Ansehen, Grenzen überschreiten, öffnen – 23. Sonntag im Jahreskreis B

Zweite Lesung aus dem Jakobusbrief, Kapitel 2
1 Meine Schwestern und Brüder, haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person.
2 Wenn in eure Versammlung ein Mann mit goldenen Ringen und prächtiger Kleidung kommt, und zugleich kommt ein Armer in schmutziger Kleidung,
3 und ihr blickt auf den Mann in der prächtigen Kleidung und sagt: Setz dich hier auf den guten Platz!, und zu dem Armen sagt ihr: Du kannst dort stehen!, oder: Setz dich zu meinen Füßen! –
4 macht ihr dann nicht untereinander Unterschiede und fällt Urteile aufgrund verwerflicher Überlegungen?
5 Hört, meine geliebten Schwestern und Brüder: Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 7
In jener Zeit
31 verließ Jesus das Gebiet von Tyrus wieder und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis.
32 Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.
33 Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel;
34 danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich!
35 Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
36 Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt.
37 Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.

Autorin:
Margret Schäfer-Krebs Margret Schäfer – Krebs, Pastoralreferentin, Referentin im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg für Liturgie und Ökumene

 
Die Predigt:
Ansehen, Grenzen überschreiten, öffnen

Liebe Leserin, lieber Leser,
oftmals, so scheint es mir, wird mehr Wert und Aufmerksamkeit einer Verpackung geschenkt als dem Inhalt. Auf die Dekoration kommt es an. Wenn das Äußere nicht gefällt, interessiert das, was dahinter ist, nicht oder kaum. Das erleben wir jeden Tag, wenn wir durch Einkaufsstraßen und -märkte gehen. Die ganze Werbebranche und viele Internetseiten funktionieren so. Auch wenn ich an Präsentationen von Referaten oder Vorträgen denke, ist das Verhältnis von Drumherum und eigentlicher Aussage manchmal unverhältnismäßig. Menschen gegenüber reagieren wir ähnlich. Der erste Eindruck zählt. Ein entsprechender Aufwand wird betrieben um z.B. für ein Bewerbungsgespräch im richtigen Outfit zu erscheinen oder anziehend zu wirken, wenn es um die Partnersuche geht.

Angesehen zu werden korrespondiert mit dem Selbstwertgefühl. In dem Maße, in dem ich Ansehen genieße, fühle ich mich gut, wertvoll und im Leben aufgehoben. Und hat man erst einmal sein Ansehen, muss daran gearbeitet werden, es zu behalten. Nochmehr Aufwand braucht es, einen drohenden Verlust des Ansehens zu verhindern oder wenn dieser nicht aufzuhalten ist, ihn so gut es geht zu kaschieren. Ein Mensch ohne Ansehen steht auf der Verliererseite; ihm fehlt zu einem großen Stück der Boden unter den Füßen. Unsere Welt funktioniert so und auch ich ticke so.

Allein wenn ich an einen samstagmorgendlichen Gang durch den Wochenmarkt denke: Wer ist in meinen Augen angesehen und wer weniger oder gar nicht? Wem gilt meine Aufmerksamkeit? Wen grüße ich und mit wem unterhalte ich mich? Etwa mit dem Flüchtling etwas abseits? Wen oder was übersehe ich oder denke „jetzt bitte nicht“. Andere machen es mit mir genauso. Auch ich werde gesehen und übersehen. Manchmal kann das richtig weh tun.

Wenn sich aber das ganze „So ist das halt“ rund um den Kirchturm und näher hin im Gottesdienst auch so abspielt, müssten laut der zweiten Lesung des heutigen Sonntags die Alarmglocken angehen. Der Verfasser des Jakobusbriefes macht klar und ohne Schnörkelei deutlich, dass im Gottesdienst andere Regeln gelten und zu gelten haben. Wer da die Edlen und Reichen und Angesehenen bevorzugt und arme Leute auf die Stehplätze verweist, den treiben verwerfliche Überlegungen. Der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus verbietet es, nach dem Ansehen einer Person zu gehen und zu urteilen.

Der Jakobusbrief ist, so zeigt es sein ermahnender Charakter, an Christengemeinden geschrieben, die gefährdet sind, ihren Glauben in Krisensituationen zu verlieren und die es an praktischen Konsequenzen ihres in der Taufe gewonnenen erneuerten Lebens fehlen lassen. Die Adressatinnen und Adressaten dieses Briefes sind Christen, deren Glaube keine produktive Kraft mehr hat, deren Ermüdungserscheinungen die Dynamik des Anfangs aufzulösen beginnt. In diesen Gemeinden findet man keine ‚jesus-mäßige’ Alternative mehr zum Mainstream. Was so gang und gäbe ist, wird allmählich auch in der Gemeinde gang und gäbe.

Ich meine, so sehr unterscheiden wir uns nicht von den Jakobusgemeinden. Wie geht es bei uns zu? Wer gehört bei uns zu den Angesehenen aus Sicht der Gemeindemitglieder und aus Sicht der Pfarrer und pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen? Wer ist im Blick und wer gerät leicht aus dem Blick? Und um diejenigen, die selbst ihre Stehplätze schon verlassen haben, macht sich da jemand noch Gedanken und für sie gar die Hände schmutzig? Wird es all denen, die ein kirchliches Amt angestrebt haben, um sich vom Staub dieser Welt frei zu halten und so schön unter ihresgleichen die Privilegien eines kirchlichen Amtes zu genießen, noch ungemütlich bei solchen Worten aus dem Jakobusbrief? Papst Franziskus wird nicht müde, dieses Denken und Gehabe anzufragen.

Was im Jakobusbrief steht, gilt aber nicht nur für die kirchliche Leitungsetage, sondern jedem und jeder, der und die in die „Versammlung“ geht. Auch ich muss mich fragen, wem dient und hilft das, was ich tue und sage? Was ist Imagepflege und was ist Reich-Gottes-Arbeit. Hat das, wie ich mich einbringe, etwas mit dem zu tun, was mit Jesus in dieser Welt begonnen hat? Das geht nicht ohne Grenzüberschreitungen und bisweilen etwas Courage. Jemanden Armen an seine Seite holen, kann am eigenen Lack Kratzer geben. Würde mein Mut so weit reichen, den Armen vor der Kirchentür einzuladen hereinzukommen? Und würde ich bei ihm in der Bank bleiben?

Im Evangelium vom heutigen Sonntag lesen wir, dass Jesus in das Gebiet der Dekapolis ging, das hellenistische „Zehnstädtegebiet“ im Ostjordanland, das direkt dem römischen Stadthalter von Syrien unterstanden hat. Ein Gebiet, das für die Juden als unrein galt. Jesus betätigt sich also nicht nur als Grenzgänger, sondern als Grenzüberschreiter. Jesus hat sich diesem Neuland und den Menschen in diesem Gebiet geöffnet und kann nun zu dem Taubstummern sagen: „Öffne dich“. Einer, der keinen Pieps hört und sagen kann, bekommt so offene Ohren und kann nun reden.

Zugegeben, ich habe keinen Kontakt zu Menschen mit einer solchen Behinderung. Aber ich kenne einige, die durch ihr Leben immer mehr verstummt sind. Und ich kenne Menschen, die einfach nicht hinhören, oder nur hören, was sie hören wollen, oder nur noch sich selbst reden hören. Und die alle, sind auch arm dran. Sie leiden vielleicht keine materielle Armut, sind aber dennoch sehr eingeschränkt. Solche Stummheit und Taubheit lässt vereinsamen, macht unbeliebt und grenzt aus. Solche Armen haben wir auch in der Gemeinde. Wo haben diese ihren Platz? Wo finden diese ein offenes Ohr und ein gutes Wort, das sie vielleicht öffnet? Solche Leute können unbequem und lästig sein, oder leicht übersehbar.

Und ich selber bringe manchmal auch kein Wort heraus, wo Klartext angesagt wäre oder habe gerade kein Ohr für das, was ein anderer mir sagen möchte. Wen habe ich, dem ich mich in dieser Armut anvertrauen kann, ohne dass mein Ansehen darunter leidet?

Haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus frei von jedem Ansehen der Person. Wie können wir auf den Gekreuzigten schauen und vor der eigenen und der uns umgebenden Armut wegschauen? Das Ansehen Jesu hat sich für alle Zeiten mit dem Ansehen derer verbunden, die das Kreuz jedweder Armut tragen. Das tröstet und heilt mich in meiner Armut und ich hoffe, dass ich meine Grenzen offen halten kann für die Armut, die ich um mich herum erleben muss.

„Öffne mich, Herr“ – ich und Sie, wir könnten diese drei Worte heute als Herzensgebet mitnehmen auf den Weg durch diesen Tag und sehen, mit welchen Wirklichkeiten es sich heute verbindet, was wir an-sehen dürfen und was uns noch begegnet. Vielleicht sehen wir dann mehr als nur den Augen-Schein.

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