Priorität für erfülltes Leben – 34. Sonntag im Jahreskreis / Christkönigssonntag A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25
In jener Zeit sagte Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen:
31 Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.
32 Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
33 Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken.
34 Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist.
35 Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen;
36 ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.
37 Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?
38 Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?
39 Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40 Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
41 Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
42 Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
43 ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht.
44 Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen?
45 Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.
46 Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.

Autorin:
Frau Drösser c
Birgit Droesser, Pastoralreferentin, Rottenburg, war tätig in der Gemeindepastoral, der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Priorität für erfülltes Leben

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wenn das Brot, das wir teilen als Rose blüht und das Wort, das wir sprechen als Lied erklingt, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut …“ Bestimmt kennen Sie dieses neuere Kirchenlied. Es erinnert in seinem ersten Bild an die Legende vom Rosenwunder der Heiligen Elisabeth von Thüringen, deren Gedenktag auf diesen Samstag fällt. Elisabeth, weltbekannt für ihre innere Berufung zur Barmherzigkeit den ärmsten Mitmenschen gegenüber, hat ihren Weg allen Schwierigkeiten zum Trotz durchgehalten. Die Legende erzählt, dass ihr feindlich gesinnter Schwager, dem nach dem Tod des geliebten Ehemannes die Regentschaft auf der Wartburg zugefallen war, sie wieder einmal hart wegen ihrer angeblichen Verschwendung der herrschaftlichen Güter zur Rede stellt. Als er aber wütend die Decke von ihrem Brotkorb wegreißt, den sie hinunter nach Eisenach bringen wollte, sind zur Überraschung aller nur duftende Rosen darin.

Mit seiner Aussage möchte ich dieses Kirchenlied den Darstellungen des Weltgerichts an so vielen Portalen mittelalterlicher, meist gotischer Kirchen gegenüberstellen. Dort wird Christus, der Weltenrichter, umgeben von den Posaunenengeln gezeigt; oft gehen als Zeichen seiner Macht Schwerter von seinem Mund aus. Auf der einen Seite sind die Gerechten zu sehen, aufrecht mit erhobenen Armen und strahlenden Gesichtern, auf der anderen, in sich gekrümmt und mit von Angst verzerrtem Aussehen die von Dämonen in Ketten gelegten und gequälten Verbannten. Es ist für mich die große Höllenangst der Menschen des Mittelalters, die aus diesen Darstellungen spricht. Viele Kunstwerke in den Kirchen ebenso wie zahlreiche Armenspitäler gehen auf Stiftungen und Spenden zurück, mit denen die Wohlhabenden ihrer Angst Herr zu werden versuchten: „Werde ich vor dem Weltenrichter bestehen?“ „Wie kann ich der ewigen Verdammnis entrinnen?“

Wenn ich mich nicht täusche, bestimmt diese Angst unsere Gefühle nicht mehr. Sie hat sich gewandelt in die Befürchtung, in diesem Leben zu kurz zu kommen, nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Verbreitet ist der Wunsch, das Altwerden, Krankheiten und damit das drohende Ende möglichst lange hinaus zu schieben. Denn weiß man was kommt? Bedeutet der Tod mit dem Verlöschen des Bewusstseins auch das Aufhören unseres Seins? Oder ist da vielleicht ein barmherziger Gott, in dessen Hände wir fallen und der uns auferweckt zu einem neuen, ganz anderen und herrlichen Leben? So scheint sich mir heute die Frage für die meisten von uns zu stellen. Die Hölle erleben wir allenfalls hier und jetzt; aber als zukünftige Möglichkeit ist sie für die meisten Menschen keine Realität mehr.

Gut so, würde ich sagen, wenn, ja wenn daraus folgte, dass wir uns dem Leben in Fülle, das uns Jesus Christus verheißen hat, heute, hier und jetzt mit aller Entschiedenheit zuwenden. Für uns Christen, die wir überzeugt sind, eines Tages unserem Herrn und König von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen, hätte dann das heutige Evangelium nichts an Brisanz verloren: Es könnte einen großen Irrtum entlarven: Denn erfülltes Leben finden wir nicht wirklich, solange wir unserem eigenen Glück nachjagen, und aus unserem Bewusstsein verdrängen, was wir doch wissen, nämlich dass vor den Küsten Europas Tausende Fremde ihr Leben verlieren, dass Millionen von Hunger, Dürre und Überschwemmungen bedroht sind, dass in unserem engsten Umfeld junge und alte Menschen an Leere und Einsamkeit leiden.

Wir sind, ob wir wollen oder nicht, Teil einer Menschheitsfamilie und können unser Leben nur dann auf echte Weise als sinnvoll erfahren, wenn wir uns für unsere Mitmenschen öffnen. Wie sagt es doch unser Lied, das Claus – Peter März gedichtet hat?:

„Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht, und das Wort das wir sprechen Lied erklingt;
wenn die Hand, die wir halten uns selber hält, und das Kleid, das wir schenken auch uns bedeckt;
wenn das Leid jedes Armen und Christus zeigt, und die Not die wir lindern zur Freude wird;
wenn der Trost, den wir geben uns weiterträgt, und der Schmerz, den wir teilen zur Hoffnung wird;
wenn das Leid, das wir tragen den Weg uns zeigt, und der Tod, den wir sterben vom Leben singt:
DANN HAT GOTT UNTER UNS SCHON SEIN HAUS GEBAUT;
DANN WOHNT ER SCHON IN UNSERER WELT.
JA, DANN SCHAUEN WIR HEUT` SCHON SEIN ANGESICHT
IN DER LIEBE, DIE ALLES UMFÄNGT.“

Die Zuwendung zum anderen Menschen hat einen Rückkoppelungseffekt, der uns einen Mehrwert an Leben schenkt. Ein beliebter Spruch im Poesiealbum früher lautete: Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück. Denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück. Eigentlich müsste man darüber erschrecken, würde man nur an das eigene Wohlergehen und das der eigenen Kinder denken, ohne Gefühl für Menschen in sozialer, materieller und geistiger Not. Wie egoistisch und kalt wäre man doch geworden, würde uns die Einsamkeit und die Schwierigkeiten der Menschen um uns herum nichts mehr angehen. Schnell würden sich dann auch Probleme im eigenen Leben, in den Beziehungen zu den Kindern und zur Partnerin oder dem Partner einstellen, denn glücklich kann niemand mit einem Menschen werden, der nur um sich selbst kreist. Somit ist unsere Sensibilität für andere nicht zuletzt ein Wasserstandsanzeiger für unseren eigenen Gefühlshaushalt. Wie viele Menschen gibt es andererseits, die selbst fremd in unserem Land sind, mit allerlei Krankheit oder Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, und trotzdem oder gerade deswegen sich um andere kümmern, mit denen sie z. B. im selben Altersheim wohnen; oder sie übernehmen eine Vorlesepatenschaft im Kindergarten, leiten einen Lesekreis, sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten in der Vereinsarbeit oder in der Kirchengemeinde aktiv, stricken Socken für einen guten Zweck oder engagieren sich in Begegnungszentren für Menschen, die aus dem Ausland kommen. Sie tun es, weil sie erfahren haben, dass es gut tut, sich zu öffnen, aus sich heraus zu gehen und etwas von sich selbst den anderen zu schenken. So viel kommt zurück an Dankbarkeit, an Kinderlachen, an geistiger Anregung, an Ermutigung, dem Leben zu trauen und zuversichtlich dem Kommenden gegenüber zu sein. Der Mehrwert eines erfüllten Lebens eben.

Doch wären wir nicht Menschen, würden nicht auch dann Fallen auf uns lauern, wenn wir im eben beschriebenen Sinn die richtigen und jesusgemäßen Prioritäten setzen. Ein kritischer Blick auf uns selbst und die Bereitschaft zum Umkehren sollten uns immer begleiten, denn allzu leicht übersehen und überschreiten wir unsere persönlichen Grenzen. Wenn unsere Worte keine Melodie mehr haben, wenn die Hand, die wir halten für uns zum Würgegriff wird, wenn wir uns selber nackt, trostlos und verzweifelt antreffen, spätestens dann gilt es zu erkennen, dass wir selber unter die Räuber gefallen sind und der Hilfe bedürfen. Vielen Menschen in der Behinderten- und Altenpflege, vielen pflegenden Angehörigen geht es so. In dieser Hinsicht kann uns die heilige Elisabeth nicht als Vorbild dienen. Als Frau ihrer Zeit und enthusiastische Christin war sie begeistert von der Lebenshingabe des Franziskus. Zudem stand sie unter dem Einfluss ihres Beichtvaters Konrad von Marburg, der selbst in radikaler Armut lebte und als charismatischer Kreuzzugsprediger bekannt war. Ihr Leben endete aufgrund totaler Erschöpfung in der aufopfernden Armen- und Krankenpflege schon mit 24 Jahren. Auch wenn wir Elisabeth als große Heilige verehren und bewundern, so erkennen wir heute unter der Führung der heiligen Geistkraft doch viel klarer, dass wir auch unserem eigenen Wohlergehen verpflichtet sind und uns selber auf keinen Fall vernachlässigen dürfen. Wenn auch die Umsetzung nicht immer sofort möglich ist, so ist es doch ganz wichtig, dass wir ein sicheres Gespür dafür entwickeln, wann wir eine Auszeit brauchen, um bei unserem Herrn und Freund auszuruhen, wie wir unsere eigenen Interessen verfolgen können, um der Freude ihr Recht zu lassen und damit das Öl in unserer Seelenlampe rechtzeitig auffüllen, wie es in einer der vorigen Predigten hieß.

Möge uns das Kirchenlied „Wenn das Brot, das wir teilen zur Rose wird“ darauf aufmerksam machen, wie schmal der Grat zwischen dem Wohnen Gottes unter den Menschen und der persönlich erlebten Hölle auf Erden sein kann, die manchmal Abschottung und Vereinsamung im eigenen Privatleben und manchmal völlige Verausgabung heißt. Wir sind aber zu einem Leben in Fülle berufen, zusammen mit allen anderen Menschen, heute und bis in alle Ewigkeit. Amen

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2 Antworten auf Priorität für erfülltes Leben – 34. Sonntag im Jahreskreis / Christkönigssonntag A

  1. W. sagt:

    Welch eine barmherzige Predigt zu so einem unbarmherzigen Weltgerichtsevangelium!
    „Wenn unsere Worte keine Melodie mehr haben“, ja dann wäre es besser zu schweigen,
    um in einer Auszeit, „bei unserem Herrn und Freund auszuruhen“.
    Vielen dank für diese Predigt!

  2. M. sagt:

    Auch ich bedanke mich für diese barmherzige Predigt!
    Aber nicht nur das Mittelalter war bestimmt von der Angst vor der ewigen Verderbnis, mit dieser Angst vor Hölle und Fegfeuer bin ich aufgewachsen, bis in die 70er Jahre hinein! Vor lauter Angst und Schuldgefühl ist die Frohe Botschaft nicht zu mir durchgedrungen.
    Ich bin so froh, dass es diese Seite gibt!

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