Das Bild des göttlichen Hirten – 4. Sonntag der Osterzeit C / Weltgebetstag für geistliche Berufe

Zweite Lesung aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 7
9 Ich, Johannes, sah eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm und trugen Palmzweige in den Händen.
14b Da sprach einer der Ältesten zu mir: Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht.
15 Deshalb stehen sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm bei Tag und Nacht in seinem Tempel; und der, der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt über ihnen aufschlagen.
16 Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten.
17 Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 10
Jesus sagte zu den Juden:
27 Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir.
28 Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
29 Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.
30 Ich und der Vater sind eins.

Autorin:
Rita Wild Rita Wild, Gemeindereferentin in der Klinikseelsorge Bonn, geistliche Begleiterin / Exerzitienbegleiterin

 
Die Predigt:
Das Bild des göttlichen Hirten

Liebe Leserin, lieber Leser,
so knapp sind die Worte des heutigen Evangeliums am 4. Sonntag der Osterzeit. Aber sie haben es in sich. Auch wenn uns das Bild von den Schafen überdrüssig ist, weil es zu oft missbraucht und mit Dummheit, Einfältigkeit und Unmündigkeit assoziiert wurde, so greift der Jesus des Johannesevangeliums Bilder aus der Welt der Schafzucht auf; sie waren seiner Umwelt vertraut.

In der Vorhalle des Tempels stellen die führenden Juden Jesus die Frage, ob er der Messias ist, und woran er zu erkennen sei. Jesu Antwort lautet: „Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht … weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört“ (10,22 – 26).

Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie, und sie folgen mir.“
Eine große Vertrautheit miteinander kennzeichnet das Beziehungsverhältnis Jesu zu seinen Jüngerinnen und Jüngern. Sie kennen seine Stimme, sie wissen darum, dass sie es bei ihm gut haben und nicht ausgenutzt oder missbraucht werden. Der Hirt kennt jedes einzelne seiner Herde gut. Er weiß um die Eigenarten. Er kennt den Namen, die Einmaligkeit. Er liebt die ihm Anvertrauten. Bei ihm können sie sich sicher fühlen. Sie kennen den Klang seiner Stimme. Die Anhänglichkeit und das „Ihm – Folgen“ kommt aus der Erfahrung, dass sie es gut bei ihm haben. Er gibt ihnen alles, was sie brauchen. Er beschenkt sie mit noch viel mehr:

Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“
Dieser Hirt ist mehr als ein „guter Hirte“. Er ist der einzig wahre Hirte. Er ist das lebendige Brot, das lebendige Wasser, der wahre Weinstock. Im Vergleich mit ihm ist alles andere wie Ersatz, alle anderen Hirten sind wie bezahlte Knechte, ohne Herz für die Schafe. Jesus gibt einen doppelten Beweis dafür, dass er der wahre Hirte ist: Er schenkt ewiges Leben. Sie werden nicht zugrunde gehen. Es kann ihnen keiner das Leben nehmen. Er wird es nicht zulassen. Er liebt bis zum Äußersten. Er wird sich eher selbst hingeben, um seine Herde zu retten.

Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins
Jesus ist ein Hirt ohnegleichen. Kein zweiter ist wie er. Dennoch ist Jesus kein einsamer Hirte. Er steht nicht allein vor seiner Herde. Das Leben, das er gibt, die Liebe, die er schenkt, werden ihm von seinem Vater zuteil. Deswegen ist das Leben, das er seinen Jüngerinnen und Jüngern gibt, nicht sein eigenes, sondern das Leben, das er selbst empfängt.
Er bekommt es von seinem Vater geschenkt, und schenkt es selbst weiter. Diese Beziehung zwischen Vater und Sohn genügt sich nicht selber; es ist eine immerwährende Bewegung hin zum anderen, darin sind die Ihnen Anvertrauten mit hineingenommen, – in dieses Geheimnis der lebendigen Beziehung Gottes.

Nachdem Jesus den Juden diese Predigt gehalten hat, ist klar, dass er kein „gutmütiger“ Hirte ist, der unterschiedslos alles gut findet. Er stellt die Juden, und heute uns, vor die Wahl:
ob wir das Leben wollen, das nicht mehr begrenzt wird durch den Tod, ob wir die Liebe und Sorge eines Gottes annehmen, der alles Erdenkliche für uns einsetzt, ob wir mit hinein – genommen werden wollen in die göttliche Lebendigkeit …
Warum sollten wir? –
Jede und jeder von uns, der anderen Hirten und Versprechungen nachgelaufen ist, hat die Dürftigkeit der Quellen, die Schalheit der Wiesen – kurz gehaltener Rasen – zu spüren bekommen … Manche haben ihr eigenes Ding gemacht, sich allein aufgemacht… In gewissen Situationen ist das Selbstgemachte, Selbstkonstruierte, Selbstaufgebaute zerfallen, und nackt steht der Mensch dann da …
Wäre es nicht wunderbar, sich jemandem anzuvertrauen, von dem ich weiß, dass er auf mich gewartet hat, mich erwartet, dass er mich kennt, mir vertraut, dass er mich in seiner Nähe wissen will, dass er mich beschenken darf, mir Gutes tut, dass er mich lebendig macht …?
Und nicht nur mich, sondern mit mir auch die anderen Menschen in meiner Welt, in der großen Welt, sogar den Kosmos?

Der Blick in den Himmel aus der Offenbarung, der Lesung des heutigen Sonntags, offenbart uns noch etwas vom Geheimnis des göttlichen Hirten:
Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron …“ Das ist kein Bild, das wir Menschen uns von einem König und Herrscher machen. Den stellen wir uns eher mit Zepter und Krone und großem Pomp vor – es wird uns noch nicht einmal ein Hirte „in vollem Ornat“ vorgestellt, nein: vor dem Thron, nicht „auf“ ihm sitzt ein Lamm. Es ist das wehrloseste und gefährdetste Geschöpf einer Schafherde, mit dem sich Gott gemein macht. Und dieses Lamm „wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.“ – Sollten wir dieser Verheißung nicht mehr trauen als allen anderen Versprechungen?
Und kann uns dieses Bild am heutigen „Weltgebetstag für geistliche Berufe“ nicht auch die Augen öffnen für eine neue Weise geistliche Berufe auszuüben und zu leben?

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Eine Antwort auf Das Bild des göttlichen Hirten – 4. Sonntag der Osterzeit C / Weltgebetstag für geistliche Berufe

  1. Kähny sagt:

    „…ER (der Allwissende ) stellt uns vor die Wahl…,
    … und nackt steht der Mensch dann da … !“ ?????.
    Uns – SEINE Geschöpfe -von denen ER am Kreuz sagt : „…denn sie wissen nicht was sie tun…!“.

    Hat uns nicht Gott selbst in Christus vom og. (alttestamentlichen ) Gottesbild erlöst ?
    Und stellt ER uns im “ nackt dastehenden Menschen “ nicht immer wieder vor den Spiegel …?

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