Mit wachem Herzen und offenen Sinnen – 2. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
In jener Zeit, am Tag darauf, sah Johannes der Täufer
29 Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!
30 Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.
31 Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird.
32 Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.
33 Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.
34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.

Autorin:
Utta-Hahn-2-150x150Utta Hahn, Gemeindereferentin, Dekanatsreferentin in Schwäbisch Hall

 
Die Predigt:
Mit wachem Herzen und offenen Sinnen

Liebe Leserin, lieber Leser
literarisch höchst virtuos baut der Evangelist Johannes sein Evangelium auf. Gleich im ersten Kapitel wird schon zusammenfassend gesagt, worauf es ankommt. Und wie es zu einer guten Geschichte gehört, wird das nicht platt erzählt, sondern kunstvoll komponiert. Der Spannungsbogen reicht vom ersten bis zum letzten Wort des Evangeliums, von Im Anfang war das Wort… bis damit ihr durch den Glauben Leben habt, in seinem Namen. Und der Abschnitt, den wir heute lesen, steht gleich im ersten Kapitel.

Was war davor?: Im Anfang war das Wort… diese sprachakrobatische Zusammenfassung des Glaubens und der Beziehungsgeschichte Gott-Mensch. Diese geht dann nahtlos über in die Einführung der Gestalt des Johannes, der sich selbst als Stimme des Rufers in der Wüste tituliert und von den Schriftgelehrten nach seiner Rolle und seiner Rechtfertigung gefragt wird. Er verweist auf Jesus, der nach ihm kommt, und dann sind wir auf einmal mitten im Geschehen, denn: am Tag darauf…. wird das Angekündigte schon Wirklichkeit.

Johannes sieht Jesus und weist auf ihn hin: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Und die Erklärung dazu klingt wie ein Rätselwort.:
Alles ist schon offenbar aber doch nicht offensichtlich.

Was heißt Lamm Gottes?
Was heißt vor oder nach?
Was heißt das Zeugnis: ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.?
Was heißt Sohn Gottes?

Der Evangelist Johannes war vermutlich mit der griechischen Kultur genauso vertraut wie mit der hebräischen Tradition und dem jüdischen Glauben. Seine Leser*innen und Zuhörer*innen lebten in einer griechisch geprägten Zeit. Jerusalem und das jüdisch geprägte Leben, den Tempel und den dazugehörigen Kult – das gab es nicht mehr. Alles war um 70 n. Chr. zerstört worden. Jüdische Gemeinden und juden-christliche Gemeinden suchten neu nach Halt und Kultur und suchten Wege, all das, was ihnen geschehen war und geschah, im Glauben zu deuten. Die Welt war komplex und die alten Antworten und Traditionen hielten der Wirklichkeit nicht mehr stand.

Der Evangelist Johannes erzählt und schreibt sein Evangelium, weil er den Menschen seiner Zeit einen Weg und eine Zukunft anbieten will und kann. Es ist eine Einladung, das Leben unter diesen Vorzeichen anzugehen und damit der Welt eine Zukunft zuzutrauen.

Es ist für ihn die Frohe Botschaft von Gott, der sich als Mensch unter Menschen zeigt und den Himmel nahe bringt, weil die Geist-Taufe jedem Menschen offensteht. Alle Menschen sind eingeladen und diese Frohe Botschaft ist direkt im Leben verankert.

Das Johannesevangelium erscheint uns manchmal schwer verständlich – theoretisch, abgehoben, philosophisch, abstrakt… aber letztlich erzählt Johannes von Anfang an die Hoffnungsgeschichte, dass Gott in dieser Welt einen Platz eingenommen hat – ob wir das sehen oder nicht, ob es uns beeinflusst oder nicht. Das ganze Evangelium hindurch erzählt uns der Evangelist Johannes Geschichten, die uns hinweisen auf diesen Gott, der unter uns Menschen sichtbar und erlebbar ist und der die Welt wandelt.

Und Johannes der Täufer ist sozusagen seine erste wichtige Figur, die uns den ersten und wichtigsten Hinweis gibt: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Es ist kein Vulkanausbruch und kein Buschbrand, der die Welt zum Guten wendet.
Es ist ein Mensch, der mit Wasser tauft.
Ein Mensch, der nur mit dem, was wir Menschen haben und können, ausgestattet ist und der einem Ruf folgt – der ihn zum Rufer macht – zu einem Rufer in der Wüste, also vielleicht ein Rufer ohne Zuhörer*innen?

Das ist es, was wir auch heute brauchen, was wir alle sein können.
Wir brauchen nicht Rufer und „An-Zeiger“ die sagen:
„Seht, das ist falsch!“
„Seht, der oder die ist schuld!“
„Seht, das sind die Bösen!“

Das „Auf-jemanden-Zeigen“ hat sich in unserer Welt ganz ins Negative gedreht.

Seht, das Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Das weist dem „Zeiger“ oder der „Zeigerin“ eine ganz andere Rolle zu.

Wir alle können wie Johannes Ruferinnen und Rufer werden, die den Geist Gottes in sich spüren und ent-decken, wo die „Sünde der Welt“ „hinweggenommen“ wird.

Johannes der Täufer zeigt uns den Weg für uns Menschen in der Welt.
Gott ist mitten unter uns.
In jedem Menschen lässt er sich finden und entdecken.

Wir brauchen wie Johannes die Zeit in der „Wüste“, z. B. in der Stille, im Gebet, um einen Blick dafür zu entwickeln, wo wir Gott in der Welt entdecken. Ich kannte ihn nicht, aber ich habe ihn gesehen.

Wir brauchen Mut und Geduld, mit offenen Augen und einem wachen Herzen in die Welt zu blicken. Und wir dürfen an der Seite all derer gehen, die durch ihr Leben die Welt besser machen – einfach, aufmerksam, zugewandt, wohlwollend, liebend. All das ist Jesus.
All das ist das, worauf der Johannes der Täufer zeigt.

Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Ganz am Anfang des Evangeliums nach Johannes steht damit schon das Programm für Jesu Leben und Wirken: Friedfertig, geisterfüllt, weltrettend, weil Sünde verwandelnd.

All das, was wir auch heute brauchen.

Friedfertig, geisterfüllt, weltrettend – so soll unser Leben sein.

Lassen Sie sich von Johannes dem Täufer den Weg zeigen oder zeigen Sie den anderen den Weg. Lassen Sie uns mit wachem Herzen und offenen Sinnen entdecken, wo wir aufgerufen sind und fähig, die Welt ein bisschen zu retten.
Sie braucht es, wir brauchen es. Amen

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