Erkennen statt meinen – Pfingstmontag A

Apostelgeschichte 10, 34a. 42-48
34 Da begann Petrus zu reden und sagte: Gott hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen: Das ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten.
43 Von ihm bezeugen alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden empfängt.
44 Noch während Petrus dies sagte, kam der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort hörten.
45 Die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, konnten es nicht fassen, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde.
46 Denn sie hörten sie in Zungen reden und Gott preisen. Petrus aber sagte:
47 Kann jemand denen das Wasser zur Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?
48 Und er ordnete an, sie im Namen Jesu Christi zu taufen. Danach baten sie ihn, einige Tage zu bleiben.

Aus dem Evangelium nach Johannes 15, 26 – 27; 16, 1 – 3.12 – 15
Jesus sagte zu den Jüngern:
26 Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.
27 Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid.
1 Das habe ich euch gesagt, damit ihr keinen Anstoß nehmt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen, ja es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten.
3 Das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben.
12 Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.
13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.
14 Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.
15 Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden

Autorin:
Frau Drösser cBirgit Droesser
Pastoralreferentin,
Rottenburg, war tätig im Theol. Mentorat Tübingen, in der Gemeindepastoral und Klinikseelsorge

 
Die Predigt:
Erkennen statt Meinen

Liebe Leserin, lieber Leser,
Wie gut, dass es den Pfingstmontag gibt und wir in einem zweiten Anlauf über die unerschöpfliche Lebens- und Geistkraft Gottes miteinander nachdenken können!

Heiliger Geist, Trösterin, Ratgeberin, du bist meine beste Freundin, singt die Liedermacherin Stefanie Schwab und bringt in ihrem gleichnamigen Lied die vielschichtigen Seiten der göttlichen Kraft zum klingen: Ihre Stärke und Zartheit, ihre Kraft zu beleben, zu heilen und zu befreien. An einer Stelle im Lied heißt es: wer sich mit Dir verbündet kann die Folgen nicht mal ahnen. Jesus verspricht uns den Geist der Wahrheit, der in die ganze Wahrheit führen wird. Die „Bibel in gerechter Sprache“ übersetzt „die Geistkraft der Wahrheit“ und nimmt damit auf, dass der heilige Geist in enger Anlehnung an die Frau Weisheit des Alten Testamentes zu verstehen ist. Diese Formulierung möchte ich im folgenden übernehmen. Wo die Geistkraft der Wahrheit ist, unser Thema heute, da ist Bewegung und Wandel. Da bleibt nichts, wie es immer schon war.

In den letzten Wochen haben uns wieder Nachrichten von Terroranschläge in Afghanistan aufgeschreckt, bei denen junge Menschen, auch vier deutsche Soldaten, aus dem Leben gerissen wurden. Diese schrecklichen Taten machen unruhig und traurig. Und es ist schwer zu fassen und zutiefst verstörend, dass sie neben anderen Motiven auch im Namen Gottes verübt werden. Mit diesen Gedanken und Empfindungen im Herzen hören wir im heutigen Evangelium wie Jesus die Seinen darauf vorbereitet, dass sie, wie er selbst, in höchste Lebensgefahr geraten können: Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Ja, es kommt die Stunde, in der alle, die euch töten, meinen, Gott einen heiligen Dienst zu erweisen. Und er fügt als Begründung hinzu: Das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben. Morde als heiliger Dienst – solch wirres Denken kann nur einem völlig verkehrten Gottesbild entspringen, das eng und kleinlich von Gott denkt und ihn für die eigenen Zwecke missbraucht. Dabei ist es gleichgültig, wer solches tut. Wenn ein fanatischer „christlicher“ Prediger in Amerika den Koran verbrennen will, dann ist das genauso abgrundtief falsch und zu verurteilen. Die Wurzel des Fanatismus liegt letztlich in jedem überheblichen Anspruch, in jeder Meinung, allein und ausschließlich die Wahrheit zu besitzen.

Die heilige Geistkraft, die Jesus zusagt, hält sich nicht mit Meinungen auf. Sie lässt sich auch nicht auf das Religiöse beschränken. Sie ist eine bedeutende soziale und politische Macht, weil sie Gottes Reich in der Welt zum Erstarken bringt. Zugleich ist sie das beste Heilmittel gegen Resignation, hält sie doch in uns den Optimismus am Leben, dass Gott selbst eine Wirklichkeit herbeiführen wird, die Bestand hat. Alle anderen Verhältnisse müssen letztlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gehen

In diesem Sinne gibt uns das 10. Kapitel der Apostelgeschichte, aus der die erste Auswahllesung stammt – vielleicht hören Sie im Gottesdienst die Lesung des Propheten Ezechiel – ein Beispiel dafür, welche Folgen es haben kann, sich mit dem Heiligen Geist zu verbünden: Juden, die an den Messias Jesus glauben und Christen geworden sind, stellen zu ihrer großen Überraschung fest, dass auch Menschen, die nicht zum auserwählten Volk gehören, die Gaben der heiligen Geisteskraft empfangen. Leider ist ein wichtiger Vers ausgelassen, den ich ergänzen möchte. Darin wird Petrus mit folgenden Worten zitiert: „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34 –35) Eine äußerste schmerzhafte Einsicht wird hier dokumentiert. Das jüdische Volk, das sich seit dem Bundesschluss am Sinai, als Moses die zehn Gebote empfangen hatte, als Gottes bevorzugtes Kind und in der Rede der Propheten als immer wieder neu umworbene Braut verstanden hat, muss sich diese Meinung zertrümmern lassen und ab jetzt bereit werden, diesen seinen Gott mit allen anderen Menschen zu teilen. Können wir ermessen, was das für eine riesige Herausforderung gewesen ist? Wohl kaum. Diese neue Einsicht anzunehmen, ist so entscheidend für die universale Ausbreitung des christlichen Glaubens gewesen. Dank der Erkenntnis des Petrus und seiner Kraft zu überzeugen, haben wir lernen können, dass die Gotteskindschaft an keine andere Bedingung geknüpft ist, als ein offenes und liebendes Herz. Weder müssen wir Nichtjuden das jüdische Gesetz annehmen, noch ist eine andere besondere Leistung von uns gefordert. Jeder Mensch, so groß seine Verstrickung in Schuld und bewusst getane Sünde auch sein mag, hat ein Leben lang die Möglichkeit zum Vater zurückzukehren.

Nicht nur die sanfte Taube ist ein Bild für die Heilige Geistkraft, die uns in alle Wahrheit führen wird, sondern genauso der Sturm, das Feuer und das Wasser der Taufe. Der Sturmwind setzt in Bewegung, das Feuer läutert und das Wasser belebt, erfrischt und reinigt. Die Heilige Geistkraft und verhärtete Einstellungen vertragen sich nicht. Überlegen wir uns also gut, worum wir bitten, wenn wir sie um ihren Beistand anflehen. Denn mit behaglicher Religiosität, bequemer Ruhe des Althergebrachten und der Meinung, alles besser zu wissen, ist es dann möglicherweise vorbei. Wenn wir uns ehrlich der Einsicht stellen, dass unser Verständnis der Wahrheit und Wirklichkeit immer aus einem bestimmten Blickwinkel heraus geschieht, seine eigene Geschichte hat, und damit subjektiv gefärbt ist, dann gestehen wir damit unsere Begrenztheit ein. Als Frauen denken und empfinden wir anders als Männer, als Kinder anders als alte Menschen, als Arme anders als Reiche. Ein indischer Hindu und eine arabische Muslima stammen aus einer ganz anderen Kultur als wir Westeuropäer. Niemand kann die Weltsicht des oder der anderen voll und ganz erfassen. Es ist daher so wichtig, dass wir im Bild gesprochen bereit sind, immer wieder einmal einen Schritt neben uns zu treten und uns selber kritisch anzuschauen und anfragen zu lassen. Die ständige Bereitschaft zur Umkehr ist ja ein Kernanliegen Jesu gewesen. Jedes Gespräch lebt im Grunde von der Offenheit der Gesprächspartner, die Meinung des anderen ernst zu nehmen und zunächst gelten zu lassen. Ich muss mir ja nicht jedes Argument zu eigen machen und gleich die eigene Überzeugung über Bord werfen. Aber wenn die Geistkraft der Wahrheit im Spiel ist, wächst die Bereitschaft, gut zuzuhören. Ich werde eine Anregung zum Nachdenken erhalten und mein Horizont des Verstehens wird sich weiten. Vermutlich wird dann und wann von jedem und jeder einzelnen, aber auch von einer Gemeinschaft, ein Schritt des Begreifens verlangt, der schwer zu gehen ist, wenn wir nicht im Meinen verharren, sondern der Wahrheit unseres Lebens auf der Spur bleiben wollen.

Wie schwer ist es die eigenen Schattenseiten zu sehen; wie schwer ist es auch, Gewohnheiten und lieb gewordene Traditionen zu verändern und zusammen mit anderen weiter zu entwickeln. Aber die göttliche Geistkraft wird uns in die ganze Wahrheit Gottes und in das Erkennen der Wirklichkeit führen, ein Leben lang und eine Menschheitsgeschichte lang. Vertrauen wir uns ihrer starken und sanften Leitung an, und seien wir gespannt auf die Folgen. Amen

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2 Antworten auf Erkennen statt meinen – Pfingstmontag A

  1. Michi sagt:

    Ich habe die Lektüre sehr genossen! Vielen Dank!

  2. Walburga sagt:

    Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.”
    Die dann folgende Auslegung hat richtig gut getan. Wenn wir diesen Satz des Petrus ernst nähmen, dann gäbe es weniger Rechthaberei und Streit in unseren christlichen Kirchen. Ja sogar der Blick auf die nichtchristlichen Religionen fiele anders aus. Die heilige Geistkraft könnte eine große Vielfalt in unseren Gemeinden entfalten.
    Danke für diese Ausführung, Walburga

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