Extrem verdunkelt – 26. Sonntag im Jahreskreis B

Neue Einheitsübersetzung
Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 9
In jener Zeit
38 sagte Johannes, einer der Zwölf, zu Jesus: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.
39 Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden.
40 Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.
41 Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.
42 Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.
43 Wenn dir deine Hand Ärgernis gibt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer.
45 Und wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden.
47 Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden,
48 wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.

Autorin:
Karin_2016 (3)Karin Stump, Pastoralreferentin im Katholischen Forum Dortmund

 
Die Predigt:
Extrem verdunkelt

Liebe Leserin, lieber Leser,
harte Worte spricht Jesus, besonders im zweiten Teil des heutigen Evangeliums. Wie können wir sie begreifen, wie passen sie zur Liebe Gottes, an die wir doch glauben oder glauben möchten? Die unerwartet harsche Mahnung Jesu lässt uns erschrecken. Eine ähnlich schauerliches Bild beschreibt Khalil Gibran in seinem Buch „Der Narr“: „Ich betrat die gesegnete Stadt. Und siehe, alle Bewohner hatten nur ein Auge und nur eine Hand.“ Der Erzähler fragt erschrocken: „Welcher Eroberer verbrachte solche Gräueltat an euch?“ Darauf die Antwort: „Das haben wir selbst getan.“ Und sie berufen sich auf das Gebot der Schrift.

Jesus spricht zornig und entschieden, er verharmlost oder vertuscht nicht. Jesus hat als Prophet klar Stellung bezogen. Ärgernisse, ja Skandale, die andere vom Glauben abbringen, fand er unerträglich und prangerte sie an, aus Zorn, aus Liebe zu den Menschen, zu Opfern und Tätern von Verführung, Ideologie und Missbrauch.

Durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte ist diese Mahnung tragischerweise wörtlich genommen worden. Der Kirchenvater Origines etwa hat sich selbst entmannt. Große Not und Verzweiflung quälten ihn, er erhoffte sich Befreiung. Sogenannte Ketzer und Hexen wurden ermordet, andere Menschen kastriert. Das kommt dem Erlebnis des „Narren“ von Gibran in der angeblich gesegneten Stadt schon recht nah. In manchen islamischen Ländern wird in einem solchen fundamentalistischen Schriftverständnis noch heute Dieben Hand oder Fuß abgetrennt. Welch ein Missverständnis, ja ein Missbrauch dieser scharfen Prophetenworte, die vor schlimmen Handlungen gerade bewahren wollen.

Die drastische Bildsprache will sagen: Oberflächliche Korrekturen reichen nicht. Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden. Von denen, die es getan haben oder in der Versuchung stehen. Mögliche Täter werden aufgerüttelt und in die Verantwortung genommen. Nein, Diebstahl, sexuelle Ausschweifung und gar Missbrauch sind schreckliche Dinge, sie würden eine solche Strafe verdienen, also lass es sein! Die Worte vom Abhacken der Hände und Ausreißen des Auges sind warnende Aussagen, sozusagen präventive Abschreckung eventueller Täter.

Jesus ist ein Freund der kleinen Leute, der Randfiguren, der Prostituierten, der Geächteten und der Kinder. Sie sind Vorbilder im Vertrauen auf Gott. Schutzbedürftige, Schwache – sie zu missbrauchen ist doppelt schlimm, denn sie sind besonders verletzbar. Das ist das Böse, das nicht zum Zuge kommen soll. Eine zerstörerische Macht, die Leben verschlingt; ein Nein zum Leben, unter dem Vorwand es zu steigern! Auf politischer Ebene erleben wir es derzeit auch im Erstarken rechtsnationaler Gruppierungen und Parteien. Auch hier werden kleine Leute ideologisch für eigene Zwecke benutzt.

Wer versucht für sich selbst alles zu gewinnen, sich von der Wahrheit, Menschenwürde und Gott lossagt und dem Schlechten verfällt, gerät in einen Strudel. In einen Sumpf von Lüge, Ideologie und Gewalt, von sexuellen Verirrungen, Sucht und perversem Verhalten; in Abgründe des Elends, das Menschen angetan wird und das sie sich selbst antun. Die Jünger Jesu und wir alle sind in der Gefahr, auf die eine oder andere Weise Ärgernis zu sein. Da nutzt jemand die Schwäche anderer aus. Oder wir bringen durch unglaubwürdiges Verhalten andere vom Glauben ab. Deshalb hat die Bitte „Erlöse uns von dem Bösen“ im „Vater unser“ einen wichtigen Platz!

Gerade in der Debatte um sexuelle Missbrauchsfälle in der Kirche im Jahr 2010 kam dieses Evangelium wieder in den Blick. Jetzt wurde es auch positiv empfunden. Da war klar: Gerechte Strafe muss sein! Das denken wir auch angesichts des jüngst aufgedeckten Missbrauch-Skandals in den USA und in Chile. Und anlässlich der aktuellen Studie der Bischofskonferenz, die sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche Deutschlands untersucht hat und für Bestürzung sorgt. Da zeigt sich klerikale Macht, Abhängigkeit und Ausbeutung von Schwachen im Schutz des Systems. Die Kirche muss sich diesem Thema noch weiter stellen, ihr Glaubenszeugnis ist „extrem verdunkelt“ (Bischof Ulrich Neymeyr, Erfurt).

Ja, das Bild vom Mühlstein und vom Abhacken der Körperteile zieht die Täter in die Verantwortung Aber die prophetische Warnung Jesu dient dem Schutz möglicher Opfer. Jesus wollte verhindern, dass jemand in der Gemeinde einen Skandal verursacht, der andere schädigt – und darüber hinaus Glaubende zum Zweifeln an einem Gott der Liebe und an der frohen Botschaft treibt. Jesus geht es gerade um die Kleinen und auch die an Glauben Schwachen, die an Leib und Seele Verletzlichen. Sie werden durch Fehlverhalten der Jünger das Vertrauen in Gott und Jesus Christus verlieren. Sie werden ins Dunkel gestürzt. Gerade sie darf kein schlechtes Vorbild, keine Verführung durch die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu von der Hoffnung auf Gott abbringen.

Jesus zielt mit seinem Bild auf die innere Wandlung, die eine Verhaltensänderung nach sich zieht. Vielleicht würde er es heute sinngemäß so sagen: „Stop! Hört auf, andere und euch selbst zu zerstören! Geh in dich, sei ehrlich zu dir und anderen. Hol dir Hilfe, sprich über das, was dich quält und umtreibt. Arbeite konsequent und geduldig, aber auch barmherzig und liebevoll an deinen Schwächen und Fehlern. Ändere dein Verhalten. Löse dich von Versuchungen und falschen Orientierungen. Suche das Gespräch mit denen, die du verletzt hast, sieh dir an, was du angerichtet hast. Steh zu deinen Fehlern, Missetaten und zu deiner Schuld. – Unter euch darf es um der Menschen und um Gottes willen keine Skandale geben. Zieht Konsequenzen in eurem Zusammenleben als Christen, bei den klerikalen Machtstrukturen in der Kirche und dem priesterlichen Rollenverständnis.“

Es geht Jesus um das Vertrauen und die Hoffnung der kleinen Leute. Es geht ihm um eine Klärung und innere Ablösung von schlechten Haltungen und schlimmen Taten. Es gilt, einen klaren Schnitt zu machen. Was zum „Unleben“ geworden ist und andere und mich selbst verletzt und zerstört, soll ich lassen und mich neu dem Leben zuwenden. Ich wünsche uns und der gesamten Kirche, besonders den Betroffenen, dass wir mutige Schritte tun und Menschen spüren: Gott wirkt durch seinen Geist auch in unserer Schwachheit Weite, Freiheit und Neuanfang. Amen.
——————————————————————————————————————————– Anregungen verdanke ich: Lechler und Meier, „Wach auf und lebe!“ und
Thomas Söding „Wer einen von diesen Kleinen verführt…“

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