Sehnsucht nach der neuen Realität Jesu – 18. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus , Kapitel 14
13 In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach.
14 Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren.
15 Als es Abend wurde, kamen die – Jüngerinnen und – Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können.
16 Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!
17 Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns.
18 Darauf antwortete er: Bringt sie her!
19 Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten,
20 und alle aßen und wurden satt. Als die Jünger – und Jüngerinnen – die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll.
21 Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.

Autorin:
C-Bettin-komprimiert-200x300Christina Bettin, Gemeindereferentin in der Gemeinschaft der Gemeinden Mönchengladbach – Süd im Bistum Aachen

 
Die Predigt:
Sehnsucht nach der neuen Realität Jesu

Liebe Leserin, lieber Leser,
im Evangelium begegnet uns heute die Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung. Wer von uns hat sie nicht schon zigmal gehört? Teils mit Unglauben vielleicht, teils mit Verblüffung, teils rein kognitiv mit dem Verstand nach einer Erklärung suchend, teils mit mystischer Sensibilität vielleicht, teils auch mit einem Wunderglauben. Je nach Verstehenshorizont, Lebensalter, Erfahrungsschatz oder Gestimmtheit bringt diese Erzählung andere Saiten bei mir zum Schwingen. Heute möchte ich sie als neue Realität Jesu sehen, die er uns aufzeigt, eröffnet und ermöglicht. Das weckt eine tiefe Sehnsucht in mir! Ich möchte die Perikope als neue Welt des Miteinanders deuten, in der „Aufeinander achten“ und „Miteinander teilen“ wesentlich sind. Eine Geschichte, die von der Sensibilität und dem Einfühlungsvermögen Jesu berichtet, der die existentielle Not der Menschen wahrnimmt, der sich anrühren lässt und aktiv wird.

Voraus geht, dass Jesus von der Enthauptung Johannes des Täufers gehört hatte. Johannes war ihm nicht nur vom Verwandtschaftsgrad her nahe, sondern darüber hinaus eben auch spirituell und religiös sehr nahestehend. So hat ihn diese brutale Nachricht sicher tief erschüttert und aufgewühlt. Erst einmal möchte Jesus mit seinem Schmerz und seiner Trauer alleine sein und fährt mit dem Boot weg, um Abstand zu haben. Doch die Menschen, die große Stücke auf ihn setzen, gehen ihm nach mit allen ihren verschiedenen Kümmernissen und Bedrängnissen. Jesus mit seinem großen, mitfühlenden Herzen hat Verständnis für sie. Er nimmt sich viel Zeit für sie, geht auf sie ein und heilt auch die Kranken. Darüber wird es Abend. Zu den seelischen Nöten kommt nun der ganz banale Hunger noch dazu. In dieser Situation schickt Jesus die Menschen nicht weg, sondern sie bleiben allesamt in der Gemeinschaft beieinander. Jesus teilt die Verantwortung mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, um die Not zu wenden. Sie greifen das Wenige auf, was die Menschen bei sich haben und beitragen können. Jesus wendet sich damit in einem großen Vertrauen, mit Lob und Dank an seinen Vater. Dieses Vertrauen wird nicht enttäuscht, denn Gott gibt überreich und ohne Maß. Alle werden satt.

Ich lese aus dieser Geschichte, dass auch ich getrost mein volles Vertrauen auf Gott setzen darf. Er lässt niemanden leer ausgehen. Er gibt in überreichem Maß. Er gibt auch an uns alle ganz unterschiedliche Gaben und Fähigkeiten. So geht es um einen verantwortungsvollen Umgang damit, dass wir, was wir haben, einsetzen und zwar zum Wohle aller. Das fordert mich heraus zu einer politischen und caritativen Verantwortung in dieser einen Welt. Und es lädt mich ein, ein wirklich groß empfundenes „Wir“ in der einen Menschheitsfamilie zu erleben. Diese biblische Brotgeschichte hat etwas überaus Gemeinschaftsstiftendes, ja fast Eucharistisches: Brot brechen und Gott danken, Beten und Aus-teilen. – Die Sehnsucht im gemeinsamen Mahl etwas Verbindendes zu erleben, ist bei vielen Menschen unterschiedlicher Konfessionen wach. So gelesen ist es auch eine zutiefst ökumenische Geschichte. Denn Jesus schließt keinen aus.

Auf diesem Hintergrund möchte ich Ihnen gerne abschließend noch von einem bewegenden Moment der Ökumene in meiner Stadt berichten:
Alle sieben Jahre findet in Mönchengladbach an den Tagen vor Fronleichnam eine Heiligtumsfahrt statt. Dabei wird der Münsterschatz mit dem Tuchreliquar geöffnet und den Pilgern und Pilgerinnen gezeigt. Was ist das für eine Tuch-Reliquie? Das Stück Stoff wird von den Gläubigen als ein Stück des Abendmahlstuches Jesu verehrt. Alles was damit zusammenhängt, Reliquenverehrung, Fronleichnamsprozession fehlende Abendmahlsgemeinschaft, ist natürlich in der Ökumene ein hoch sensibles Thema. Daher gab es weit im Vorfeld Überlegungen, wie hier, trotz aller Unterschiede, eine Einladung an evangelische Christinnen und Christen ausgesprochen werden kann. So feierten schließlich am Vorabend des Fronleichnamsfestes evangelische Gläubige einen großen Abendmahlsgottesdienst auf einem besonderen Tischtuch, dass sie am folgenden Tag den katholischen Christinnen und Christen als Geschenk zur Eucharistiefeier übergaben. Diese Geste und Gabe wurde allseits als intensives Zeichen und Symbol für die Sehnsucht nach Einheit und Gemeinschaft verstanden: Zwar noch an getrennten Tischen, aber auf ein und demselben Tuch! Das ganze Jahr lang wird nun dieses symbolträchtige Abendmahlstuch durch die evangelischen sowie katholischen Gemeinden gehen und jeweils als Tischtuch für Eucharistiefeiern bzw. Abendmahlsfeiern dienen. Am Ende wird es einem besonderen Schrein zugeführt, der zukünftig den Mönchengladbacher Münsterschatz ergänzt.

Die Brotvermehrungsgeschichte nährt in mir genau solch eine tiefe Sehnsucht nach Gemeinschaft und umfassender Sättigung an Leib und Seele. Setzen wir also all unser Vertrauen in Gott, denn er schickt niemanden weg und gibt in überreichem Maß.

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2 Antworten auf Sehnsucht nach der neuen Realität Jesu – 18. Sonntag im Jahreskreis A

  1. W. sagt:

    Das oekumenische Tischtuchzeichen aus Mönchengladbach finde ich sehr beeindruckend. Das müsste Nachahmer finden, so dass öffentlich sichtbar wird, wie sehr wir uns nach der Tischgemeinschaft sehnen.Wir feiern zwar in unserer Gemeinde ein oekumenisches Pfarrfest. Aber jedesmal feiern wir gleichzeitig jeder in seiner Kirche Eucharistie oder Abendmahl. Die Gläubigen wechseln dann oft die Kirche, was aber für die Katholiken bzw ihren Pfarrer nicht ungefährlich ist. Eine Rüge hat er schon hinnehmen müssen, als darüber zu laut gesprochen wurde, doch dieses Tischtuchsymbol ist, so glaube ich, dogmatisch gesehen unanfechtbar.
    Vielen Dank für diese Predigt!

    • Kähny sagt:

      Angst und Vermehrung…

      Die Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung hat ihr vorläufiges (?) Ende erreicht in der agroindustriellen Überproduktion,massenhaften Verarmung,überbordenden Vermüllung des blauen Planeten.

      Auch die religiös verbrämte „Veralmosung der Armen“ gehört in diese Erzählung.

      Liegt nicht der Reichtum dieser Erzählung im Gottvertrauen auf das
      “ Weniger ist Mehr “ ?

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