Welches Licht öffnet uns wirklich die Augen? – 4. Fastensonntag A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 9
1 Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. 2 Da fragten ihn seine Jünger und Jüngerinnen: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Oder haben seine Eltern gesündigt, sodass er blind geboren wurde? 3 Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden. 4 Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen 7 und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.

8 Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? 9 Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es. 10 Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen geöffnet worden? 11 Er antwortete: Der Mann, der Jesus heißt, machte einen Teig, bestrich damit meine Augen und sagte zu mir: Geh zum Schiloach und wasch dich! Ich ging hin, wusch mich und konnte wieder sehen. 12 Sie fragten ihn: Wo ist er? Er sagte: Ich weiß es nicht. 13 Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. 14 Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. 15 Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich und jetzt kann ich sehen. 16 Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen. 17 Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet.

18 Die Juden aber wollten nicht glauben, dass er blind gewesen und sehend geworden war. Daher riefen sie die Eltern des Geheilten 19 und fragten sie: Ist das euer Sohn, von dem ihr behauptet, dass er blind geboren wurde? Wie kommt es, dass er jetzt sehen kann? 20 Seine Eltern antworteten: Wir wissen, dass er unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. 21 Wie es kommt, dass er jetzt sehen kann, das wissen wir nicht. Und wer seine Augen geöffnet hat, das wissen wir auch nicht. Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen.22 Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen. 23 Deswegen sagten seine Eltern: Er ist alt genug, fragt doch ihn selbst. 24 Da riefen die Pharisäer den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. 25 Er antwortete: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Nur das eine weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehen kann. 26 Sie fragten ihn: Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er deine Augen geöffnet? 27 Er antwortete ihnen: Ich habe es euch bereits gesagt, aber ihr habt nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt auch ihr seine Jünger werden? 28 Da beschimpften sie ihn: Du bist ein Jünger dieses Menschen; wir aber sind Jünger des Mose. 29 Wir wissen, dass zu Mose Gott gesprochen hat; aber von dem da wissen wir nicht, woher er kommt. 30 Der Mann antwortete ihnen: Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet. 31 Wir wissen, dass Gott einen Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er. 32 Noch nie hat man gehört, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. 33 Wenn dieser Mensch nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiss nichts ausrichten können. 34 Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus.

35 Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn?
36 Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube. 37 Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. 38 Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder. 39 Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden. 40 Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind? 41 Jesus antwortete ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.

Autorin:
Walburga_2009Walburga Rüttenauer – Rest, Bensberg, verheiratet, drei Kinder, Grundschullehrerin, nach der Pensionierung Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische und liturgische Aufgaben in der Pfarreigemeinde

 
Die Predigt:
Welches Licht öffnet uns wirklich die Augen?

Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn Sie sich durch den Evangelientext hindurch gelesen haben, werden Sie sich vielleicht fragen, was will der Schreiber dieses besonders langen Evangeliums seinen Hörern vermitteln? Warum diese fast ermüdende Genauigkeit, warum diese Wiederholungen, worin liegt der Wert für uns heute im 21.Jahrhundert?

Ich möchte mich auf die Relevanz dieses Zeichens, wie Johannes die Wunder nennt, für uns Christen heute beschränken. Das macht Sinn, weil die Gemeinde, für die dieses Evangelium aufgeschrieben wurde, sich in einer vergleichbaren Situation behaupten musste, wie wir heute. Die judenchristliche Gemeinde befand sich zwischen der heidenchristlichen Gemeinde und der Synagoge der Juden, aus der die Christen hervorgegangen waren, und gleichzeitig dem Mithras – Mysterienkult, der sich einer Sprache bediente, die an das Johannesevangelium erinnert

Wir, gemeint sind die Gemeinden, in denen Christen sich auf die Aussagen des 2.Vatikanums stützen, stehen zwischen den Gemeinden mit vorkonziliaren, konservativen Christen auf den einen und auf der anderen Seite den Esoterikern, die sich vor allem um ihre eigene Befindlichkeit kümmern und jede Form von Verbindlichkeit ablehnen, aber Sprache und Symbole verwenden, die aus dem Johannesevangelium stammen könnten. Wie die Juden, die sich auf die Gesetze des Mose berufen – „wir aber sind Jünger des Mose“ – und kleinlich darauf achten, ob Jesus sie nicht übertritt, so achten die Christen der vorkonziliaren Gemeinden genau auf die Einhaltung der Vorgaben der Glaubenskongregation und der Dogmen und lehnen jede Auslegung des Evangeliums aus anderer Sichtweise ab.

Für uns heute, vor allem für uns Frauen, ist es aber besonders wichtig, neue Auslegungen der biblischen und ur-christlichen Texte zuzulassen, wie es im 2.Vatikanum angedacht wurde. Gleichzeitig müssten wir uns darum bemühen, esoterischen Strömungen unter Christen auf das Auftreten Jesu Christi als geschichtlich wahre Person und auf seine Sendung durch den Vater zu lenken, was sich als besonders schwer herausstellt, weil die Esoteriker sich der christlichen Sprache bedienen, sie aber nach eigenem Gutdünken auslegen und aus dem christlichen Ursprung herauslösen.

Soweit die Ausgangslage, nun zum Evangelium selbst : Die Frage der Jünger würde heute so lauten: Ist diese Krankheit eine Erbkrankheit? Haben die Eltern es versäumt, das abzuklären? Haben sie keine pränatale Untersuchung machen lassen? Die Antwort Jesu darauf: „Das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden“ würde heute vielleicht als Zynismus missverstanden. Es ist nicht so leicht anzunehmen, dass eine Krankheit mit einer außermedizinischen Begründung erklärt wird – damals wie heute. Wenn heute ein gläubiger Christ die medizinische Ursachenforschung ablehnt, mit der Begründung: „Gott will mir damit etwas zeigen, darum muss ich diese Krankheit annehmen und aushalten“, würde er auch bei christlichen Ärzten und christlichen Angehörigen auf Unverständnis stoßen. Doch Fakt ist, dass die Ursachenforschung heute sogar oft über das Wohl der Erkrankten gestellt wird. Die Diagnostik wird auch dort betrieben, wo man weiß, dass sie nicht der Heilung dient, sondern allein den medizinischen Wissensdrang bedient.

Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt „, fährt Jesus fort, bevor er damit beginnt, den Blinden zu heilen. Nicht nur heute wird einer solchen Selbstaussage mit Misstrauen begegnet. Auch zur Zeit der Urkirche gab es solche Strömungen, mit denen die frühen Christen sich auseinandersetzen mussten, z.B.,wie schon gesagt, mit dem Mithraskult. Und heute: „Ich fühle mich als Leuchtturm, sende Licht und Liebe in die Welt und bin Kanal für Unmengen an Energie. Ich bringe Licht auf diese Erde.“ – so die Aussage einer Esoterikerin aus dem Internet. Was macht das mit uns? Auch Jesus hat uns aufgefordert, unser Licht leuchten zu lassen und es nicht unter den Scheffel zu stellen. Doch durch den Zusammenhang bedeutet seine Aussage: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ Da müssen wir uns entscheiden, mit welchem Licht wir auf unsere Umwelt schauen. Welches Licht zeigt uns den Weg, welches Licht öffnet uns wirklich die Augen?

Die verschiedenen Reaktionen auf das Zeichenwunder sind Spiegelbilder unseres Verhaltens im Lichtschein Jesu:
Die Pharisäer und das Umfeld fällen folgendes Urteil: „Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält.“ Nicht die Heilung wird gesehen, sondern nur die scheinbare Gesetzesübertretung. Und heute: Zwei Menschen haben sich nach einer schmerzhaften Trennung von ihrem jeweiligen Partner nach eingehender Überlegung zusammengefunden. Der neue Stiefvater kümmert sich einfühlsam um die Kinder, die mit der Partnerin in die neue Ehe gebracht wurden. Sie pflegt geduldig die neue kranke Schwiegermutter und vergisst nicht die „alte“ Verwandtschaft. Beide Partner helfen sich gegenseitig, wenn die Schmerzen, Verletzungen aus der Trennung wieder aufflammen. Sie können sich noch so sehr bemühen mit christlichen Werten zu leben, die Amtskirche und alle, die sie gut heißen, sehen nur die Übertretung des Gesetzes: „Du sollst nicht die Ehe brechen.“ Sie sind blind, wie Jesus gesagt hat: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt,“ denn die Barmherzigkeit, die Jesus gelebt hat und der heutige Papst immer wieder einfordert, wird oft nicht gelebt.

Als sich in Lateinamerika die Basisgemeinden zusammenschlossen und die Armen in den Mittelpunkt rückten, verurteilte die kirchliche Hierarchie diesen Ansatz und warf der Befreiungstheologie vor, Christus und damit die ganze Lehre von der Erlösung durch ihn zu vergessen. Sie selber vergaß dabei die Worte Jesu: „Was ihr den Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt,“ sagt Jesus. Solange wir uns von seinem Licht leiten lassen, solange sehen wir den Weg, der zu ihm führt. Christus ist noch in dieser Welt. Heute aber steht er selbst bei vielen Christinnen und Christen nicht mehr im Mittelpunkt. Die Frage, gibt es einen Gott und wie stellen wir ihn uns vor, steht zur Zeit im Vordergrund. Dabei vergessen wir, dass wir Gott nur über Jesus Christus und unseren Nächsten erfahren können. An einer anderen Stelle im Johannesevangelium – Joh 14,9 – sagt Jesus: „Wer mich sieht, sieht den Vater“.

„Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden.“ Dieser Satz ist ernst zu nehmen! Jesus wird nicht alles akzeptieren, schon gar nicht, wenn wir allein auf die Dogmen oder die Tradition achten und unseren Nächsten übersehen. Im Nächsten begegnen wir Jesus und in Ihm dem Vater.

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Eine Antwort auf Welches Licht öffnet uns wirklich die Augen? – 4. Fastensonntag A

  1. Kähny sagt:

    „…das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden…!“
    Nicht das „Warum ?“- die Sünde ,
    sondern das „Wie“ – die Offenbarung des im Leid solidarischen Gottes erweisen den Christus als den Neu-Aus-/Neu-Auf-Richter des Neuen Bundes.

    Und damit zeigt ER zugleich die Absurdität der bis heute herrschenden archaisch-klerikalen Sündentheologie :
    Alle,ob blind- oder sehendgemacht sind hineingenommen in das solidarische Wirken Gottes.

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