Im Labyrinth der Welt – 2. Adventssonntag B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 1
1 Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes:
2 Es begann, wie es bei dem Propheten Jesaja steht: Ich sende meinen Boten vor dir her; / er soll den Weg für dich bahnen.
3 Eine Stimme ruft in der Wüste: / Bereitet dem Herrn den Weg! / Ebnet ihm die Straßen!
4 So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündigte Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
5 Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen.
6 Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig.
7 Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren.
8 Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.

Autorin:
KonnyKornelia Vonier-Hoffkamp, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Remseck mit Ludwigsburg-Poppenweiler,
Gestaltpädagogin

 
Die Predigt:
Im Labyrinth der Welt

bolswart (Durch einen Klick auf das Bild wird eine gute Darstellung erreicht)
Die christliche Seele im Labyrinth der Welt. Kupferstich des Boethius von Bolswart (1580 -1634),
Emblem in Hermann Hugos Erbauungsbuch »Pia desideria«

Liebe Leserin, lieber Leser,
mit einem Bild aus dem 16. Jahrhundert möchte ich meine heutige Predigt beginnen. Es trägt den Titel: Die christliche Seele im Labyrinth der Welt. Ein Labyrinth, so ähnlich, wie es gerade fertig geworden ist auf unserem Kirchplatz in Hochberg.
Das Labyrinth aber vor allem auch, weil es im heutigen Evangelium um einen Weg geht, der gebahnt und bereitet werden soll für den, der kommt.

Betrachten wir zuerst einmal das Bild genauer:
wir sehen einen Weg, den Menschen gehen, gestaltet als Labyrinth, der Weg des Menschen durch diese Welt. Sein Ziel: die Pforte, die aus dieser Welt herausführt in eine andere Welt (ungefähr in der Mitte des Bildes). Diese andere Welt ist nicht sichtbar, eine Mauer verbaut uns den Blick.
Wir sehen Menschen, die allein den Weg suchen durchs Labyrinth der Welt, einen mühsamen Weg, einen verschlungenen Weg mit vielen Wendungen,
ein Weg, der misslingen kann, auf dem der Mensch vom Weg abkommen und abstürzen kann – Sie sehen das rechts in der Mitte des Bildes.
Wir sehen einen anderen Menschen, der mit einem Blindenhund unterwegs ist, der kann man sagen „blind“ vertraut, sich tastend, suchend, vorsichtig, Schritt für Schritt vorwärts bewegt, aber abhängig ist von einem anderen Wesen. Und auch dieses kennt den Weg zum Ziel nicht.
Und wir sehen eine Person, die, scheinbar frohgemut, mit Hilfe eines Pilgerstabes, den ihr angebotenen Faden nimmt, gehalten von einem Wesen auf der Spitze des Turmes, dem Ziel der Reise, einem Engel vielleicht, der diese Person begleitet und führt, weit weg, nicht deutlich sichtbar, aber immer da.

Für mich drückt dieses Bild die unterschiedlichen Möglichkeiten aus, als Mensch durch dieses Leben zu gehen: allein und nur auf mich vertrauend, als Maßstab die Gesetzmäßigkeiten der Welt, innerweltlich begrenzt oder als glaubender und hoffender Mensch, der sich geführt und gehalten weiß, der über die Maßstäbe der Welt hinaus sieht in eine andere Welt, in der andere Gesetze gelten.
Und ich bin dankbar dafür, dass ich daran glauben darf, dass mein Gelingen nicht allein von mir und meinem Tun abhängt, dass es da noch andere Wirkkräfte außerhalb meiner Verfügungsgewalt gibt.

Anders als in einem Irrgarten gibt es in einem Labyrinth nur einen einzigen Weg zum Ziel. Dieses Bild hilft mir für meinen Alltag: Ich kann zwar das Ziel aus den Augen verlieren, ich muss oft umkehren und manchmal fühle ich mich weiter weg vom Ziel als zu Beginn, aber ich habe die Gewissheit, wenn ich unterwegs bleibe, wenn ich das Ziel anstrebe, dann kann mein Weg nicht misslingen.
Eine jüdische Legende fällt mir dazu ein. Sie erzählt: während der gesamten Schwangerschaft sei ein Engel mit einer Kerze bei dem Baby und flüstere ihm alle Weisheit des Universums ein. Doch bei der Geburt gebe der Engel dem Baby einen Kuss auf die Oberlippe und dadurch sinke alles Wissen in sein Unbewusstes. Deshalb muss der Mensch in seinem Leben danach streben, die Wahrheit selbst zu erfahren und sich wieder an sie zu erinnern – ganz bewusst. Die kleine Mulde in der Mitte unserer Oberlippe soll uns helfen, daran zu denken. Der Mensch braucht nichts neu zu entdecken, sondern nur wiederzuentdecken. Eigentlich ein tröstlicher Gedanke.

Und auf diesem Weg sind wir nicht allein. Unsere ganze Vergangenheit geht uns voran und mit ihr all die Menschen, die uns eine Ahnung davon vermittelt haben, worum es geht im Leben, Johannes der Täufer, die Heilige Barbara, deren Gedenktag wir heute feiern, meine Ahninnen und Ahnen, meine Großeltern und Eltern, alles war da und bereitete hier etwas Einmaliges vor: meine Geburt.
Und egal wie willkommen ich war und egal, welche Negativ-Botschaften mir mit auf meinen Weg gegeben wurden: von Gott bin ich gewollt, sonst wäre ich nicht hier.

Bestimmt fallen Ihnen auch ganz konkret Personen ein, die für Sie Vorbild waren, die Sie in Ihrem Glauben geprägt haben. Mir fällt dazu meine verstorbene Großtante ein, in deren Haus ich während meines Studiums gewohnt habe. Ich wurde schon gewarnt, dass einen das Theologiestudium allen Glauben verlieren lässt, weil alles auseinander genommen und seziert wird, weil der persönliche Glaubensvollzug zu kurz kommt, weil sich die Sinnzusammenhänge nicht erschließen. Da war es für mich sehr kostbar meine Großtante zu erleben, die ganz selbstverständlich in ihren Gottesdienst in der Domgemeinde ging, zum Hausgebet im Advent einlud, in Ihren religiösen Andachtsbüchern las, einen ganz einfachen Glauben hatte, der ihr aber ihr ganzes Leben hindurch half, ihr nicht einfaches Schicksal anzunehmen und zu tragen, ihre Einsamkeit auszuhalten und vieles mehr.

Und nun, da ich da bin auf dieser Welt, habe ich meinen Weg zu gehen, einen Weg, der oft Dürreperioden kennt. Nicht umsonst lässt Markus sein Evangelium in der Wüste beginnen, der Wüste als Bild für unser Leben, in der schon das Volk Israel 40 Jahre unterwegs war nach dem Auszug aus der Gefangenschaft in Ägypten und vor dem Einzug ins Gelobte Land. In diesem Dazwischen leben auch wir.
Aber es gibt, haben wir gehört, einen Rufer in der Wüste, Johannes, aus dem Hebräischen übersetzt heißt das: „Gott ist gnädig“. Und dieses Wort Gnade ins Lateinische übersetzt, um seinen Sinn zu erschließen, heißt „Gratia“ und schon hören wir auch die Wortbedeutung „gratis“. Die Gnade Gottes ist nichts, das ich mir verdienen muss, dafür braucht es keine „Leistung“ meinerseits, ich darf sie mir schenken lassen, sie ist umsonst. Sie umfängt mich mit all meinem Scheitern, sie ist liebevoll und barmherzig, als einzige Antwort wünscht sie sich mein liebendes Herz.

Und so ist Advent eigentlich eine Fastenzeit, eine Dürre-Zeit, um uns wieder von allem Überfluss zu befreien, leer zu machen, damit wir neu gefüllt werden können mit dem größten Geschenk, das Gott uns machen kann: der Geburt seines Sohnes, sein Kommen in die Welt unserer Maßstäbe, um hier von der anderen Welt zu erzählen.

Dieses Geschenk hat Sprengkraft: es kann – wie eine kleine Pflanze, die den Asphalt durchdringt, unsere Verhärtungen aufbrechen, die wir uns im Lauf unseres Lebens zugelegt haben, um unser Herz zu schützen. Und so werden wir zur Liebe befreit.
Zur Liebe zu Gott, zur Liebe zu meinen Mitmenschen und – was oft am schwierigsten ist – zur Liebe zu mir selbst.

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