Gott ist Barmherzigkeit – 15. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 10
25 In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?
27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben.
29 Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster?
30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen.
31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter.
32 Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter.
33 Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid,
34 ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
35 Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?
37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!

Autorin:
Susanne-WalterSusanne Walter, Gemeindereferentin in Filderstadt, verheiratet, vier Kinder

 
Die Predigt:
Gott ist Barmherzigkeit

Liebe Leserin, lieber Leser,
welch ein Glück, dass dem Überfallenen im heutigen Bibeltext ein Samariter zu Hilfe kam und er nicht das erleben musste, was vor zwei Monaten in Stuttgart passiert ist. In der Stuttgarter Zeitung war folgendes nachzulesen:
„Wie die Polizei berichtet, wurde gegen 13.10 Uhr an der S-Bahn-Haltestelle Schwabstraße ein 27-Jähriger ohne ersichtlichen Grund von einem Unbekannten angegriffen. Der Täter hatte das Opfer zuvor angesprochen und zu Boden gerungen.
Kurz darauf trat er dem Mann ins Gesicht, bevor er die S-Bahn-Haltestelle in Richtung Ausgang Schwabstraße wieder verließ. Trotz voll besetztem Bahnsteig verständigte niemand die Polizei. Der Geschädigte begab sich anschließend zum Bundespolizeirevier am Hauptbahnhof und erstattete Anzeige. Er erlitt eine blutende Platzwunde im Gesicht.“

Das passt ganz gut in unsere Ellenbogengesellschaft. Auch wenn sich fast 48 Prozent der Bevölkerung in Baden Württemberg ehrenamtlich engagieren, Karriere macht man damit nicht. Da ist etwas anderes gefragt. „Langzeitarbeitslose sind selbst schuld an ihrer Situation, Jobs gibt es genug“. Haben sie sicher auch schon gehört. Und wenn wir in das Weltgeschehen blicken, sieht es nicht arg viel anders aus. Kriege und Streit sind abgesehen vom Fußball in diesen Wochen an der Tagesordnung. Wo bleibt da Barmherzigkeit?

Die katholische Kirche begeht in diesem Jahr das „Jahr der Barmherzigkeit“.
Da lohnt es, sich diesen Begriff näher anzuschauen. Barmherzigkeit ist laut Duden eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an. Barmherzigkeit ist auch ein zentraler Begriff in den drei monotheistischen Weltreligionen:

Im Islam wird Gott mit „“ar – Rahaman“ (Allbarmherzigkeit) oder „ ar-Rahim“ (Allerbarmer) bezeichnet. Das Wort leitet sich vom semitischen Wortstamm „rahim“ ab, der Mutterleib bedeutet. Somit kann Barmherzigkeit als innerstes Wesen Gottes beschrieben werden und diese ist eindeutig weiblich. Ar-Rahaman drückt die bedingungslose und fürsorgliche Liebe Gottes zum Menschen aus. Der Koran führt weiterhin aus, dass Gott durch seine Barmherzigkeit immer schon zur Schöpfung des Menschen entschlossen war, dass er das Projekt „Mensch“ durch seine Barmherzigkeit vollenden und den Menschen in seine Gemeinschaft aufnehmen will. Er offenbart sich dem Menschen durch seine Barmherzigkeit, macht sich ihm erfahrbar und lädt ihn ein, sich in seine Hände fallen zu lassen. Barmherzigkeit ist gleichzeitig eine Einladung an den Menschen, Gottes Liebe zu erwidern und diese an seinen Mitmenschen und der Schöpfung zu verwirklichen.1 Deshalb ist eine der fünf Säulen des Islam auch die Verpflichtung, Almosen zu geben. Fast alle Suren im Koran beginnen mit der Formulierung : Im Namen Gottes des Barmherzigen… Somit wird jeder Muslim und jede Muslima beständig an die Barmherzigkeit Gottes erinnert.

Im Ersten Testament ist Barmherzigkeit ebenfalls eine der herausragenden Eigenschaften Gottes: Der Herr ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue ( siehe Exodus 34,6). Barmherzigkeit kommt vom hebräischen „rächäm“ und meint – wie im arabischen – den weiblichen Schoß. Gott ist und handelt barmherzig, weil er sich seines Volkes annimmt. Deshalb kann und soll Barmherzigkeit im zwischenmenschlichen Bereich herrschen. So fordern die Propheten auf, sich um die Menschen zu kümmern, sich ihrer zu erbarmen.

Im Zweiten Testament finden wir drei griechische Wörter, die im deutschen mit Barmherzigkeit, oder Erbarmen übersetzt werden:
éleos: Emotion, Mitleid haben, sich anrühren lassen (siehe die Bergpredigt)
splángchnon: Ort dieser Bewegung, das Herz ( wie beim „Samariter“)
oiktirmós: Ausdruck des Erbarmens in Wort und Tat, Mitgefühl zeigen, Trost spenden, Hilfe leisten

Der Evangelist Lukas lässt im ersten Kapitel seines Evangeliums Zacharias die Barmherzigkeit Gottes mit folgenden Worten preisen: Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens. Lukas 1,78.79

In Jesus von Nazareth ist die Barmherzigkeit Gottes Mensch geworden und uns ganz nahe gekommen. Jesus hat in all seinem Reden und Handeln versucht, den Menschen diese Barmherzigkeit Gottes nahezubringen und fordert uns auf, barmherzig zu handeln. (siehe Matthäus, Kapitel 25, in dem die klassischen Werke der Barmherzigkeit formuliert sind)

Wenn Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter zunächst nach dem ewigen Leben gefragt wird, so macht er deutlich, dass wir ohne die erbarmende Liebe zu Gott, zu mir und meinem Nächsten meilenweit von wahren Leben entfernt sind. Erst wenn ich frage, wem ich zum Nächsten werden kann, und danach handle, werde ich leben – so die Schlussantwort Jesu im heutigen Evangelium. Handle danach und du wirst leben – hier und jetzt

In allen drei Religionen – Judentum, Christenheit, Islam – finden wir folgende große Übereinstimmung:
– Gott ist Barmherzigkeit
– deshalb offenbart er sich
– will er Gemeinschaft mit den Menschen
– zeigt er Menschen Wege auf, gut und richtig zu leben

Wenn wir uns nur alle darauf besinnen, dann könnte die Welt ein bisschen besser werden!
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1 Einige Ausführungen habe ich folgendem Buch entnommen: „Islam ist Barmherzigkeit“, Mouhanad Khorchide, als Taschenbuch erschienen im Herderverlag 2015

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Eine Antwort auf Gott ist Barmherzigkeit – 15. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Walter sagt:

    Wunsch und Wirklichkeit…
    Der Schrei der Verlassenheit des am Kreuz zu Tode Gemarterten ist nicht verklungen.Er mündet in die Tragödie, die dem Schöpfungsakt innewohnt:
    7,4 Mrd. Menschen wollen „am Leben “ teilhaben !
    Muss nicht die Macht der “ barmherzigen Macher “ auf den Prüfstand ?
    „… denn sie wissen nicht, was sie tun !“.

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