Mit Gnade beschenkt – Zum Hochfest der Erwählung Mariens am 8. Dezember

Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 1
In jener Zeit
26 wurde der Engel Gabriel von Gott in einen Ort Galiläas gesandt, der Nazaret hieß,
27 zu einer jungen Frau. Diese war verlobt mit einem Mann namens Josef aus dem Hause Davids. Der Name der jungen Frau war Maria.
28 Als er zu ihr hineinkam, sagte er: „Freue dich, du bist mit Gnade beschenkt, denn die Lebendige ist mit dir.“
29 Sie aber erschrak bei diesem Wort, und sie fragte sich, was es mit diesem Gruß auf sich habe.
30 Der Engel sprach zu ihr Folgendes: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade
gefunden bei Gott.
31 Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären und du wirst ihm den Namen Jesus geben.
32 Dieser wird groß sein und Kind des Höchsten genannt werden. Gott, die Lebendige, wird ihm dem Thron Davids, seines Vorfahren, geben
33 und er wird König sein über das Haus Jakobs in alle Ewigkeiten und seine Herrschaft wird kein Ende nehmen.“
34 Maria aber sagte zu Engel: „Wie soll das geschehen, da ich von keinem Manne weiß?“
35 Der Engel antwortete ihr: „Die heilige Geistkraft wird auf dich herabkommen und die Kraft des Höchsten wird dich in ihren Schatten hüllen. Deswegen wird das Heilige, das geboren wird, Kind Gottes genannt werden.
36 Siehe Elisabet ist mit dir verwandt: Sie hat in ihrem Alter ein Kind empfangen und dieser Monat ist der sechste für die, die unfruchtbar genannt wurde.
37 Denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“
38 Maria sagte: „Siehe, ich bin die Sklavin Gottes. Es soll geschehen, wie du mir gesagt hast.“

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindeseelsorge, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Mit Gnade beschenkt

Liebe Leserin, lieber Leser,
von meiner Patin, deren Großvater ein passionierter Kunstsammler war, ist eine gotische Madonna aus der Ravensburger Schule in unsere Familie gekommen. „Meine“ Madonna hält ein lächelndes und quicklebendig erscheinendes Jesuskind auf dem Arm, ihr Blick aber ist sehr ernst, eigenartig abwesend, in sich gekehrt, so als schaute sie durch den Schleier der Zukunft hindurch das Leid ihres Lebens und dazu die Leiden und Verstrickungen der ganzen Menschheit. Der Gegensatz zwischen der Unbeschwertheit des Kindes und der Last, die anscheinend auf dieser jungen Frau liegt, wirkt fesselnd, lässt mich nicht los.Madonna

Am 8. Dezember ist einer ihrer Festtage, das Fest der „Erwählung Mariens“, besser bekannt als „Unbefleckte Empfängnis“, ein wichtiger Baustein im Lehrgebäude des Glaubens, der Dogmatik, aber schwer verständlich für viele Glaubende. Anstatt meine eigenen Worte darüber zu machen, möchte ich eine Passage aus Franz Werfels Roman „Das Lied von Bernadette“ zitieren. Am 8. Dezember 1854 hatte Papst Pius IX. das Dogma von der unbefleckten Empfängnis verkündet. Am 11. Februar 1858 erscheint dem einfachen Mädchen Bernadette Sobirous in der Felsgrotte Massabielle bei Lourdes eine wunderschöne junge Dame, die sich in Bernadettes 16. Vision im französischen Dialekt der Pyrenäen als „immaculada councepciou“, also als „unbefleckte Empfängnis“ zu erkennen gibt. Der Ortsgeistliche will herausfinden, ob irgendjemand diesen schwierigen Ausdruck Bernadette beigebracht hat, die ein einfaches Schulmädchen ist, und noch dazu nur schwer lernt. Bernadette kann sich die Selbstbezeichnung der schönen jungen Dame: „Què soy l´immaculada councepciou“ nur mit Mühe merken und weiß nicht, was sie bedeutet. Deshalb setzt der Pfarrer zu einer Belehrung an:

„Dann will ich dir sagen, liebe Kleine, was es für Bewandtnis hat mit dieser Immaculada Councepciou. Vor vier Jahren, am 8. Dezember hat unser Heiliger Vater, Papst Pius in Rom, der Welt die Lehre verkündet, dass die Allerseligste Jungfrau Maria vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an, das heißt vom ersten Augenblick ihres Daseins im Mutterleibe von allem Makel der Erbsünde bewahrt worden ist durch die Gnade und Bevorzugung Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi… Verstehst du das, Bernadette?“
Bernadette schüttelt langsam den Kopf:
„Wie kann ich das verstehen, Monsieur Le Curé?“
„Das glaub ich dir wohl, mein Kind, wie könntest du das verstehn? Das ist keine Sache für das Verständnis der Welt. Darüber haben sich die Gelehrten den Kopf zu zerbrechen. Aber eins wirst vielleicht auch du kapieren: Wenn die Allerseligste Jungfrau Maria wirklich spräche, so könnte sie von sich nur sagen: Ich bin die Frucht der Unbefleckten Empfängnis. Nicht aber kann sie sagen: Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Geburt und Empfängnis, das sind Geschehnisse. Eine Person aber ist kein Geschehnis. Niemand kann von sich sagen: Ich bin die Geburt meiner Mutter. `hein?…“
Bernadette sieht Peyramale schweigend und teilnahmslos an. In der verschleierten Rauheit seiner Stimme grollt es:
„Deine Dame hat also einen unverzeihlichen Schnitzer gemacht. Gibst du das zu?“
Bernadette runzelt die Stirn unterm Capulet, das sie nicht abgelegt hat:
„Die Dame“, sagt sie nach einer Minute Nachsinnens, „ist doch eine Fremde hier. Mir kommt vor, manchmal kann sie sich nicht ganz leicht ausdrücken…“
Bei diesen Worten kann Abbé Pomian (Kaplan und Religionslehrer von B.) ein Lächeln nicht verheimlichen…

Diese anrührende Szene stammt, wie schon gesagt, aus dem Roman Franz Werfels, der glaubhaft versichert, dass er seine Erzählung hart an die in Lourdes überlieferten Tatsachen angelehnt hat, wo er sich als Jude 1940/41 vor den Nazis verbarg. Den Roman „Das Lied von Bernadette“ schrieb er in Erfüllung eines Gelübdes als Dank für seine Errettung und zur „Verherrlichung des göttlichen Geheimnisses und der menschlichen Heiligkeit“.

Was lernen wir daraus? Maria war also vom ersten Augenblick ihres Daseins ebenso wie Jesus mit der reichen Gnade beschenkt, in jeder Versuchung standhaft bleiben zu können. Für alle anderen Menschen gilt, was Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom so unübertrefflich ausgedrückt hat: Nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. (Röm 7,19) Das kennen wir alle Tag für Tag in unendlichen Formen und Ausprägungen zur Genüge. Wir wissen was wir tun sollten, wir wollen es auch tun – und doch gelingt es nicht. Unser Wille ist zu schwach, die Ablenkungen und Verführungen sind zu groß, die Gefühle, Leidenschaften und Süchte zu mächtig. Darum brauchen wir eine unendliche Zahl von Therapeutinnen und Therapeuten, die uns helfen, unsere Verblendungen und Abhängigkeiten zu erkennen und allmählich aufzulösen. Was dabei auch bei uns selber oft in Vergessenheit gerät, ist unser gebrochenes Verhältnis zu Gott, denn mit allem, was uns und anderen schadet, stellen wir uns auch gegen ihn und seine Idee für jede und jeden von uns.

Maria aber bezeichnet sich im Evangelium in der Denkweise ihrer Zeit als Sklavin Gottes, als Leibeigene Gottes, und tritt damit heraus aus dem Sog des Bösen. Ein Sklavenverhältnis Gott gegenüber – wir würden das heute natürlich nicht mehr so ausdrücken – macht unendlich frei. Damit wird sie zum Gegenbild der ersten Menschen, die nach der Paradieserzählung in der Schöpfungsgeschichte der Versuchung durch das Böse nicht standhalten konnten und Gottes Gebot übertraten. Mit Maria aber setzt Gott einen neuen Anfang, damit sie Mutter des Gotteskindes werden kann, von dem es im Hebräerbrief heißt: Wir haben einen Hohenpriester, der über unsere Schwächen Mitleid empfindet. Jesus wurde ja genau wie wir in allem auf die Probe gestellt, aber er entfernte sich nicht von Gott. (Hebr 3,15)

Am Fest der Erwählung Mariens geht es also nicht um die Jungfrauengeburt, die auch als eine Abwertung der weiblichen Sexualität und aller Vorgänge um Zeugung und Gebären verstanden werden kann, besonders weil sie in der Liturgie unserer Kirche so seltsam oft betont wird, sondern um einen freien Menschen vor Gott, der durch Gottes Gnade der Sünde widerstehen konnte. Und doch musste Maria große Tiefen der Verzweiflung und des Leidens durchmachen. Für mich spiegelt sich das im Blick „meiner“ Madonna, von der ich eingangs gesprochen habe. Sollte da ihr Vertrauen und ihre Bindung an Gott nicht auch ins Wanken geraten sein? Es ist anders kaum vorstellbar. Gerade deshalb aber kann sie uns genauso wie Christus, aber doch als Frau, ganz besonders gut verstehen. Gerade deshalb ist sie für uns „Stern im Lebensmeer“ und „Leuchte und Trost auf der nächtlichen Fahrt“, wie es in den alten Marienliedern heißt. Deshalb kommen sehr viele Menschen auch heute noch mit all ihren Anliegen und Bitten zu ihr. Darüberhinaus dürfen wir uns an ihrer Stärke ausrichten. Haben nicht auch wir in der Taufe „Christus angezogen“ um als „neue Menschen“ zu leben? Auch wenn wir oft so denken und handeln, wie wir es eigentlich nicht wollen, so können doch auch wir immer wieder um die Gnade bitten, frei zu werden und weiter zu kommen auf unserem Weg der Entwicklung zu dem freien Menschen, der uns in Maria vor Augen steht.

Am 8. Dezember wird Papst Franziskus in Rom feierlich das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnen. Jeden Abend wird das ganze Jahr über um 18 Uhr der Rosenkranz zu Füßen der Petrus-Statue auf dem Petersplatz gebetet. Wir könnten uns anschließen und dieses Gebet auch für uns neu entdecken: Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade.

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Eine Antwort auf Mit Gnade beschenkt – Zum Hochfest der Erwählung Mariens am 8. Dezember

  1. Walter sagt:

    Schicksal und Abkehr…
    wozu denn sollte sich die traditionelle Theologie mit og. Sklavendasein identifizieren ?
    Das Geschenk des Glaubens an “ die Freiheit der Sklaven “ widersteht ihrem Machtanspruch über die Seelen, denn sie befreit vom Gesetz ( Gal 3),von Erbsünde und Hölle.
    Das so oft schwer erträgliche Schicksal des Sklaven eines mitleidenden Gottes wird leicht, wenn ich an Maria denke, die wie ich, voll der Gnade ist ,
    – welche die Abkehr von der Sündentheologie schenkt..

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