Aufbrechen ins Unbekannte – 2. Fastensonntag A

Erste Lesung aus dem Buch Genesis, Kapitel 12
In jenen Tagen
1 sprach der HERR zu Abram: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.
2 Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.
3 Ich werde segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen.
4 Da ging Abram, wie der HERR ihm gesagt hatte

Rucksack
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Aufbrechen ins Unbekannte

Liebe Leserin, lieber Leser,

Aufbruch ins Unbekannte
würden Sie mit 75 Jahren – so alt war Abram – noch ein komplett neues Leben beginnen, wenn Gott Sie auffordern würde, an einen unbekannten Ort umzuziehen, ohne zu wissen, was Sie dort erwarten würde…? Die meisten, auch wenn sie noch jünger sind, würden das wohl nicht tun, oder wenigstens erst einmal mehr Informationen wollen.

Wie ein Tsunami fegt Gott da durch Abrams Rentner-Leben, wenn auch nicht ganz so krass wie später, als er seinen Sohn Isaak opfern soll (Gen 22,1-18). Beide Male erzählt uns die Geschichte allerdings nicht, was Abram, und auch seine Frau Sarai, gedacht und gefühlt haben. So können wir nur mutmaßen, dass sie alles mit sich selbst ausgemacht haben – in der damaligen patriarchalen Kultur sicher das übliche Verhalten. Für Abram, der Jahrzehnte als Nomade umherzog, war der ständige Ortswechsel zwar vertraut. Doch in seinem Alter sehnte er sich sicher nach einem ruhigeren, sicheren Leben in vertrauter Umgebung, und Sarai genauso.

In der heutigen Zeit ist es zwar nicht mehr ungewöhnlich, auch im „Herbst des Lebens“ noch einen kompletten Neuanfang zu machen. Und viele Leute, besonders junge, ziehen heute als „digitale Nomaden“ durch die Welt und verdienen Geld über zeitlich begrenzte Projektarbeit und/oder über das Internet. Doch die meisten tun das freiwillig, um Neues zu erleben und ihre Träume zu verwirklichen.

Andere dagegen werden zur Lebensveränderung gezwungen, durch einschneidende Ereignisse wie Jobverlust, Beziehungsende, Krankheit oder Tod eines nahe stehenden Menschen. Natürlich gehören Veränderungen zum Leben, doch sind die unfreiwilligen immer eine sehr große Herausforderung. Vor allem, wenn wir nicht wissen, wie es weitergehen soll und/oder plötzlich völlig allein dastehen.

    Zum Nachdenken:
    Welche Situationen in meinem Leben gab es, wo ich aufgefordert wurde, mein bisheriges Leben aufzugeben für etwas vollkommen Neues (Lebensstil, Tätigkeit, Beziehung, anderes Land etc.)?

Aufforderung oder Befehl?
Grammatikalisch ist geh fort Befehlsform. Je nach Tonalität, kann es als Aufforderung oder Befehl verstanden werden. Da jedoch keine Strafe bei Nichtbefolgung angedroht wird, ist es eher als Angebot zu verstehen. Im Gegensatz zur Isaak-Geschichte in Genesis 22,1-18 (siehe meine Predigt http://www.kath-frauenpredigten.de/?p=6387), wo Gott genaue Anweisungen gab, wohin Abram gehen und was er tun sollte, folgt diesmal eine große Verheißung. Wie auch damals sagte und fragte Abram nichts, zumindest ist nichts überliefert.

Die Erzählung betont dadurch den Ge-horsam Abrams. Dieses altmodische Wort weckt Erinnerungen an die strenge preußische Zucht vergangener Zeiten. Bedingungsloser Gehorsam bricht den Willen und ist deshalb zerstörerisch, denn Widerspruch wird nicht geduldet bzw. schwer bestraft. Hier jedoch geht es um das aufmerksame Hören, das innere Horchen, das Sich-emotional-berühren-Lassen, um den Dialog mit Gott.

    Zum Nachdenken:
    Wie habe ich auf die Aufforderung oder Erkenntnis, mein Leben ändern zu müssen, reagiert, mit Angst oder mit Vertrauen, Mut und Entschlossenheit?

Eine große Verheißung
Gottes Aufforderung an Abram, seine Heimat zu verlassen, ist als Angebot, nicht als Befehl zu verstehen. Dafür sprechen die fehlende Strafandrohung bei Nichterfüllung, statt dessen gibt es eine Verheißung: Wenn du mutig bist, das Alte, Vertraute, Bequeme, Sichere aufgibst, dann wirst du durch meine Hilfe Großes bewirken und ein Vorbild sein.

Abram hatte mit Gott ja schon einiges durchgemacht und fühlte sich von Gott wahrscheinlich trotzdem beschützt. Zudem winkte diesmal sogar ein sehr großer Lohn: Der Stammvater eines großen Volkes zu werden und ein Segen für alle Völker der Erde. Aus seinem Erfahrungsschatz heraus war es für Abram wohl leicht, Gott auch diesmal zu vertrauen und sein bisheriges Leben trotz Alter noch einmal hinter sich zu lassen. Und ein Segen für alle Völker zu werden, erfüllte ihn sicher mit großer Freude.

    Zum Nachdenken:
    Was müsste ich alles aufgeben und welchen Lohn hätte ich zu erwarten, wenn ich ein neues Leben beginnen würde?

Wie spricht Gott zu uns?
Normalerweise spricht Gott selten so klar und direkt zu uns wie zu Abram. Oft erkennen wir es aber auch nicht bzw. wollen es nicht wahrhaben. Es ist ja auch nicht einfach, die Stimmen im Kopf zu unterscheiden: Sind es die Dämonen der Angst und des Zweifels oder ist es die Stimme der Heilige Geistkraft?

Wir brauchen also sehr feine Antennen und eine tiefe Kenntnis unserer Selbst, um zu erkennen, wann und wie Gott zu uns spricht und wann wir welchen Schritt gehen sollen. Deshalb ist es sehr wichtig, täglich in die Stille zu gehen und zu horchen, was in uns selbst vorgeht: Was wir denken und fühlen, was uns Angst macht und wonach wir uns sehnen. Denn nur dann können wir erkennen, was unser Herz sagt. Auch brauchen wir Aufmerksamkeit für die vielen Zeichen, die Gott uns gibt, beispielsweise ein Buch, ein Lied, ein Bild, eine Begegnung oder ein Traum.

Sehr oft leben wir nämlich nicht – mehr – so, wie wir uns das eigentlich wünschen, weil wir gefangen sind in Ängsten und der Hektik des Alltags. Deshalb spricht Gott besonders durch Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte und/oder Erlebnisse außerhalb des Gewohnten, Vertrauten, Sicheren. Überhören wir das – absichtlich -, lässt Gott auch tragische Ereignisse geschehen, um uns aufzuwecken.

    Zum Nachdenken:
    Durch welche ungewohnten Gedanken, außergewöhnlichen Erlebnisse, tragischen Ereignisse und klare Zeichen hat Gott mich zu einer großen Veränderung aufgefordert?

Wie antworten wir?
Abram horcht auf die Verheißung Gottes, vertraut und geht mit seiner Frau und seinem Neffen Lot ohne zu zögern los in ein unbekanntes Land. Auf das Wort Gottes ist unsere Ant-Wort gefragt. Wir können sicher sein, dass Gott immer das Gute für uns will, damit wir glücklich sind.

Wenn Gott uns auffordert zu einer großen Veränderung, dann ist natürlich ganz besonders Mut wichtig, um dann auch entsprechend zu handeln. Denn es ist ja ziemlich schwer, alte Denkweisen, Strukturen und Sicherheiten, oft auch Beziehungen und materiellen Besitz aufzugeben und sich in das Risiko einer noch völlig unbekannten Zukunft zu stürzen. Gerade wenn alles noch im Dunkeln bleibt, oder unsere Kräfte und Möglichkeiten zu übersteigen scheint, brauchen wir auch ganz besonders ein unerschütterliches Vertrauen, dass Gott uns durch die Nacht führen wird. Dies und eine große Geduld sind oft das schwierigste, besonders wenn wir niemanden an der Seite haben, der uns unterstützt.

Diese Spannung zwischen Vertrauen und Verzweiflung auszuhalten, wenn scheinbar nichts vorwärts geht oder nicht eintritt wie erwünscht, ist die eigentliche Herausforderung: Wann ist die Zeit des geduldigen Wartens und wann ist Handeln nötig? Besonders für Ungeduldige ist das eine schwere Prüfung!

    Zum Nachdenken
    Bin ich dem Aufruf Gottes zur Veränderung mutig und vertrauensvoll gefolgt oder haben Zweifel und Angst gesiegt? Was würde ich am Ende meines Lebens bereuen, NICHT getan zu haben?

Selbst zum Segen werden
Seien wir vertrauensvoll und vor allem mutig, auch noch im Alter, für einschneidende Veränderungen. Denn jede Lebensphase hat ihre besonderen Aufgaben. Sowohl der alttestamentliche Jahwe als auch Jesus haben uns zugesichert: „Ich bin immer bei dir.“ Dann können auch wir, wie Abram, ein Segen für die Menschen werden. Doch zuerst kommt das Empfangen, nur dann können wir aus der Fülle heraus geben, ohne selbst auszubrennen. Gott hat jeder Frau, jedem Mann, jedem Kind einzigartige Gaben geschenkt. Und es ist unsere Berufung, diese unsere Talente zu leben, um einander zu dienen und den Himmel so auf die Erde zu holen.

    Zum Nachdenken:
    Was sind meine Gaben und wie lebe ich sie?
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2 Antworten auf Aufbrechen ins Unbekannte – 2. Fastensonntag A

  1. Birgit Droesser sagt:

    Liebe Sigrid,
    herzlichen Dank für die Auslegung und die Impulse.
    In einem Punkt muss ich widersprechen. Gott, der Gott Jesu, schickt keine schlimmen Ereignisse in pädagogischer Absicht. Er will nur Gutes für alle seine Kinder. Ein anderes ist es, dass Krankheit und Unglück nicht selten zum Umdenken führen. Darin stimme ich dir zu. Mit ist extrem wichtig, dass beides klar auseinandergehalten wird, weil sich das Gottesbild bei vielen Menschen immer wieder eintrübt: „Was Gott tut das ist wohlgetan“ – wie wahr! Aber nicht alles, was geschieht, ist Gottes Wille.
    Birgit

  2. Birgit Droesser sagt:

    Liebe Leserinnen und Leser,
    erst gestern, als ich einen Kommentar schreiben wollte, ist mir aufgefallen, dass die Kommentarfunktion über längere Zeit gestört war. Das tut mir sehr leid und ich bitte dafür um Nachsicht. Wir hatten uns schon gewundert, dass Sie alle sich über lange Zeit nicht mehr geäußert haben.
    Die kleine Rechenaufgabe, das captcha, ist nötig, damit das Programm zwischen automatisierten Spam-Mails und echten Antworten unterscheiden kann.
    Bitte, seien Sie ab sofort wieder dabei.
    Herzlichen Gruß
    Birgit Droesser

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