Gemeinsam unschlagbar stark – 6. Sonntag der Osterzeit A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 14
– Übersetzung Bibel in gerechter Sprache
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern:
15 Wenn ihr mich liebt, dann werdet ihr meine Gebote halten.
16 Und ich werde Gott (pater) bitten und sie wird euch einen anderen Trost geben, der immer bei euch bleiben soll:
17 Die Geistkraft (pneuma) der Wahrheit, die die Welt nicht erfassen kann, weil sie sie weder sieht noch erkennt. Ihr kennt sie, denn sie bleibt bei euch und wird in euch sein.
18 Ich lasse euch nicht als Waisen zurück, ich komme zu euch.
19 Noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, denn ich lebe und auch ihr werdet leben.
20 An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in Gott bin und ihr in mir seid und ich in euch.
21 Alle, die meine Gebote haben und sie halten, lieben mich. Und die mich lieben, werden auch von Gott (pater) geliebt werden und ich werde sie lieben und mich ihnen zeigen.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Gemeinsam unschlagbar stark

Liebe Leserin, lieber Leser,
eine Wunde, spürt man nur dann, wenn sie schmerzt. Was Kranksein ist, spüren wir erst dann, wenn wir uns krank fühlen. Sobald Schmerzen und Schwäche nachlassen, ist beides schnell wieder vergessen. Aber täusche ich mich? Anders ist es bei dem tiefen inneren Verlassenheitsschmerz, den unsere Sprache in dem Ausdruck „Verwaist – Sein“, „ein oder eine Waise sein“, fasst. Viele Kinder wachsen als Waise oder als Halbwaise nach dem Tod der Eltern auf, oder, viel öfter noch, als Sozialwaise, wenn ein Elternteil nach der Trennung das Kind verlassen hat, verlassen musste. Doch gibt es auch viele verwaiste Erwachsene, verlassen vom Partner oder der Partnerin, und noch schlimmer: verwaiste Eltern, die ihre Kinder durch den Tod verloren haben. Verwaist sein bedeutet immer, einen schweren und schmerzhaften Verlust erlitten zu haben. Glückliche und schwierige Zeiten, was Leben eben ausmacht, sind jetzt nur noch Erinnerung. Wo Lebendigkeit war, ist jetzt nur noch Leere und Ödnis, die jeder Mensch auf seine Weise verarbeiten muss. Vermutlich empfinde ich es so stark, weil ich selbst nach dem frühen Tod unseres Vaters als Halbwaise aufgewachsen bin: „Waise“ ist für mich ein kaltes und sehr bitteres Wort.

Ich lasse euch nicht als Waisen zurück“ sagt Jesus, zu den Menschen, die zu ihm gehören wollen, in der Sprache des Johannesevangelisten. Mit anderen Worten: Euch erwarten nicht Verlust, Schmerz und Leere. Unser gemeinsames Leben ist nicht Vergangenheit: Denn wir werden weiter zusammen bleiben. Immer wieder kreist der Johannesevangelist um dieses Beziehungsangebot, das Jesus den Frauen und Männern in seinem Kreis macht. Wenn sie durchhalten und nicht aufgeben, wenn sie offen bleiben für das, was sie durch Jesus und mit ihm erlebt haben, wenn sie weiterhin ihr Vertrauen auf ihn setzen, dann werden sie Erfahrungen machen, die Menschen außerhalb dieses Kreises verschlossen sind. Sie werden erfüllt von neuer Lebensenergie, von der heiligen Geistkraft oder von der Geistkraft der Wahrheit. Wie das werdende Kind durch die Nabelschnur mit seiner Mutter verbunden ist, so fügt die pulsierende Energie der Heiligen Geistkraft Jesus Christus und die Menschen, die an ihn glauben, zu einer Einheit zusammen: Am Tag der Auferweckung „werdet ihr erkennen, dass ich in Gott bin und ihr in mir seid und ich in euch.“

Vielleicht irritiert manchen Leser, manche Leserin die Rede von der Heiligen Geistkraft. Wir sind gewohnt, vom Heiligen Geist zu sprechen; es ist aber schwer, sich etwas Konkretes darunter vorzustellen, denn es ist ja damit kein Geist im üblichen Sinn gemeint. Dass man den Geist kaum fassen kann, ist vielleicht ein nicht geringer Grund, weshalb die Feier des heiligen Geistes im kirchlichen Leben doch relativ blass bleibt. Was gibt es nicht alles für Bräuche und Rituale zu Weihnachten und zu Ostern! Zu Pfingsten aber? Vielleicht Tauben, Pfingstrosen, kleine Windräder als Bilder, Metaphern, Symbole; aber das Feiern bleibt schwierig. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt nun die griechischen Begriffe Pneuma – gleich Atem und Windhauch – und Dynamis – gleich Kraft – mit dem Ausdruck Heilige Geistkraft und bringt damit das Gemeinte, wie ich finde, viel besser zum Ausdruck. Es geht um Gott als eine Kraft, als eine Energie, die sich allen Lebewesen und insbesondere dem Menschen mitteilen will. Wir sollten eigentlich nicht um ihr Kommen bitten, denn das ist uns ja versprochen, sondern viel mehr darum, dass wir uns ihrem Wirken öffnen können, dass wir sie nicht gering schätzen, übersehen, überhören, verdrängen. Und ganz nebenbei schafft es dieser Begriff Heilige Geistkraft, uns „die dritte göttliche Person“ weiblich vorzustellen. Probieren wir es doch einfach einmal über längere Zeit aus: Ändert sich etwas in unserer Vorstellung von Gott und in unserem Beten, wenn wir es im Namen des Vaters und des Sohnes und der Heiligen Geistkraft versuchen?

Ich lasse euch nicht als Waisen zurück“, sagt Jesus Christus, euch erwarten nicht Depression, Leid, Schmerz und Verlassensein, sondern „ich lebe und ihr werdet leben“. Dieses Versprechen ist ein Beziehungsangebot, nämlich Jesus als denjenigen zu erkennen, mit dem ich in einer engen und intimen Weise zusammenleben kann, dem ich wirklich alles sagen und anvertrauen darf. Vielleicht sehen Sie auch die Serie „Um Himmels willen“, die derzeit wieder im Fernsehen läuft. Man darf vieles in diesen Filmen von mir aus gerne als Klamauk abtun. Und doch wird auf ganz einfache Weise gezeigt, wie die Ordensschwestern in allen Nöten ganz direkt den Gekreuzigten ansprechen und auch eine Antwort, eine Reaktion von ihm erwarten. Die Art und Weise, wie sich dann die Probleme lösen, gehört wieder ins Reich der Fantasie, aber im Kern wird, wie ich finde, den Zuschauern das Entscheidende vermittelt: Auf die enge Gemeinschaft mit Christus kommt es an und darauf, möglichst gut miteinander zu leben und sich umeinander zu kümmern. Beides zusammen kann unschlagbar stark machen. Bei einer Theologin (Ruth Habermann) habe ich sogar den Satz gefunden: In der Sicht des Johannesevangeliums sind Menschen, die in enger Gemeinschaft mit Christus und untereinander leben „für den Tod nicht erreichbar, auch wenn sie sterben.“

Sogar für den Tod nicht erreichbar zu sein, das schafft die Heilige Geistkraft, die uns mit Christus zusammenschmiedet. Er lässt uns nicht fallen, er schenkt uns die Ideen, aus jeder Lage einen Ausweg zu finden. Mit einem Wort – auch wenn die Zukunft der Welt düster aussieht – er schenkt uns das volle pralle Leben und die Freude daran. Er schärft unser Gewissen und spornt uns an, die Hoffnung niemals aufzugeben, dass Veränderung möglich ist. Amen

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