch. Es zeigt die Wirklichkeit. Und gibt uns die Chance, diesen Jungen mit den Augen Gottes zu sehen, der die Welt mit seinem Wort geschaffen hat.
Das Einzige, was wirklich von uns gefordert ist, ist: uns nicht zu verweigern.
Das Einzige, was wir Gott schulden ist: hören und antworten.
Wieder und wieder wurden Propheten gerufen, Jahrhunderte lang hat sich das Volk Israel aufgerichtet an der beständigen Erinnerung an Gottes Gerechtigkeit und der Hoffnung auf Frieden.
Und dann geschieht es:
Das Licht kam in die Welt, … das Wort ist Fleisch geworden,
Gott entäußert sich radikal in seine Welt. Weihnachten darf stimmungs- und gefühlvoll sein, ein rein innerliches Geschehen ist es nach diesen Johannesworten nicht. Die Mitmenschlichkeit Gottes will spürbar werden und seine Ordnung von Gerechtigkeit und Frieden will in unseren sozialen, das Zusammenleben bestimmenden Regelungen erkennbar sein. Gott will sich in der Welt, im Zusammenleben der Menschen ausdrücken. Dies bezeugt Jesus in seinem Leben.
Gott hat die Welt ins Leben entlassen und will sie mit seinem Wort erreichen. Dafür gibt er alles. Er spricht, bietet sich an, setzt sich aus, wird aufgenommen oder nicht – aber niemals, so sagt ein Psalm kehrt das Wort leer zu ihm zurück. Manche sagen, dass auch Jesus, der zum Vater zurückgekehrt ist, diesen verändert hat. Das Wesentliche geschieht zwischen Gott – Mensch – Mensch – Gott.
Gleich wie wir uns, wenn wir uns verstanden wissen, frei fühlen, spannt sich in Wort und Antwort zwischen Gott und Menschen ein Freiraum aus, der uns ins Leben bringt und zum Handeln befähigt. Dieses stetige Geschehen vergegenwärtigen wir an Weihnachten. Wir sind zum Mitwirken gerufen. Erstaunlich, mit welchem Aufwand wir von diesem eigentlichen Geschehen an Weihnachten alljährlich ablenken. Mit Konsum und Verpackungsorgien hat es recht eigentlich wenig zu tun. Mit Freude und feiern schon – wenn wir denn auch Gerechtigkeit und Frieden zur Wirklichkeit verhelfen, im Persönlichen und in der Welt. Amen.

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Eine Antwort auf Mit den Augen Gottes sehen und antworten – Hochfest der Geburt des Herrn

  1. Theresia Sinz sagt:

    Vielen Dank für diese schöne Weihnachtspredigt, die mich sehr berührt hat.
    Und vielen Dank, dass es diese Seite gibt. Vor einigen Monaten wurde ich darauf aufmerksam und seither kann ich die jeweils neue Predigt kaum erwarten und schaue oft schon freitags auf die Seite, ob die neue Predigt da ist; und schon oft war es so, dass sich mir ein Bibeltext völlig neu erschlossen hat. Danke!

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