Barmherzigkeit lernen – 2. Sonntag der Osterzeit C / Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit

Erste Lesung aus der Apostelgeschichte, Kapitel 5
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
12 Durch die Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder im Volk. Alle waren sie einmütig zusammen in der Halle Salomos.
13 Von den anderen aber wagte es niemand, engen Kontakt mit ihnen zu suchen. Doch sprach das Volk lobend über sie.
14 Immer mehr kamen dazu, die Jesus, der Macht über sie gewonnen hatte, vertrauten, scharenweise Frauen und Männer.
15 So trug man sogar die Kranken auf die Straßen hinaus und setzte sie auf Liegen und Matten ab, damit, wenn Petrus käme, auch nur sein Schatten auf jemand fiele.
16 Auch die Bevölkerung der Städte rings um Jerusalem lief zusammen; man brachte Kranke und von unheiligen Geistern Gequälte, die alle geheilt wurden.

Autorin:
Walburga_2009Walburga Rüttenauer – Rest, Bensberg, verheiratet, drei Kinder, Grundschullehrerin, nach der Pensionierung Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische und liturgische Aufgaben in der Pfarreigemeinde

Die Predigt:
Barmherzigkeit lernen

Liebe Leserin, lieber Leser,
Papst Johannes Paul II. hat im Jahr 2000 dem zweiten Sonntag nach Ostern, dem Weißen Sonntag, einen weiteren Beinamen gegeben: Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit. Es war ihm ein persönliches Anliegen aus eigener Gebetserfahrung. Papst Franziskus hat das ganze Kirchenjahr unter den Begriff der Barmherzigkeit gestellt. Doch was verstehen wir eigentlich darunter? Ich möchte mit Ihnen diesen Begriff näher anschauen.

Im dem Wort Barmherzigkeit stecken die Wörter :“arm“ und „Herz“. Das „B“ wurde später dazugefügt um das Wort besser aussprechen zu können. Ähnlich ist es mit dem Wort „warmherzig“ geschehen, was eine Seite der göttlichen Barmherzigkeit ist.
Die Bedeutung des Wortes meint, ein Herz für die Armen haben. Das scheint einfach und schlüssig zu sein, doch was versteht Jesus unter „arm“? Er selber spricht in diesem Zusammenhang von Zöllnern, Sündern und Kranken. Und in der Apostelgeschichte wird uns heute berichtet, dass die Jüngerinnen und Jünger nach der Auferstehung Jesu, dadurch auffielen, dass sie sich Kranken und Menschen, die sich seelisch gequält fühlten, zuwandten und sie heilten. Man brachte Kranke und von unheiligen Geistern Gequälte, die alle geheilt wurden.

Im Griechischen steht für das Wort heilen : therapeuein, was ursprünglich dienen bedeutete. Dienen ist eine Vorstufe der Barmherzigkeit, denn ohne die Bereitschaft zu dienen, können wir nicht barmherzig werden. Wir verstehen heute unter dem Begriff „arm“ meistens das Fehlen von Geld und damit verbunden das Fehlen von Lebensmitteln, Fehlen von Arbeit, usw. also Mangel an leiblichen, materiellen Gütern. Da wir aber in einem Sozialstaat leben, fehlt es an diesen Dingen meistens nicht. Der erste Teil des Wortes Barm-herzigkeit wäre damit uns abgenommen. Aber wie steht es mit dem „herzig“?

Was erwartet Jesus von uns heute? Er spricht einmal im Matthäusevangelium davon, dass wir Barmherzigkeit erst lernen müssten? (Kapitel 9, Vers 13: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer) Er kennt seine Zuhörer und weiß, dass sie zwar Geld und Sachspenden geben, also Opfer bringen, aber nach seiner Auffassung nicht barmherzig sind. Das zeigt sich darin, dass sie darüber empört sind, weil er mit Zöllnern und Sündern zu Tisch sitzt, mit ihnen speist, ihnen zuhört und sich mit ihnen unterhält. Für die Pharisäer sind die Menschen, die mit Jesus speisen, Sünder. Woher wissen sie das? Besteht ihr Wissen nicht eher aus Vorurteilen?

Kennen wir das nicht auch bei uns? Wenn eine Bettlerin an der Tür uns ein Papier hinhält, worauf steht, dass das Kind krank sei und sie kein Geld für die Medikamente hätten, kommt da bei uns nicht sofort Misstrauen hoch? Ich denke gleich, dass hier gelogen wird. Das sage ich den Bettlern ins Gesicht. Wenn ich dann trotzdem 5 € hinhalte, war ich dann barmherzig?

Barmherzigkeit ist eine besondere Form von Liebe.
In der Flüchtlingsbetreuung wurden von so vielen Menschen Sachspenden abgegeben, dass die Kleiderkammern manchmal keine mehr annehmen konnten. In den verschiedenen Gruppen von Ehrenamtlichen, die sich gebildet haben, um den Flüchtlingen zu helfen, ist es kein Problem, Möbel zu beschaffen oder Gardinen, Teppiche, Teller, Töpfe usw. zu besorgen, aber wenn es darum geht, herauszufinden, warum die Flüchtlinge oft die Möbel wieder vor die Tür stellen oder auch die Kleidungsstücke, die wir ihnen gegeben haben, in den Kleider-Container legen, haben wir nur wenig Zeit dafür, im Gespräch mit Hilfe von Dolmetschern zu erfahren, warum die Flüchtlinge so handeln. Stattdessen schimpfen wir über ihre Undankbarkeit. Dafür haben wir dann Zeit. Was hat das aber mit Barmherzigkeit zu tun?

Barmherzigkeit ist keine natürliche Eigenschaft des Menschen, sondern eine Eigenschaft Gottes, die wir nur über Jesus Christus erlernen können. Er setzte sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch, hörte ihnen zu, fragte nach, versuchte zu verstehen.

Wie könnte Barmherzigkeit heute bei uns aussehen, in einer Gesellschaft, in der soziale Absicherung und Fürsorge weithin vom Staat garantiert werden? Der Alt-Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, hat in einer Predigt für unsere Zeit, hier in Deutschland sieben Werke der Barmherzigkeit aufgestellt. Sie sind keine Erfindung des Bischofs, sondern er hat Menschen aus der Caritas, aus den Pfarrgemeinden, aus den Verbänden beauftragt, auf der Straße Menschen anzusprechen und zu fragen, was sie heute unter Barmherzigkeit verstehen. Aus den Antworten hat er sieben heraus gewählt als Beispiele für die sieben Werke der Barmherzigkeit. Sie könnten vielleicht auch für uns ein Wegweiser sein.

Es beginnt alles damit, dass ich mich einem Menschen zuwende und sage:
1. Du gehörst dazu.
Das Signal, auf welche Weise auch immer ausgesendet, besagt: „Du bist kein Außenseiter!“ „Du gehörst zu uns!“ – z. B. auch in unserer Pfarrgemeinde, bei der Flüchtlingsbetreuung, am Arbeitsplatz, auch in der Familie.

2. Ich höre dir zu.
Eine oft gehörte und geäußerte Bitte lautet: „Hab doch einmal etwas Zeit für mich!“; „Ich bin so allein!“; „Niemand hört mir zu!“ Immer mehr alte Menschen leiden unter Einsamkeit, aber auch Jugendliche brauchen eine Zuhörerin.

3. Ich rede gut über dich.
Ein grundsätzliches Wohlwollen für den Mitmenschen und seine Anliegen und die Achtung seiner Person müssen wir hier entwickeln. Vielleicht gelingt es Ihnen, die schlechte Meinung über jemanden umzuwandeln. Jeder Mensch hat auch gute Seiten.

4.Ich gehe ein Stück mit dir.
„Du schaffst das! Komm, ich helfe dir beim Anfangen!“ Wenn wir von Menschen hören, dass sie sich in einer schwierigen Situation befinden, z.B. bei der Suche nach einer neuen Arbeit oder einer Ausbildungsstelle, wenn ständig Absagen erteilt werden, oder wenn bei der Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen Angehörige nicht mehr leben wollen.

5. Ich teile mit dir.
„Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Menschen, die eine schlechte Diagnose vom Arzt erhalten haben, Menschen, deren Ehe, Partnerschaft vor dem Aus steht, die von ihrem Partner verlassen wurden.

6. Ich besuche dich.
Gehen wir auch auf jene zu, die nicht zu uns gehören. Sie gehören Gott, das sollte uns genügen, um sie aufzusuchen z.B. ungeliebte Nachbarn, schwierige Kollegen, nörgelnde Senioren im Altersheim.

7. Ich bete für dich.
Tun wir es füreinander, gerade dort, wo es Spannungen gibt, wo Beziehungen brüchig werden, wo Worte nichts mehr ausrichten. Gottes Barmherzigkeit ist größer als unsere Ratlosigkeit und Trauer.

Wenn es uns gelingt ein Werk der Barmherzigkeit zu verwirklichen, wird Gottes Barmherzigkeit durch uns erfahrbar und wir werden erfahren, dass die Liebe und Menschenfreundlichkeit in unserem Herzen gewachsen ist. Manchmal spüren wir dann in uns eine unbekannte Wärme aufsteigen: die Warmherzigkeit, ein fast vergessenes Wort.

Mit einer kurzen Meditation mit Ihnen zur Barmherzigkeit möchte ich abschließen. Sie sehen einen Ausschnitt von dem Kruzifix in der Neumünsterkirche aus Würzburg.
Schauen wir uns das Kruzifix ein wenig länger an.

Neumünster Kreuz

Jesus hat seine Arme vom Kreuz genommen und hält sie uns in besonderer Weise hin. Versuchen Sie Ihre Arme in eine ähnliche Position zu bringen.

Erinnern Sie sich jetzt an etwas?
Auch wir haben in unserem Leben manchmal so unsere Arme gehalten. Meistens waren wir dann glücklich. Unsere Hände waren in diesen Augenblicken – ein Kind nach der Geburt, ein Enkelkind bei seinem ersten Besuch -, aber nicht mit langen Nägeln durchbohrt! Hier auf dem Bild schützen die Nägel das, was Jesus in seinen Armen hält, denn sie sind nach außen gewandt. Die Instrumente der Gewalt haben sich hier in einen starken Schutz verwandelt.

Zu diesen nach außen gewandten Nägel eine kurze Geschichte zur Erklärung:
Ich denke dabei an eine junge Frau, die mir so viel bedeutet wie mein leibliche Tochter. Ich hatte sie oft in meinen Armen getragen als sie ein Säugling war. Herangewachsen machten wir vieles gemeinsam und verstanden uns sehr gut. Doch dann verletzte sie mich in einer schwierigen Situation so sehr, dass wir uns voneinander trennen mussten. Nach mehr als einem Jahr stand sie plötzlich vor der Tür. Wir sahen uns an und bei jedem von uns traten Tränen in die Augen. Ich umarmte sie und sie mich. Sie blieb mehrer Stunden da, ohne dass wir auf die vergangenen Verletzungen zu sprechen kamen. Als ich dann erfuhr, dass sie übel hintergangen worden war, merkte ich, dass sich meine Verletzungen verwandelten in eine Kraft, mit der ich bereit wurde, sie zu schützen und ihr zu helfen.

Überlegen Sie jetzt in einer kurzen Stille, wen Sie heute gerne in die Arme Jesu legen würden.

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