Weise reden und handeln wie Jesus – 31. Sonntag im Jahreskreis C

Erste Lesung aus dem Buch der Weisheit, Kapitel 11 – 12
22 Herr, die ganze Welt ist ja vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt.
23 Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren.
24 Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen.
25 Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre?
26 Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens.
1 Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist.
2 Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr.

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 19
In jener Zeit 1 kam Jesus nach Jericho und ging durch die Stadt.
2 Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich.
3 Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein.
4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste.
5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.
6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf.
7 Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.
8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.
9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Weise reden und handeln wie Jesus

Liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie das eiskalte Gefühl, wenn einem jemand eine harte Beurteilung entgegenschleudert, die trifft und verletzt? Vermutlich haben wir das in einer Auseinandersetzung alle schon einmal erlebt, vielleicht auch jemand anderem zugefügt. Es verunsichert und macht nieder. Wenn es absichtlich und mit Häme getan wird, nennen wir es Mobbing, ein großes Thema, besonders unter jungen Menschen. Streit, Konflikt, Auseinandersetzung gehören nun einmal zum Leben. Es ist immer schwer, in einer solchen Situation richtig, im Sinne von angemessen, zu handeln, besonders dann, wenn man selbst Teil des Problems ist. Es ist schwer, Worte zu finden, die vom Gegenüber angenommen werden können, und so zu reagieren, dass der Konflikt entschärft wird und sich eine Lösung anbahnen kann, ohne dass jemand fertig gemacht wird. Dazu ist eine große Portion Weisheit nötig. Denn manchmal braucht es eine Umarmung und geteilte Tränen, manchmal Schweigen, manchmal einen guten Rat, manchmal aber auch eine Provokation, die deutlich gesagte Meinung. – Wie gut, dass es in vielen Bereichen, wo wir leben und arbeiten Mediatoren gibt, die darin geübt sind, in Konflikten zu vermitteln.

In der Zachäusgeschichte tut Jesus das einzig Richtige. Er handelt weise. Von der göttlichen Weisheit spricht die erste Lesung. Frau Weisheit, auf griechisch Sophia, wie sie die heilige Hildegard in einer Vision sieht und der Christenheit aufs Neue bewusst macht, ist die wirkmächtigste Gabe der heiligen Geistkraft: aus ihr gehen alle Tugenden und alle positiven Eigenschaften hervor. Sie ist die Liebe Gottes zu allem, was er geschaffen hat und damit die innere Sinnhaltigkeit der Welt. Gut und richtig, von Bestand, kann nur etwas sein, das im Einklang mit dem göttlichen Willen steht. Wenn der menschliche Geist von der Weisheit erleuchtet ist, kann er etwas vom Wesen Gottes erkennen, von seinem Erbarmen, seiner Milde, seiner Schonung allem Lebenden gegenüber. Er kann erfassen, was angemessen und der Entwicklung förderlich ist. Das zu hören, ist so wohltuend, denn wir erfahren ja immer wieder, besonders deutlich an den Kindern, wie zart und zerbrechlich besonders die Psyche der Menschen ist. Gott, mit seiner Partnerin Weisheit, ist von großer Geduld und Einfühlsamkeit. Er will den Sünder nicht strafen, sondern wartet darauf, dass dieser zu sich selbst findet und umkehrt, sich abkehrt von seinem fatalen Verhalten.

In einem Vortrag, den ich vor Jahrzehnten von Prof. Rolf Zerfass gehört habe, hob er hervor, dass in der Geschichte von Zachäus das Wort Gott kein einziges Mal vorkommt, seine Gegenwart aber zum Greifen spürbar ist. – Denn Jesus ist erfüllt von der göttlichen Weisheit. Da ist es nicht nötig, davon zu sprechen. Und so erfasst er blitzartig, was dieser Mann da oben auf dem Maulbeerfeigenbaum braucht, wie er mit ihm umgehen muss, damit sich etwas zum Positiven ändert. Jesus spricht ihn mit dem Namen an: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Kritische Anfragen braucht Zachäus nicht; er weiß selbst gut genug, dass er sich mit dem „ungerechten Mammon“, dem Geld, das er seinen armen Mitbürgern aus der Tasche zieht, nur Feinde gemacht hat. Die Mauer um ihn und seine Familie herum ist groß geworden und stark, eine Mauer aus Verachtung, Ausgrenzung und Neid auf seinen Reichtum. Jesus aber findet die Tür in dieser Mauer, indem er sich mit seiner Jünger- und Jüngerinnenschar im Hause dieses Reichen einlädt. Ja, er findet nicht nur die Tür, sondern den richtigen Schlüssel für das Schloss. Zachäus springt vom Baum herunter und damit springt auch die Tür auf, die Tür in der Mauer und die Tür seines Herzens.

Zachäus hilft keine Kritik; er braucht aber auch keine Aufmunterung oder tröstende Umarmung; das wäre ein falsches Signal. Nein, er wird angefragt; er kann sein Haus öffnen und Gastfreundschaft geben; auf ihn kommt es jetzt an. In der Situation, die Jesus schafft, ist er wieder „wer“. Die Weisheit in Jesus ruft in Zachäus Freude hervor, und die bringt etwas bei ihm in Bewegung: die Hälfte seines Vermögens will er den Armen geben – mit der anderen Hälfte ist er immer noch wohlhabend genug – und wenn er von jemand zu viel an Abgaben gefordert haben sollte, will er das Vierfache zurückgeben. „Wenn“ – das klingt noch nicht sehr überzeugend. Ob er wirklich einsieht, was er falsch gemacht hat? Aber für Jesus scheint die spontane Aufwallung dieses Mannes genug zu sein – für´s erste jedenfalls. „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden.“ Heute – Morgen ist morgen. Heute hat Zachäus sein Leben wieder als sinnerfüllt und froh erfahren können. Jesus vertraut anscheinend darauf, dass diese Erfahrung weiterträgt und ihn auch morgen und alle anderen Tage zurückführen wird zu einem Leben nach der Weisung Gottes.

Die Weisheit, die wir an Jesus sehen, hat mit Intelligenz zu tun, aber nicht nur; sie hat mit Einfühlungsvermögen und Herzenswärme zu tun, aber nicht nur; sie hat vor allem mit Liebe zu tun und ist eine Gabe der göttlichen Geistkraft, die auch uns versprochen ist, wenn wir uns ihr öffnen. Sie ist die Gabe der Unterscheidung, die erfassen lässt, was wirklich helfen kann. Deshalb möchte ich mit einer Bitte schließen: Heilige Geistkraft, rühre auch uns an in Deiner Weisheit, dass wir mit Deiner Hilfe unsere blinden Flecken erkennen, damit sich etwas in unserem Zusammenleben zum Guten ändert. Schenke uns in schwierigen Situationen die Fähigkeit, angemessen zu reden und hilfreich zu handeln. Leite uns an, damit wir miteinander und mit unserer Welt schonend und liebevoll umgehen. Amen
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Zu Hildegard von Bingen und anderen großen Frauen der Christenheit: Ingrid Riedel, Mystik des Herzens, Freiburg 2010

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2 Antworten auf Weise reden und handeln wie Jesus – 31. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Kähny sagt:

    der Mensch ist dem Menschen ein Wolf…

    vom ins Nest gelegten Futterneid zur pharisäischen Selbstgerechtigkeit ist es nur ein kleiner Schritt:
    ob er Zachäus oder van Elst heisst: Gott hält u n s mit dem „Sündenbock“ den Spiegel hin….!

  2. Mayer, Bina und Richard, Wilhelm Blos Straße 27, 71636 LB sagt:

    Liebe Birgit!
    Mit Interesse hat Bina und dann ich Deine Predigt gelesen. Die Aussage Zerfaß gefällt mir, die Du zitiert hast. „Weise sein, das richtige tun, nicht verletzen“ scheint mir auch, wie Du in der Überschrift sagst, wichtig zu sein, um eine Wirkung -wenn vieleicht auch nur für heute – zu erziehlen. Viele Grüße Bina und Richard

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