Eine Betrachtung zu Psalm 23 – 4. Fastensonntag A

Antwortpsalm: Psalm 23
1 Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Lutherbibel, revidierter Text 1984

Hirtin
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin in Mannheim

 
Die Predigt:
Eine Betrachtung zu Psalm 23

Liebe Leserin, lieber Leser,
Das Bild des Hirten
wie viele Gläubige werden diesen Psalm schon gebetet, ja geradezu durch-lebt haben? Besonders dann, wenn sie Mangel litten, vom Unglück verfolgt wurden, Verluste verkraften mussten, auf der Flucht oder gar in Todesgefahr waren, wie etwa die jüdischen Gläubigen in den Vernichtungslagern…! Wie tief müssen Glaube und Vertrauen sein, um in solchen Situationen noch immer an Gott festzuhalten und ihm zu vertrauen…?

Obwohl uns die nomadische Hirtenwelt nicht vertraut ist, spricht uns das romantische Bild von Gott als liebevoll sorgender Hirte noch immer an. Denn wer wünscht sich nicht Geborgenheit, Fürsorge und Sicherheit…?

Der Psalm greift zwei vertraute Bilder auf. Im ersten Teil (Verse 1-4) das Bild des Hirten, im zweiten (Verse 5-6) das des Gastgebers. Beide Symbole werden in Vers 4 b miteinander verbunden durch die zentrale Aussage „Du bist bei mir.“ Im Kern haben sie dieselbe Botschaft: Gott ist immer da und sorgt für mich, was auch immer geschieht. Jesus hat das alttestamentliche Bild aufgegriffen und sich selbst als den guten Hirten bezeichnet, der sein Leben für die Schafe gibt (Joh 10,11).

Im antiken Israel gehörten Schafe und Hirten zum Alltag. Knappheit an Nahrung und Wasser, gefährliche Wege durch die Wüste sowie Bedrohungen durch Feinde waren reale Gefahren. Ein guter Hirte benötigte deshalb verschiedene Eigenschaften und Tugenden. Er musste die Schafherde führen: Wo war der richtige Weg durch die Wüste und dunkle Täler, wo lauerten Gefahren, wo gab es Wasser und frisches Gras. Sein Schicksal war mit dem seiner Tiere verbunden. Wählte er etwa den falschen Weg oder war er nicht wachsam, trafen die Folgen auch ihn. Als guter Hirte gab er der Herde Schutz und Sicherheit, kümmerte sich um die kleinen und kranken Schafe, suchte die verirrten. Er gab ihnen das Gefühl, dass er immer da war und für sie sorgte.

Der Herr…
Der Psalm beginnt mit einem Glaubensbekenntnis: Der Herr – das ist Jahwe, der Gott, der immer bei mir ist. Und der auch der Schöpfer des Himmels und der Erde sowie aller Lebewesen ist.

…ist mein Hirte.
Auch wenn nur noch in bestimmten Gegenden die Hirtenwelt lebendig ist, hat diese Symbolik ihre Kraft nicht verloren. Denn die Hirtengestalt ist als Archetyp im kollektiven Unterbewusstsein verankert. Die Erfahrungen, welche die Menschheit mit dem Hirten gemacht hat, wurden so bewahrt. In späteren Zeiten und ähnlichen Umständen dienen sie der Inspiration und ermöglichen so neue Erfahrungen.

Gott zeigt mir den Weg, auch durch Gefahren oder wenn ich mich verirrt habe. Er kennt meinen Namen und spricht mit zärtlicher Stimme zu mir. Ich bin nie allein, auch wenn ich Gott mit meinen physischen Augen nicht sehen kann.

…mir wird nichts mangeln.
Dieser Satz drückt die bedingungslose Hingabe an Gott und das tiefe Vertrauen des Psalmisten aus, dass alles gut enden wird. Gerade in schweren Zeiten, wo es offensichtlich an so vielem mangelt, ist vertrauen sehr schwer. Aber je mehr ich mein Augenmerk auf den Mangel richte, um so mehr wird er in mein Leben kommen.

Wir alle haben Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Doch ist uns oft gar nicht bewusst, was wir wirklich brauchen, um glücklich zu sein. Um zu bekommen, was wir begehren, bringen wir oft unvorstellbare Opfer, die am Ende umsonst waren oder uns gar krank gemacht haben. Manchmal, wenn wir etwas nicht bekommen haben, ist dafür etwas Besseres gekommen. Auch bezüglich materieller Dinge würde oft viel weniger genügen. Nicht selten fliehen wir auch in Ersatzbefriedigungen, wenn unsere Wünsche unerfüllt bleiben.

Er weidet mich auf einer grünen Aue…
Die meisten Menschen heute sind erschöpft und gefangen im täglichen Überlebenskampf. Sie sehnen sich nach Ruhe. Wenn wir in die Natur gehen, das Grün eines Parks oder Waldes sehen, entspannt sich unser Körper merklich. Das frische Grün ist auch ein Sinnbild für neues Leben und Frieden. Denn Fürsorge füreinander ermöglicht Frieden. Viele Menschen finden im Leben ihren Frieden leider nicht mehr, sondern erst im grünen Gras eines Friedhofes…

…und führet mich zum frischen Wasser.
Ohne Wasser würden wir in wenigen Tagen sterben. Es ist lebenswichtig und kann mit dem Leben selbst gleichgesetzt werden. In vielen Teilen der Welt wird es immer knapper. Es ist also höchste Zeit, verantwortungsbewusst mit diesem kostbaren Geschenk der Natur umzugehen.

Manche Übersetzungen verwenden statt „frisch“ den Begriff „ruhig“. Damit wird der Bedeutungskomplex von Shalom verbunden, also die Dimensionen des Friedens, zu der u.a. auch Freude, Gesundheit und Wohlstand gehören.

Er erquicket meine Seele.
Wenn meine Seele stark ist, kann ich vieles überwinden und ertragen. Doch manchmal ist der Lebensweg so schwer, dass die Kräfte nicht mehr reichen. Da bleiben nur Vertrauen und Hingabe an Gottes Hilfe.
Bei uns sind die Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und einem Dach über dem Kopf normalerweise erfüllt. Sicherheit und Frieden dagegen sind zunehmend gefährdet durch Gewalt, Krieg und Naturkatastrophen. Einsamkeit und Ausgrenzung breiten sich aus und die wachsende Digitalisierung droht, uns zu Maschinen zu machen. Oft funktionieren wir nur noch statt unsere Begabungen zu leben.

All diese Entwicklungen entfernen uns von dem, was uns gut tut. Schon im Betrachten einer Wildblume kann sich das Leben an sich und die Quelle allen Seins offenbaren. In die Stille zu gehen und diese Verbindung zu spüren gibt uns neue Kraft.

Er führet mich auf rechter Straße.
Wir gehen unseren Lebens-Weg, sind also immer unterwegs – zu uns selbst. Jeder Weg ist einzigartig, so wie jeder Mensch. Und ich muss wählen, ob ich den Weg der Liebe und damit zu Gott gehe oder nicht. Wobei Gut und Böse auch immer in uns selbst sind. Durch das Gewissen, das Heiligtum in uns, spricht Gott zu uns, auch wenn wir ihn nicht immer verstehen und uns irren können.

…um seines Namens willen.
Der Name bedeutet die Person selbst mit ihrer Präsenz und Kraft. Er beinhaltet auch eine Aufgabe. Der Psalmist nennt Jahwe „Hirte“, dessen Aufgaben also Fürsorge und Leitung sind. Wenn wir Gottes Namen anrufen, lassen wir ihn unter uns gegenwärtig und wirksam werden.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal
Die Finsternis steht nicht nur für den Tod, sondern auch für existentielle Krisen, Krankheit, äußerste Verlassenheit, Einsamkeit und Angst – die dunkle Nacht, wenn Gott schweigt… Wenn wir jede Sicherheit aufgeben, völlig leer werden, uns ganz hingeben, mutig weitergehen, dann siegt das Leben – und Auferstehung geschieht.

…fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir,
Alles im Kosmos ist mit allem verbunden. Wenn ich in Beziehung mit allem und allen bleibe, brauche ich keine Angst zu haben. Wenn der Hirte bei mir ist, dann erfahre ich Fürsorge, Sicherheit, Liebe und Frieden und kann mich des Lebens erfreuen. Denn ich habe die Gewissheit, der Hirte ist immer bei mir, was auch immer geschieht.

…dein Stecken und Stab trösten mich.
Stecken und Stab drücken symbolisch die Gegenwart des Hirten aus. Mit dem Stecken hält er die Schafe zusammen, mit dem Stab leitet er die Herde, indem er ihn rhythmisch auf die Erde setzt.

Mit dem Stecken will Gott mir zeigen, wenn ich auf dem falschen Weg bin. Das kann durch ein schlechtes Gewissen, Schamgefühle, eine Krise oder Krankheit geschehen. Gottes Stock erscheint in Form von Situationen, die ich durchleben muss und Menschen, die mir den richtigen Weg weisen.

Das Bild des Gastgebers
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Der Psalm ergänzt das Bild des Hirten mit dem des Gastgebers, der den Gast wertschätzt und seine Bedürfnisse nach Nahrung, Gemeinschaft, Freude, Ruhe, Frieden und Sicherheit erfüllt. Er stellt ihm noch zwei Begleiter zur Seite – das Gute und die Barmherzigkeit – und gibt ihm ein Zuhause und damit die volle Gemeinschaft mit Gott. Was kann es Schöneres geben…? Amen.

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