Weint über euch – Palmsonntag Lesejahr C

Aus der Lukaspassion, Kapitel 23
26 Als sie Jesus hinausführten, ergriffen sie einen Mann aus Zyrene namens Simon, der gerade vom Feld kam. Ihm luden sie das Kreuz auf, damit er es hinter Jesus hertrage.
27 Es folgte eine große Menschenmenge, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten.
28 Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder!
29 Denn es kommen Tage, da wird man sagen: Wohl den Frauen, die unfruchtbar sind, die nicht geboren und nicht gestillt haben.
30 Dann wird man zu den Bergen sagen: Fallt auf uns!, und zu den Hügeln: Deckt uns zu!
31 Denn wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren werden?

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindeseelsorge, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Eine Betrachtung:
Weint über euch

Liebe Leserin, lieber Leser,
bestimmt sind auch in Ihrer Kirche die Kreuzwegstationen dargestellt, vielleicht eine altes Kunstwerk oder anschauliche Bilder im Nazarenerstil des 19. Jahrhunderts oder eine moderne Auseinandersetzung mit den 14 Themen des Kreuzweges. Nicht alle Stationen sind biblisch belegt. Dass Jesus dreimal unter dem Kreuz hinfällt, dass er seiner Mutter am Weg begegnet, dass ihm Veronika ein Schweißtuch reicht – diese fünf Begebenheiten stammen aus der gläubigen Betrachtung der Passion Christi durch die Jahrhunderte hindurch. Die achte Station zeigt, wie Jesus sich den klagenden und weinenden Frauen Jerusalems am Weg zuwendet. Nur Lukas erzählt in seiner Leidensgeschichte davon.

Weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder! Dieser Satz berührt mich sehr, er trifft. Haben wir nicht allen Grund, über die Abgründe unseres Herzens zu weinen? Jesus will kein Mitleid, sagt Anselm Grün in seiner Betrachtung zum Lukasevangelium*, er will, dass wir seine Botschaft ernst nehmen. Seht, ich schaffe etwas Neues (Jesaja 43,19), das erschloss uns die Predigt vom letzten Sonntag. Und es ist doch der tiefste Sinn der Menschwerdung Gottes, dass Neues in der Welt entstehe, dass wir neue Menschen werden. Jesus nennt es das Reich Gottes. Das ist der Inhalt seines Evangeliums. Und e r ist der Mensch, der Menschensohn, an dem wir sehen können, was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet, die Liebe zu Gott und die Liebe zu allen Mitmenschen und Mitgeschöpfen in Gottes Welt. Alles soll zu seinem Recht kommen. Dafür, damit w i r es begreifen, setzt er sich der Ablehnung und dem Hass aus. Dafür geht er den Leidensweg ans Kreuz.

Doch mit dem Begreifen allein ist es eben nicht getan. Wenn ich mich meinen Gefühlen stelle, muss ich zugeben, dass da so manches nicht vorzeigbar ist. Da sind bestimmte Menschen, mit denen ich mir sehr schwer tue, wo mich negative Gefühle und abwertende Gedanken immer wieder einholen. Ein echtes Problem, das sich nicht so einfach auflösen lässt, wo der Ruf Jesu zur Umkehr bei mir nicht greifen will. Zu viele lebenslange Verletzungen und Antipathien sind da im Spiel.

Gängig ist heute die Ansicht: „Ich bin okay, du bist okay!“ Den Satz unterschreibe ich voll und ganz, insofern wir Töchter und Söhne Gottes sind, unendlich und unwiderruflich geliebt. Dem können wir nur entsprechen, indem wir uns gegenseitig zu verstehen suchen, achten und wertschätzen, indem wir auch uns selbst achten und wertschätzen. Das kann aber nicht heißen, dass wir den selbstkritischen Blick abschalten dürfen: Es ist eben bei weitem nicht alles in Ordnung! Und will ich nicht in Wahrheit sehr viel mehr an Geld und Gütern für mich haben, als mit anderen teilen? Wenn ich das alles wirklich ernst nehme, kann ich nur Reue darüber empfinden und Tränen vergießen, dass es so ist wie es ist. Da hilft keine Beschwichtigung und Vertröstung. Und wenn es schon im privaten Umfeld so unendlich schwer ist, wie viel Hoffnung auf echte Besserung können wir dann haben für unsere Gesellschaft, in der nicht wenige fremde Menschen ablehnen, was ganz klar im Widerspruch zur Botschaft Jesu steht, für die großen Konflikte in den Kirchen, zwischen den Religionen und Völkern?

Wenn ich vor der Kreuzwegstation stehe, wie Jesus den weinenden Frauen begegnet, kann ich nichts tun, als das Unauflösliche in meinem Leben in das Licht Gottes zu halten; das ist schmerzhaft. Mir hilft im letzten nur die Hoffnung auf Gottes Heilige Geistkraft; sie allein kann die Herzen der Menschen bewegen und wandeln, auch das meine. Daran glaube ich, darauf vertraue ich. Das bedeutet für mich Hoffnung: Am Unabänderlichen leiden, beten, immer wieder neu anfangen, damit die Passion Jesu nicht umsonst war. Amen

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* Anselm Grün, Jesus – Bild des Menschen, Das Evangelium des Lukas, 2001

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