Der nahe und doch geheimnisvolle Gott – 3. Fastensonntag C

Erste Lesung aus dem Buch Exodus, Kapitel 3
In jenen Tagen
31 weidete Mose die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb.
2 Dort erschien ihm der Engel des HERRN in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Er schaute hin: Der Dornbusch brannte im Feuer, aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt.
3 Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?
4 Als der HERR sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.
5 Er sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.
6 Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
7 Der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid.
8 Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.
10 Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!
13 Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?
14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der ich bin. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der «Ich-bin» hat mich zu euch gesandt.
15 Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht.

Feuer
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Der nahe und doch geheimnisvolle Gott

Liebe Leserin, lieber Leser,
Sich für die Begegnung mit Gott öffnen

Hatten Sie schon einmal ein „Dornbusch-Erlebnis“? Wahrscheinlich gab es in unser aller Leben bereits viele brennende Dornbüsche, doch wir haben sie übersehen. Es braucht einige Voraussetzungen, um Gottes Wirken – manchmal unscheinbar, manchmal außergewöhnlich – in unserem Leben zu erkennen.

Mose geht wie jeden Tag seiner Alltagsbeschäftigung nach. Doch diesmal überschreitet er den gewohnten Rahmen, öffnet sich für neue Erfahrungen und kommt so zu einem heiligen Ort. Dort oben auf dem Berg kann er sein Leben aus einer anderen Perspektive betrachten, der Horizont weitet sich, das große Ganze kommt in den Blick. Damit Mose aufmerksam wird, wählt Gott ein außergewöhnliches Zeichen. Eine merkwürdige Kombination – ein Feuer, Symbol für Transformation, und ein unscheinbarer, nutzloser, hässlicher Dornbusch, der jedoch nicht verbrennt.

Durch die mysteriöse Erscheinung lässt Mose sich herausreißen aus seinem alltäglichen Gedankenkarussell, ist offen und neugierig, bereit sich einzulassen, näher hinzuschauen. Gott sucht Kontakt mit ihm, ruft ihn zweimal mit seinem Namen. Und Mose ist präsent, bereit: Hier bin ich! Gott fordert ihn auf, seine Schuhe auszuziehen. Das öffnet einen heiligen Raum, in dem der nahe, doch geheimnisvolle Gott erfahrbar wird, eine Sphäre, wo nur Gott und Mose sind. Eine heilige Begegnung kann nur stattfinden, wenn wir uns ganz öffnen, verletzlich machen, keine Schutzmauern um uns haben, ins Fühlen kommen, mit all unseren Sinnen und unserem Körper präsent sind. Mose steht auf dem heißen, sandigen Boden, vielleicht stechen ein paar Dornen oder Steinchen, er ist in Kontakt mit sich selbst, Mutter Erde, Gottes Schöpfung, ist selbst ein Teil davon. So kann eine tiefe Begegnung geschehen.

Gott steigt herab zu dem leidenden Volk

Damals wurden viele Götter verehrt. Jeder hatte seinen Tätigkeitsbereich, z.B. den Krieg oder die Fruchtbarkeit, symbolisiert in den verschiedenartigen Götterstatuen. Gott stellt sich als YHWH vor: Ich bin der Gott deiner Vorfahren Abraham, Isaak und Jakob. Mit diesem Namen wurde Gott bereits angerufen (vgl. Gen 4,26), denn das Volk hatte Hilfe erfahren. Was will dieser mächtige Gott? Mose bekommt Angst und verhüllt sein Gesicht, denn sein Gewissen plagt ihn: Er hatte einen Aufseher ermordet (Ex 2, 11-12) und musste aus Ägypten fliehen. Zwar gründete er eine Familie und arbeitet als Schafhirte, aber was ist das schon?

Gott offenbart sich als der mitfühlende, helfende Gott, der herabsteigt zu den Menschen. Das leidende Volk soll in ein schönes Land ziehen, wo es in Frieden und Wohlstand leben kann. Im Lesungstext fehlen die Verse 10-12. Mose soll das Volk dorthin führen: V 10 Geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk aus Ägypten heraus! Seine Angst ist also berechtigt, er will sich diesem Auftrag entziehen: V 11 Wer bin ich, dass ich die Israeliten herausführen könnte? Gott reißt Mose aus seinem bequem eingerichteten Leben heraus, traut ihm etwas zu, gibt ihm die Chance, seine Mordtat auszugleichen, indem er seinem Volk wieder zu einem würdigen Leben verhilft. Ein Auftrag, der sehr viel Mut, Geduld und Opfer erfordert, aber Gott sichert ihm Hilfe zu: V 12 Ich bin mit dir.

Mose führt zwar ein karges, unbedeutendes Leben, aber es bietet eine gewisse Sicherheit, Berechenbarkeit und Bequemlichkeit. Er will nicht aufbrechen ins Ungewisse, nicht loslassen, zurücklassen. Andererseits lockt ihn dieser Auftrag auch: Nicht mehr gequält von Angst-, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen, sondern von Gott mit einer herausragenden Position betraut zu werden – Moses Tat würde in die Geschichte eingehen! Er ist hin- und hergerissen. Da er gehorsam sein will, erklärt er sich bereit, seinem Volk Gottes Botschaft zu überbringen, hofft aber wohl insgeheim, dass sie ihm nicht glauben werden.

Gottes Namen offenbart sich im Handeln

Die Bedeutung eines Namens war damals wichtig, wurden damit doch bestimmte Qualitäten verbunden. Mose fragt also sinngemäß in V 13 Was sind die Eigenschaften deines Namens, was für ein Gott bist du? und Gott antwortet entsprechend mit einem Satz: אֶֽהְיֶה אֲשֶׁר אֶֽהְיֶה Ehyeh asher ehyeh.

Die komplexe, dynamische hebräische Sprache macht die richtige Übersetzung aufgrund der zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten nicht leicht. Außerdem wurde der Name Gottes damals aus Ehrfurcht nicht ausgesprochen. Deshalb stehen nur die vier Konsonanten YHWH da, gelesen wurde statt dessen aber Adonai (mein Herr). Luther übersetzte „der HERR“. Dies können wir jedoch als patriarchale Interpretation betrachten. Denn Gott erschuf die Menschen als göttliches Abbild – als männlich und weiblich (Gen 1,27). Im Hebräischen beinhaltet die Bedeutung von „Herr“ die Dimension der helfenden Beziehung mit der Person, die dem Herrn gegenüber steht. Im Lateinischen und Deutschen dagegen drückt das maskuline „Herr“ nur eine herrschende Beziehung aus, wenngleich es heute überwiegend nur noch als höfliche Anrede verwendet wird.

Gottes „Name“ יהוה YHWH ist kein Substantiv, sondern eine Verbform von היה HYH, das mit „sein, werden“ übersetzt wird. Damals beinhaltete „sein“ jedoch – im Gegensatz zu heute – auch „tun, wirken“. Die bekannten Übersetzungen drücken diese Bedeutung deshalb nicht umfassend aus: Weder das freundschaftliche Ich bin der „ich-bin-da“ (frühere Einheitsübersetzung) noch das philosophisch-unnahbare Ich werde sein, der ich sein werde (Luther) bzw. Ich bin, der ich bin (Elberfelder). Erich Zenger zieht deshalb eine ähnliche Selbstoffenbarung von YHWH in Ex 33, 19-23 hinzu und übersetzt Ich bin da, als der ich da sein werde. YHWH offenbart das Namensgeheimnis durch entsprechendes Handeln. Die Menschen erkennen im Nachhinein Gott – ausgedrückt etwa im Bekenntnis YHWH, der dich aus Ägypten herausgeführt hat aus (z.B. Ex 32,4). Nuancierter übersetzt auch Martin Buber: Ich werde da sein, als der ich da sein werde. Das mehrdimensionale hebräische Verständnis von sein, werden und wirken drückt aus, dass Gott sowohl in allem und allen ist und zukünftig sein wird und gleichzeitig auch durch Taten wirkt, durch welche die Menschen Gott erkennen können. Gottes bereits bekannter Name YHWH wird in dieser Erzählung also in seiner tieferen Bedeutung ausgelegt. Später manifestiert sich dieser nahe, geheimnisvolle Gott durch die Menschwerdung in Jesus, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20), sich uns in den Zeichen von Brot und Wein (Mk 22,19-20) und im Beistand der Heilige Geistkraft gegeben hat (Joh 20,22).

Wir brauchen uns deshalb nie allein zu fühlen, denn es gibt nichts, wo Gott nicht ist – von der kleinsten Zelle bis zum unendlichen Weltall – überall ist Gott, denn alles kommt aus Gott. Zu allen Zeiten, in jeder Sekunde ist Gott bei uns, wählt aus der Vielfalt der Erscheinungsformen eine passende aus – etwa einen Löwenzahn, der sich durch den Asphalt gräbt, einen Windhauch, der zärtlich unser Gesicht liebkost, einen Menschen, der unsere Tränen trocknet. Gott bleibt jedoch gleichzeitig immer unsichtbar, unbegreifbar, geheimnisvoll – das tiefste Geheimnis, das wir niemals enthüllen können.

Die große, lebenslange Herausforderung bleibt deshalb, auch in unerwünschten und scheinbar bösen Ausdrucksformen, Situationen und Ereignissen – in den lebensfeindlichen, stacheligen, schmerzhaften Dornbüschen in unseren Lebenswüsten – das lodernde Feuer, Gott und Gottes Handeln zu erkennen. Der Weg mit Gott ist nicht leicht, führt uns bis an die äußersten Grenzen, Rettung kommt häufig erst im allerletzten Augenblick, oft nicht wie erwünscht, manchmal auch gar nicht. Warum Gott nicht immer eingreift, das bleibt ein Geheimnis, aber wir können sicher sein: Auch dort ist Gott – nur anders, als wir das mit dem Verstand erfassen können, wie der vertrocknete Dornbusch, der nicht verbrennt. Amen

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2 Antworten auf Der nahe und doch geheimnisvolle Gott – 3. Fastensonntag C

  1. walter sagt:

    evolutionäres Gottesbild…

    wenn Gott
    in allem da ist und handelt-
    welche menschliche Kreatur hat dann jemals die Macht die Folgen ihres Handelns zu kennen ?
    „… denn sie wissen nicht,was sie tun…!“(Lk 23,34).

    Deshalb versag(t)en die herr-schenden Theologieen.

  2. Ly sagt:

    DAnke sehr für den ausführlichen Erschließung des Gottesnamens, der ja mehr Programm ist als Name.
    Das ist aufschlussreich im Wortsinn.
    Wären wir uns mehr bewusst, dass Gott in allen unseren Handlungen wirkt, wir wären wohl um- und vor-sichtiger und menschenfreundlicher.
    Danke für diese Predigt.

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