Das gute Teil gewählt – 16. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 10
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
38 Als sich die Jüngerinnen und Jünger aufmachten, ging Jesus in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn auf.
39 Und bei ihr war ihre Schwester, die hieß Maria. Diese setzte sich zu den Füßen des Herrn und hörte sein Wort.
40 Marta aber war vom vielen Dienst beunruhigt. Sie trat herzu und sagte: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein zurücklässt, um zu dienen? Sprich mit ihr, damit sie zusammen mit mir Hand anlegt!“
41 Jesus antwortete und sprach zu ihr: „Marta, Marta, du sorgst dich und lärmst über die Vielheit.
42 Eines aber ist nötig. Maria hat das gute Teil gewählt, das wird man nicht von ihr wegnehmen.“

Autorin:
Passfoto A.R.Angela Repka, Offenbach, Literaturübersetzerin, verheiratet, zwei Söhne, drei Enkelkinder, Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische Tätigkeit in der Pfarrgemeinde

 
Die Predigt:
Das gute Teil gewählt

Liebe Leserin, lieber Leser,
was für eine Geschichte im heutigen Evangelium! Wie peinlich! Typisch Frau, könnte man versucht sein zu sagen. Wie kommt die Hausherrin Marta, die Jesus gastfreundlich in ihrem Haus aufgenommen hat, denn dazu, in dieser Weise zwischen den geschätzten Gast und ihre andächtig lauschende jüngere Schwester Maria zu fahren?

Die herbe, oft sehr detailreich ausgebreitete Kritik, die Martas Verhalten in der langen Auslegungsgeschichte dieser Bibelstelle erfahren hat, reicht bis in unsere Zeit. Man wähnt sich, so scheint es, auf der Seite Jesu und damit voll im Recht. Hat nicht der Meister selbst die tüchtige und vorlaute Marta, die angeblich Hilfe in der Küche braucht und die stille Maria mit Jesu Unterstützung dorthin abkommandieren will, gehörig in die Schranken gewiesen? Maria hat das Bessere gewählt. Klarer Fall. Und die gute Marta steht nun in unserer Vorstellung da wie ein begossener Pudel. Nach diesem Rüffel kann sie jetzt alleine schuften und dabei in sich gehen. Klingt banal, aber wie vielen Frauen mag es gerade mit dem Hinweis auf die beiden ungleichen Schwestern von Bethanien so ergangen sein?

Wie wir wissen, wurde genau diese Textstelle immer wieder herangezogen, um zu demonstrieren, dass die vita contemplativa der vita activa überlegen ist. „Maria hat schneller als ihre Schwester Marta begriffen, dass der Glaube und die Tat des Glaubens, die Liebe, erst möglich werden durch die Begegnung mit Jesus und das Hören auf sein Wort.“ heißt es zum Beispiel im Schott-Messbuch einleitend zum heutigen Evangelium.

Gekocht werden musste aber trotzdem und Jesus hat Marta auch nicht von ihren Pflichten als Hausfrau abgehalten. Hatte der Rabbi seine Gastgeberin etwa für ein tieferes geistliches Leben abgeschrieben? Wollte er die Schwestern gar gegeneinander ausspielen und Konkurrenz schüren, wie es gegenüber Frauen aus massiv oder auch subtil durchgesetzten patriarchalischen Interessen in unserer Welt noch heute oft genug geschieht – nach dem altbewährten Prinzip: Teile und herrsche? Ganz sicher nicht. In der Auslegungstradition ging es hinsichtlich der Schwestern von Bethanien über die Jahrhunderte hin und her. Mal war die stille, fromme, hingebungsvolle Maria das Ideal, mal die reife, kompetente, zupackende Marta. Dann wieder betonte man, dass eigentlich in uns allen etwas von Marta und Maria stecke, dass es um den liebenden Dienst und ebenso um das Innehalten in Gebet und Meditation geht – und darum zu erkennen, was gerade dran und somit für uns besser ist. Das ist sehr wichtig und weise, aber werden wir damit der biblischen Geschichte gerecht?

Was hat die Hausherrin Marta wirklich zu ihrem fragwürdigen Einschreiten getrieben? Die Begründung, die Arbeit sei ihr zu viel, wirkt irgendwie vorgeschoben. War sie etwa neidisch auf Maria? Hat sie ihrer Schwester das Zusammensein mit Jesus nicht gegönnt? Das hatte sie gewiss nicht nötig. Aber was war es dann?

Es gibt im Text eine Spur, die uns zum eigentlichen Grund ihres Handelns führen könnte. Versetzen wir uns einmal in die Zeit Jesu und nehmen wir wahr, was es aus damaliger Sicht bedeutet, wenn sich Maria zu Füßen des Meisters niederlässt, um sein Wort zu hören. Sie nimmt damit nämlich die Haltung eines Rabbiner-Schülers ein, was ausschließlich männlichen Mitgliedern der jüdischen Glaubensgemeinschaft vorbehalten war. Frauen sollten nicht in die Thora eingeführt werden. Was Maria da machte, musste also höchst anstößig und aufdringlich wirken. Könnte es sein, dass Marta damals nur einen Vorwand suchte, um ihren Gast, den Wanderprediger und Rabbi Jesus, aus einer peinlichen Situation zu befreien, wobei sie nicht scheute, selbst peinlich zu erscheinen?

Wie dem auch sei, die Antwort Jesu macht klar, dass der Freund die Situation völlig anders sieht, dass er den Tabubruch der jungen Frau nicht nur duldet, sondern sogar gutheißt, womit auch er seinerseits gegen die geltenden Regeln und Sitten verstößt. Mit seinem Ausspruch „Maria hat das gute Teil gewählt“ benutzt er – das habe ich vor kurzem erfahren – eine jüdische Redewendung, die einem Mann gilt, der sich auf den Beruf des Rabbiners vorbereitet. Rabbi Jesus stärkt also Maria den Rücken und ermutigt sie, auf dem von ihr eingeschlagenen geistlichen Weg weiterzugehen und beengende Rollenbilder hinter sich zu lassen. Ihr neuer Weg mit Gott, den sie in der Begegnung mit Jesus entdeckt hat, soll ihr durch nichts verwehrt werden.

So betrachtet, gewinnt diese Textstelle eine ungeheure Sprengkraft, denn Jesus wirft nicht nur die Tische der Händler um, die aus dem Tempel einen Basar machen, er fegt auch die traditionellen Rollenbilder hinweg, wenn sie sich überholt haben und Gottes Plan im Weg stehen. Marta wird zunächst sprachlos, ja sogar schockiert gewesen sein. Aber dann hat sie die befreiende Botschaft Jesu verstanden. Später wird sie, wie im Johannes-Evangelium berichtet, unmittelbar vor der Auferweckung ihres Bruders Lazarus – Jesus hat sich ihr da gerade mit den Worten „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25) offenbart und fragt, ob sie das glaube – ein Christusbekenntnis ablegen, welches dem des Petrus ebenbürtig ist. Und das zu einem früheren Zeitpunkt als der große Apostel.

Wie Maria von Magdala in der Kirche neuerdings den Aposteln zugerechnet wird, wird auch Marta vielleicht eines Tages zu diesem Kreis gezählt werden. Und es wird bestimmt auch die Berufung von Frauen anerkannt werden, wenn sie das gute Teil gewählt haben, das ihnen dann keiner mehr wegnimmt. Jesus ist ja gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Wie ernst es ihm damit gewesen ist, zeigt uns auch die Geschichte von Marta und Maria.

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4 Antworten auf Das gute Teil gewählt – 16. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Walter sagt:

    gewaltig…!
    Die Exegesen zum heutigen Evangelium unterscheiden sich doch gewaltig:
    dort die „traditionellen“ Perikopen-, hier die “ (r- ) evolutionäre“ Erkenntnis der jesuanisch- göttlichen Berufung zum Frauenpriestertum,
    dessen „Barmherzigkeit“ sich nicht im „sorgen“ und „lärmen“ zu erkennen geben soll…!

  2. Annemarie Gindele sagt:

    Danke für Ihre wunderbare Predigt, die mir aus dem Herzen spricht. Dieses Jahr werden wir in unserer Gemeinde St. Maria Magdalena in Tiefenbronn bei Pforzheim das Fest der Hl. Maria Magdalena mit besonderer Freude feiern, denn auf ausdrücklichen Wunsch von Papst Franziskus erfolgte vor wenigen Wochen die offizielle Bestätigung, dass Maria Magdalena wieder den Aposteln gleichgesetzt wird, wie es biblisch fundiert ist. Mit einem Dekret der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vom 3.Juni 2016 wird bestimmt, dass die liturgische Feier der Heiligen Maria Magdalena am 22. Juli mit der gleichen Feierlichkeit begangen wird wie bei den Aposteln. Erstmals wird eine Frau in einem offiziellen liturgischen Text als „Apostolin“ bezeichnet. Damit wird nochmals betont, dass Maria Magdalena „Apostolin“ ist, da sie Christus selbst sendet zu den übrigen Aposteln, damit sie ihnen die Botschaft des Auferstandenen bringt (Joh 20, 17).
    Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass auch Marta mit ihrem Bekenntnis zu Jesus dazu
    berechtigt ist eine Aufwertung zu erfahren.

  3. clara a sancta abraham sagt:

    Danke für diese schönen Gedanken. Ich lese sie genau am 22.7., dem Tag der Erhebung Maria Magdalas zur Apostolin.
    Seit diesem Jahr darf ich in der Seelsorge einer kleinen Kuranstalt mithelfen, bis jetzt in der Form von Gestaltung des Abendgebets. Vor zwei Wochen wurde ich dort als Leiterin von Wortgottesfeiern eingeführt. Mein schönes Kleid wurde schon vorher gelobt (ich trage bewusst keine Albe, meine Verkündigung der frohen Botschaft ist die einer Frau), meine Auslegung aus dem Alltag einer Hausfrau, Mutter, Theologiestudentin war eine andere, als die bisher gehörten. Die Mitfeiernden haben sich dabei sehr oft erkannt, ja sogar geschmunzelt.
    Maria von Magdala hat wahrscheinlich auch nicht in den Kategorien der Rabbis gedacht, als sie die frohe Botschaft von Jesu Auferstehung weiter sagte. Aber ist es nicht schön, beide Seiten zu hören, wie Jesu frohe Botschaft weiter leben soll, die der von Männern und von Frauen?! Am liebsten möchte ich die Worte „Männer“ „Frauen“ übereinander schreiben, um ja keine Rangordnung dadurch herzustellen.

    Zu Martha und Maria hat mein Pfarrer gepredigt, dass wir wohl beide Frauenseiten in uns tragen: die von Martha und die von Maria. Das hat mich angesprochen, weil die Wertung weg war…. so genieße ich meine „Maria – Momente“ hier „in den Tasten“, bevor es zur „Martha“ in mir drängt, nämlich mit den Kindern einen schönen Ferientag zu verbringen :-).

    Ich wünsche uns allen einen schönen Feiertag heute!
    Möge Ruah weiter da sein, dann kann sich noch mehr bewegen.

  4. Annemarie Gindele sagt:

    Der heutige Festtag erfüllt mich dieses Jahr auch mit besonderer Freude. Bei meiner
    „Marta-Tätigkeit“ (nämlich das Einkaufen und Kochen für meine Familie) habe ich ganz laut unser Tiefenbronner Magdalenenlied gesungen. Eine meiner liebsten Strophen lautet: „Früh am hellen Ostermorgen standest du vor seinem Grab. Halleluja! Angst und Sorgen nimmt der Auferstandne ab. Ref: Sei Patronin unsres Ortes an des Allerhöchsten Thron bei dem Heiland, Gottes Sohn!“ Auch ich wünsche allen Frauen, die an dieser Internetseite so engagiert mitarbeiten und sich einbringen, einen gesegneten Festtag der Hl. Maria Magdalena, Apostolin der Apostel!!

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