Schwerstarbeit – 2. Adventssonntag C

Erste Lesung aus dem Buch Baruch, Kapitel 5
1 Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht.
2 Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!
3 Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.
4 Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht.
5 Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat.
6 Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte.
7 Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann.
8 Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß.
9 Denn Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 3
1 Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene;
2 Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
3 Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
4 So erfüllte sich, was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht: Eine Stimme ruft in der Wüste: / Bereitet dem Herrn den Weg! / Ebnet ihm die Straßen!
5 Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, / jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
6 Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.

Autorin:
KonnyKornelia Vonier-Hoffkamp, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Remseck mit Ludwigsburg-Poppenweiler,
Gestaltpädagogin

 
Die Predigt:
Schwerstarbeit

Liebe Leserin, lieber Leser,
nun wissen wir also Bescheid, wer das Sagen hatte zur Zeit Jesu: Lukas zählt alle die auf, die Jesu Leben beeinflusst haben – von der Geburt bis zum Tod – und noch ein paar mehr: Herrscher und Verwalter heidnischer und halbheidnischer Gebiete, die das Reich nach dem Tod Herodes des Großen im Jahr 4 vor Christus unter sich aufgeteilt haben. Auch der Hohepriester Hannas und sein Nachfolger, sein Schwiegersohn Kaiaphas, gehören dazu. Denn Lukas, das ist sein Anspruch, erzählt keine Geschichten – im Sinn von Märchen – , sondern Geschichte.
Verortet in diesen zeitgeschichtlichen Rahmen geschieht das Folgende, das Wesentliche, die Berufung des Johannes, die wir schon unzählige Male gehört haben.

Das Wort Gottes erging an ihn, übersetzt die Einheitsübersetzung und lässt dabei überhören, dass es sich doch um ein ganz fundamentales Geschehen handelt, was hier passiert, dass Gott handelt, indem er nach vielen Jahrhunderten des Schweigens wieder einen Propheten beruft, einen „Rufer“, einen Überbringer seiner Botschaft.
Und diese Botschaft hat sich verändert, es klang schon in der Lesung an: nicht mehr Unheil wird angekündigt, sondern Heil: das verbannte Volk kehrt heim, Jerusalem, die „Stadt des Friedens“, die ewige Stadt, legt ihre Trauerkleider ab und schmückt sich mit all dem, was Gott ihr verleiht: sie zieht das Kleid der Trauer und des Elends aus, legt den Schmuck der Herrlichkeit an und den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit, sie setzt sich die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt. Und wofür das alles? Um dem ganzen Erdkreis zu zeigen, dass Gerechtigkeit und Gottesfurcht ihren Platz – wieder – eingenommen haben. Und diese Botschaft gilt allen!

Wer aber ist Johannes?
Wir kennen ihn von der Schilderung des Markus als einen, der im Kamelhaarmantel mit ledernem Gürtel auftritt und sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt, als einen, der in der Wüste lebt, sich scheinbar zurückgezogen hat, „auf das Wesentliche“ beschränkt,
fernab aller weltlichen Eitelkeiten,
fern der Eitelkeit, die zankt um den Ehrenplatz,
fern der Unbeständigkeit, die da hebt und stürzt, zujauchzt und kreuzigt,

wie Sören Kierkegaard schreibt.

Die Wüste als Ort der Gottesbegegnung, ein Bild, das uns vertraut vorkommen kann. Immer wieder suchen Menschen Klöster auf als Ort des Rückzugs, gestalten einen Wüstentag, reduziert auf das Wesentliche, um wieder zu sich zu kommen fernab aller Eitelkeiten, um dem Hamsterrad Alltag zu entfliehen, das uns manchmal fast „auffrisst“, um Standortbestimmung zu machen. Die Sehnsucht nach Stille und Innehalten drängt diese Menschen nach „Fasten – Zeit“, was auch unsere Adventszeit einmal war, bevor Kommerz und die Hetze von einer Weihnachtsfeier zur anderen sie verändert haben.

Doch finde ich in der Wüste „Stille“?
Menschen, die einmal dort waren, erzählen anderes: die Wüste ist laut, voller Stimmen und Geräusche, aber: es sind andere Geräusche als die uns geläufigen, es sind neue Klänge, die uns erreichen. Durst stellt sich ein in der Wüste und die Konzentration auf das Wesentliche: ich entdecke neu die wunderbare und genauso auch unbarmherzige Schöpfung Gottes, ich höre neu Klänge, die mich anrühren können, die mich treffen können, ganz anders als das, was ich jeden Tag höre und vor dem ich meine Ohren verschließen muss, weil ich es nicht mehr hören kann oder will: das Jammern und Klagen, die Berieselung, die Ansprüche, die an mich gestellt werden….

Nur: wenn ich meine Ohren verschließe und wenn ich dicht mache, kann auch Gottes Rufen nicht mehr zu mir dringen.
Und so brauchen wir dringend Johannes, den Rufer in der Wüste.
Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straße. Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben zum ebenen Weg“, so ruft er uns zu.

Aber wozu Johannes aufruft, das ist Schwerstarbeit.
Dazu braucht es, um im Bild zu bleiben, Planierraupen, Presslufthämmer, Abrissbirnen, Bagger, Tieflader und vieles mehr. Ebnet dem Herrn den Weg, ermöglicht ihm, dass er ankommt in dieser Welt. Das gelingt nur, wenn er bei mir ankommen kann, in meinem Herzen.
Und so gilt es, nichts anderes und nicht weniger umzupflügen, aufzufüllen und zu ebnen als meine eigene Seelenlandschaft, also jenes, wie wir wissen, härteste Gestein, das wir in jahrelanger Arbeit mühsam in uns aufgebaut haben, um uns zu schützen vor den Verletzungen, die das Leben und die Menschen um uns herum uns bereitet haben, und um uns zu schützen vor dem Gerede der Leute, vor weiteren Enttäuschungen, vor neu verletzter Liebe, vor noch weiteren geplatzten Träumen. Vieles fällt Ihnen da vermutlich ein, wogegen Sie sich innerlich gewappnet haben im Lauf Ihres Lebens.

Reiner Kunze schreibt zum Jahrestag des Mauerfalls am 3. Oktober 1990 ein Gedicht, das wir heute auch auf dem Hintergrund des Rufers in der Wüste hören können:
Als wir sie schleiften, (ergänze: die Mauer)
ahnten wir nicht,
wie hoch sie ist in uns
wir hatten uns gewöhnt
an ihren Horizont
und an die Windstille
In ihrem Schatten warfen
alle keinen Schatten
Nun stehen wir entblößt
jeder Entschuldigung

Genau das passiert, wenn wir dem Herrn den Weg bereiten:
wir stehen entblößt, wir werden wieder verletzlich und angreifbar – und hatten uns doch so gut eingerichtet, dass uns vieles nichts mehr anhaben kann.
Aber will ich das, mich entblößen?
Gegenfrage: gibt es eine Alternative?

Was bringt es mir, wenn ich mich eingerichtet habe und meine Mauer aufgerichtet habe, mein Herz eingeschlossen habe?
Ich bin geschützt, bin im Windschatten, so dass es nicht mehr stürmisch zugehen kann in meinem Leben, bin geschützt vor den Auf und Abs des Lebens, bin nicht mehr verletzbar – anscheinend.
Was aber verunmöglicht es?
Ich bin nicht mehr erreichbar für andere, auch nicht für die, die es gut mit mir meinen, die an mir und meiner Person interessiert sind, die mit mir in Kontakt kommen wollen. Ich bin auch nicht mehr erreichbar für die leisen Stimmen, die immer wieder bei mir anklopfen, die versöhnen wollen, was unversöhnt ist, die geradebiegen wollen, was krumm gelaufen ist, ich bin auch nicht mehr erreichbar für Gott.

Und so ruft uns Johannes heute zu:
Bleibt nicht in eurem Gefangensein in den alten Geschichten -und jedes Ehepaar kennt wohl diese Situation, wo immer wieder im Streit die „ollen Kamellen“ auf den Tisch kommen, was vor 10 oder 20 Jahren war… und wer was gesagt oder getan hat oder auch nicht … – .
Kommt aus eurer persönlichen Wüste heraus, ruft uns Johannes zu, kommt an die erfrischenden, durststillenden Wasser des Jordans, kehrt um und macht einen Neuanfang. Gebt euch selber und anderen wieder eine Chance, füllt auf, was an tiefen Gräben zwischen euch ist, schleift ab, was zwischen euch ist und euch die Sicht verstellt, ebnet euch den Weg zueinander.

Gott ist gnädig, so heißt der Name Johannes übersetzt. Und dazu ruft Johannes uns auf: Glaubt an Gottes Gnade, das Geschenk seiner Liebe, die Möglichkeit zur Umkehr und zum Neuanfang, die Vergebung der Sünden. Fangt immer wieder neu an, bis an euer Lebensende, denn es ist nie zu spät umzukehren.
Versöhnung mit mir und meiner Lebensgeschichte und mit den Menschen, die mich verletzt haben, ist wesentlich, damit ich offen bleiben kann für das Leben, aber sie ist Schwerstarbeit. Doch auch wenn nicht mit jeder Person Versöhnung möglich ist, denn auch der oder die andere muss wollen: ich kann mich versöhnen, so dass in mir die Wunden geschlossen werden und sei es nur, indem ich meine guten, meine versöhnten Gedanken der anderen Person als Segenswünsche im Geheimen zuschicke.

Nun stehen wir entblößt – schreibt Reiner Kunze.
Wagen wir es, machen wir uns wieder verletzbar – das entblößte Kind an Weihnachten, nur in Windeln gewickelt, macht uns Mut dazu. Amen.

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2 Antworten auf Schwerstarbeit – 2. Adventssonntag C

  1. Kähny sagt:

    Gott sei Dank:
    Gnade – nicht Schwerstarbeit,Zwanghaftigkeit,Überforderung…
    KH.Kähny

  2. claus kilian sagt:

    die Alternative: mach es wie Martin, der Noch-Heide. Nimm den Nackten in die Arme und zieh ihm was Warmes an.

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