Hoffnungsmomente tragen über abgründige Zeiten hinweg – Palmsonntag A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 21
Neue Einheitsübersetzung
1 Als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage am Ölberg kamen, schickte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los, und bringt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen.
4 Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist:
5 Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.
6 Die Jünger gingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte.
7 Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf.
8 Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!
10 Als er in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt und man fragte: Wer ist dieser?
11 Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.

Autorin:
Utta Hahn (2)Utta Hahn, Gemeindereferentin, Landpastoral Schönenberg in Ellwangen

 
Die Predigt:
Hoffnungsmomente tragen über abgründige Zeiten hinweg

Liebe Leserin, lieber Leser,
der Palmsonntag ist geprägt von den beiden Polen, die die Liturgie an diesem Tag vorsieht. Die ganze Bandbreite von Jubel und Freude bis Trauer und Schmerz werden an diesem Tag angestoßen.

Zuerst dieses „Sich-draußen-Versammeln“, oft in erblühender Frühlingsstimmung, das Wahrnehmen, was um uns passiert und im liturgischen Handeln die grünen Zweige und Buschen segnen, vom Einzug nach Jerusalem hören und den Jubel mitschwingen lassen. Schließlich in die Kirche einziehen, in großer Prozession. Und dann, wie im Kontrast dazu, im Kirchenraum sitzen, das Evangelium vom Leiden und Sterben Jesu – komplett, lesen, hören, aushalten… wissend, dass dies erst den Beginn der Passion markiert.

Was rührt Sie mehr an? Die liebevoll geschmückten Palmbuschen und die vielleicht etwas raue Atmosphäre einer Versammlung unter freiem Himmel, die sich dann nach und nach auf den Weg in die Kirche hinein macht? Oder eben das Hören der Leidensgeschichte?

Bleiben wir bei dem ersten Teil… Vor kurzem hatte ich ein interessantes Gespräch mit Freunden aus Spanien und Südamerika. „Wer feiert wie die Kar- und Ostertage?“ Unsere spanischsprachigen Freunde erzählten von großen Prozessionen – an Palmsonntag, teils an allen Tagen der Karwoche und vor allem dann an den Kartagen. Jesusfiguren, die durch die Straßen des Dorfes oder der Stadt begleitet werden, auf hölzerne oder gar lebendige Esel gesetzt werden, geschmückt mit silbernen Schuhe, und mit viel Gesang und – je südlicher, desto mehr – echten Palmzweigen bejubelt,

Und eindrücklich erzählten andere, Freunde, die hier in Deutschland leben, von Passionsspielen hier, die wenn auch nicht direkt als Liturgie, so doch als wesentliche Erfahrung und Feier dieser Tage vor Ostern erfahren werden. Und mir kommt die Verfilmung des Rock-Musicals Jesus Christ Superstar in den Sinn, in dem dieser Einzug in Jerusalem bildlich gesprochen, auf zwei Ebenen dargestellt wird. Da ist einmal Jesus mit zwei Dutzend Kindern, Frauen und Männern um sich herum, die ihm zujubeln, und in Sichtweite, weit oberhalb der Mauern der Stadt steht der Hohe Rat und während die einen Hosanna singen, tritt Jesus in eine Art Dialog mit den Mitgliedern des Hohen Rate und macht deutlich, dass das nicht SEINE Inzenierung ist, sondern einfach die logische Konsequenz seines Lebens und seines Weges. „Und wenn man den Jubel verbieten würde, dann würden die Steine anfangen zu singen“… Es ist ein Moment, in dem der Große Friede mit dem Großen Friedensfürsten greifbar nahe zu sein scheint. Die Schöpfung sehnt sich danach und die Menschen lassen sich mitreißen, mit der Hoffnung, mit der Sehnsucht nach Freiheit und Frieden…

Es ist Ausdruck von viel mehr, als nur einer fröhlichen Feststimmung. Wir dürfen es lesen als Ausdruck unserer tiefsten Sehnsucht. Sie bricht sich in diesem Ereignis, in diesem Moment Bahn und findet im Jubel und der Freude ihren Ausdruck. Gleichzeitig wird sie für Jesus und vielleicht auch für manche Menschen zu einer wichtigen und wertvollen Erfahrung im Leben, zu einer Kraftquelle, die auch noch über den Tag hinaus sprudelt.

Solche großen Hoffnungsmomente gab es auch in unserer Zeit immer wieder.
Als der Eiserne Vorhang wegschmolz
Als die Bürgerinnen und Bürger der DDR Reisefreiheit zugesagt bekamen und die Mauer sich öffnete
Als ein Schwarzer Präsident der USA wurde
Als ein Palästinenser und ein Israeli sich so weit in den gemeinsamen Dialog vorwagten, dass sie den Friedensnobelpreis erhielten
Als Indien unabhängig wurde
Als ein Papst Franziskus nicht in den Palast der bisherigen Päpste einzog

Jesus zog nicht triumphierend ein – er „wollte es niemandem zeigen“, er suchte keine „Allmachtsdemonstration“ – es war die gleiche Freude und Zugewandtheit zu den Menschen und zum Leben, die ihn auch in dieser Situation führte, wie in der Zeit davor. Als Zeichen, damit wir das auch wirklich verstehen, erzählt uns Matthäus von der Eselin auf der Jesus reitet – und dass dies schon das Zeichen des Friedensfürsten war, den der Prophet Jesaja verkündete.

Unsere Zeit will oft bewerten und ausrechnen, welchen Gewinn ein Ereignis für die Beteiligten bringt. Und die Gewalt und den Tod mitbetrachtet, hat dieser Einzug nach Jerusalem ja rein gar nichts gebracht… Der Gedanke drängt sich auf: Alles umsonst, das hat nichts gebracht – auch all die anderen schönen Momente der Hoffnung und Freude… „bringt nix“, ist reine Illusion.

Auch hier könnte man leicht eine Parallel zu anderen scheinbar großen Momenten der Geschichte ziehen… sind am Ende doch die Gewalttätigen und die Kriegstreiber und Mörder diejenigen, die alle guten Anfänge wieder zunichte machen? Ich möchte es von der anderen Seite her sehen. Die Gewalt kommt mit schweren Stiefeln daher und Angst um Machtverlust macht blind und schießwütig. Trotzdem jubelt die Schöpfung, die Steine beginnen zu singen und wir dürfen mit einstimmen, weil es einen gibt, der sich um uns kümmert, weil Gott sich uns absolut und bedingungslos zuwendet; weil Friede ein anderes Wort für das Reich Gottes ist und weil der Palmsonntag schon eine Ahnung von Ostern hat.

Trotzdem tragen die „schönsten Momente“ oft lange und wie Brücken auch über abgründige Zeiten des Leids und Schmerzes hinweg. Von Palmsonntag bis Ostern ist eine Brücke gespannt – auch wenn Jesus und seine Freunde sie nicht als Abkürzung nutzen konnten. Der Weg führte durch die Schlucht, durch den Tod. Jeder Hoffnungsmoment birgt die Kraft, dass daraus Leben erwachse, dass Veränderung möglich ist, immer und immer wieder und dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, Frieden zu verwirklichen, Gerechtigkeit zu erlangen.

Auch in unserem eigenen Leben werden viele von uns Momente und Ereignisse finden, die voll Jubel, voll Freude, voll Lachen, Singen und Hoffnung waren, und diese werden nicht weniger wertvoll durch die Tatsache, dass wir auch Schmerz und Trauer, Gewalt und Leid erfahren. Vielleicht können wir ganz bewusst die Beschwingtheit und die Freude und die Hoffnung in unser Herz einlassen, dass sie dort einen Platz hat, von dem sie nicht vertrieben werden kann.

Das hieße im übertragenen Sinn, an Palmsonntag öffnet sich eine kleine Tür, die auch durch die Erfahrung der Karwoche, des Leidens und Sterbens Jesu nicht zufällt, sondern zu gegebenem Zeitpunkt den Weg in die Erfahrung der Auferstehung anbietet.

Diese Haltung der Hoffnung, die tief verankert an das Leben glaubt, ist in dem Lied: Todavia cantamos, das Victor Heredia geschrieben und unter anderem Mercedes Sosa unvergleichlich leidenschaftlich gesungen hat, sehr gut ausgedrückt.
Wer das anhören möchte, folge dem folgenden link:

www.youtube.com/watch?v=o7_iYUgTX7E

Hier der Text im Orginal und die Übersetzung

Todavia cantamos Songtext
Victor Heredia

Todavía cantamos, todavía pedimos,
todavía soñamos, todavía esperamos,
a pesar de los golpes
que asestó en nuestras vidas
el ingenio del odio
desterrando al olvido
a nuestros seres queridos.
Todavía cantamos, todavía pedimos,
todavía soñamos, todavía esperamos;
que nos digan adónde
han escondido las flores
que aromaron las calles
persiguiendo un destino
¿Dónde, dónde se han ido?
Todavía cantamos, todavía pedimos,
todavía soñamos, todavía esperamos;
que nos den la esperanza
de saber que es posible
que el jardín se ilumine
con las risas y el canto
de los que amamos tanto.
Todavía cantamos, todavía pedimos,
todavía soñamos, todavía esperamos;
por un día distinto
sin apremios ni ayuno
sin temor y sin llanto,
porque vuelvan al nido
nuestros seres queridos.
Todavía cantamos, todavía pedimos,

WIR SINGEN NOCH

Wir singen immer noch, wir bitten noch,
wir träumen immer noch, wir hoffen noch,
Trotz der Schläge, die der Einfallsreichtum des Hasses unseren Leben zugesetzt hat, unsere Liebsten (Angehörigen) aus dem Vergessen herausgrabend.

Wir singen immer noch, wir bitten noch, wir träumen immer noch, wir hoffen noch,
dass sie uns sagen, wo sie die Blumen versteckt haben, die unsere Strassen mit Durft erfüllten, ihrem Schicksal folgend, „wohin sind sie verschwunden?“

Wir singen immer noch, wir bitten noch,
wir träumen immer noch, wir hoffen noch,
dass sie uns die Hoffnung geben, zu wissen, dass es möglich ist, dass der Garten wieder hell wird vom Lachen und Singen derer, die wir so sehr lieben.

Wir singen immer noch, wir bitten noch,
wir träumen immer noch, wir hoffen noch,
auf einen bestimmten Tag ohne Unterdrückung und Hunger, ohne Angst und ohne Tränen, weil unsere Liebsten ins Nest zurückkehren.

Palmsonntag – ein Tag der Hoffnung, Freude leben, mit leben und im Herzen bewahren, damit sie weiterträgt.

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