Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe – 4. Sonntag der Osterzeit B

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 10
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
In jener Zeit sprach Jesus:
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe.
12 Bezahlte Angestellte, die nicht Hirtinnen oder Hirten sind, und denen die Schafe nicht gehören, die sehen den Wolf kommen und verlassen die Schafe und fliehen – und der Wolf raubt die Schafe und treibt sie auseinander.
13 Dies geschieht, weil sie bezahlte Angestellte sind und ihnen nichts an den Schafen liegt.
14 Ich bin der gute Hirte und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
15 so wie mich Gott wie eine Mutter kennt und ich Gott kenne. Und ich gebe mein Leben für die Schafe.
16 Aber ich habe noch andere Schafe, die nicht von diesem Hof stammen; auch diese muss ich führen und sie werden meine Stimme hören, und sie alle werden eine Herde mit einem Hirten sein.
17 Deshalb liebt mich Gott, weil ich mein Leben gebe, um es wieder zu empfangen.
18 Kein Mensch nimmt es von mir, sondern ich gebe es von mir selbst aus. Ich habe Macht, es zu geben, und ich habe Macht, es wieder zu empfangen. Diesen Auftrag habe ich von Gott, meinem Ursprung, empfangen.«

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin a.D. der Diözese Rottenburg-Stuttgart, jetzt Pfarrgemeinderätin in St. Bruno, Würzburg

 
Die Predigt:
Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe

Liebe Leserin, lieber Leser,
als wir noch in der Nähe der Schwäbischen Alb wohnten, habe ich öfter Hirten mit ihren Schafherden gesehen, für mich ein so schönes Vertrauen erweckendes Bild: Der Schäfer oder die Schäferin steht ruhig auf den Stab gestützt, der Hund in ihrer Nähe und die zufrieden grasenden Schafe ringsum. Eine Idylle in ruhiger Natur, auch wenn der Beruf des Schäfers schwer ist.

Der gute Hirte
Im Evangelium geht es nicht um den Hirtenberuf, auch nicht um Berufung. Es geht um viel mehr. Jesus sagt von sich: Ich bin der gute Hirte. Er ist der gute Hirte mit Leib und Seele, Haut und Haar; es ist sein Wesen, Hirte zu sein. Jesus sagt weiter von sich: Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe. Kann man es den angestellten Hirten verdenken, wenn sie – chancenlos – vor einem herannahenden Wolf fliehen? Was sollen sie gegen ihn ausrichten? Der Wolf zerreißt einige Schafe, während die Herde in Panik auseinander stiebt. Der gute Hirte dagegen, zerreißt sich für seine Schafe und stellt sich dem Tod. Jesus hat es bewiesen. Denn: Die Schafe sind sein Eigen; er kennt jedes einzelne von ihnen in seiner Besonderheit, keines ist wie das andere, und die Schafe kennen ihren Hirten. Jesus vergleicht diese Verbundenheit sogar mit seiner innigen Beziehung zum Vater.

Das dürfen wir heute wieder in uns aufnehmen: Jesus kennt jede und jeden Einzelnen unter den Seinen in- und auswendig und zerreißt sich für sie und ihn. – Doch wie gelange ich in diesen Kreis von Menschen, die zu seiner „Herde“ gehören? Allein durch die Taufe? Und nur mit der Taufe? Die Taufe ist der Anfang, ganz bestimmt, wie ein Schaf sein Prägezeichen bekommt, dass es zur Herde eines besonderen Hofes gehört. Doch kommt es dann darauf an, dass ich den Hirten und seine Stimme kennenlerne, dass ich herausfinde, was er will und was er für mich und von mir im Besonderen will. Es muss die Möglichkeit geben, miteinander Zeit zu verbringen, gemeinsam etwas zu erleben, auf die Worte des anderen zu hören, kurz: miteinander auf dem Weg in dieselbe Richtung zu sein. Nicht umsonst werden die ersten Christinnen und Christen zuerst Anhänger des Weges genannt (Apostelgeschichte 9,2). Jedes Kirchenjahr nimmt uns als Gemeinde mit und gibt uns von Neuem die Gelegenheit, miteinander Jesus auf die Spur zu kommen.

Wer gehört dazu?
Und auf diesem Weg hin zu Gerechtigkeit und Frieden unter den Menschen und Völkern sind auch andere Glaubensgeschwister unterwegs, Schafe, die nicht von diesem Hof stammen, heißt es im Evangelium. Jesus kennt die Seinen und zählt alle Menschen dazu, die zwar andere Gebetsformen und Gebräuche haben, Gott mit anderen Namen nennen und deren Glaubensgeschichten in anderen Büchern als der Bibel aufgezeichnet sind, die aber Hass und Gewalt in jeder Form ablehnen und bekämpfen. Alle gehören dazu, die auf dem Weg zu einer Welt sind, die Jesus das Reich Gottes nennt. Der vor Kurzem verstorbene Theologe Hans Küng hat leidenschaftlich für das gegenseitige Kennenlernen der großen Religionsgemeinschaften und den Respekt voreinander geworben. Sein Credo: Ohne Frieden zwischen den Religionen kein Weltfrieden.

Hirten und Wölfe in der Kirche
Schauen wir auf unsere Kirche in der Gegenwart. Das Bild vom guten Hirten wurde auf die kirchlichen Ämter übertragen: der Pfarrer als Hirte seiner Pfarrei, der Bischof als Oberhirte seiner Diözese und zeigt uns, wie es sein sollte: Pfarrer, Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sich um Gelegenheiten mühen, ihre Gemeindemitglieder kennenzulernen, auf sie zu hören, ihre Verschiedenheit wahrzunehmen, Begabungen und Berufungen durch Jesus zu entdecken und zu fördern, Bischöfe, die „die Zeichen der Zeit“ erkennen und auch dafür einstehen. Dass es sich da um ein Ideal handelt, dem man sich als Mensch nur annähern kann, ist wohl allen klar. Und doch ist es für die Seelsorge eine verpflichtende Zielvorstellung, die man nicht einfach beiseite schieben kann.

Die Vergangenheit war anders, doch ganz bestimmt nicht besser als heute, wenn man Erlebnisse alter Menschen mit der Geistlichkeit früherer Zeiten hört, in denen es um Züchtigung von Kindern, Ausschluss von Geschiedenen und evangelischen Christen geht. Damals und heute zeigt sich der gefährliche Wolf da und dort im Hirtenmantel, wenn Geistliche und kirchliche Angestellte sich an Kindern und Jugendlichen vergingen, hoffentlich ist die Vergangenheitsform berechtigt, – mit 2 Prozent eine kleine Zahl aufs Ganze gesehen, aber jede einzelne Tat ein furchtbares Verbrechen mit verheerender Wirkung für die Opfer und die ganze Kirche, eine echte Zerreißprobe.

Der Wolf im Hirtenmantel tritt auch in Gestalt des römischen Lehramts auf, wenn in der langen Kirchengeschichte entstandene Lehrsätze als in Stein gemeißelt und unumstößlich hingestellt werden, um ja kein Lüftchen der Veränderung zuzulassen. Wenn Berufungen durch Christus nicht ernst genommen werden, weil ein junger Mann die Verpflichtung zum Zölibat nicht übernehmen kann oder wenn eine Frau sich zur Diakonin und Priesterin gerufen weiß, nicht selten in einem jahrzehntelangen geistlichen Klärungsprozess. Wie viele belastete und zerrissene Lebensgeschichten, wie groß der Verlust und Schaden für die kirchliche Gemeinschaft! Wenn Jesus von sich sagt: Ich bin die Tür für die Schafe (Joh 10,7), dann ist das Kirchliche Lehramt die Institution, die die Tür immer von Neuem zuschlägt und viel zu wenige Oberhirten haben den Mut, den Fuß dazwischen zu stellen.

Doch sind nicht nur die Machthabenden angesprochen. Wir alle sind in unserem Lebensbereich Hirtinnen und Hirten als Eltern und Großeltern, als Studierende und Arbeitende, als junge und alte Menschen, als Ehrenamtliche in den Kirchen. Jesus sagt uns, worauf es ankommt. Wir alle haben den Auftrag, Jesus immer besser kennenzulernen und einander mit Respekt als verschiedene und einmalige Menschen zu begegnen. Und die Kirchen insgesamt hätten den Auftrag, für die Armen und Geschundenen dieser Welt nicht nur mit Worten, sondern mit spürbaren Taten einzutreten. Wer, wenn nicht die Anhänger des Jesusweges? Das müsste uns umtreiben. Amen.

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