Verbunden mit der ganzen Schöpfung – 27. Sonntag im Jahreskreis C / Erntedank und Franz von Assisi

Antwortpsalm 95
Kehrvers: Hört auf die Stimme des Herrn, verhärtet nicht euer Herz.
1 Kommt, lasst uns jubeln dem HERRN /
jauchzen dem Fels unsres Heiles!
2 Lasst uns mit Dank seinem Angesicht nahen, /
ihm jauchzen mit Liedern! – Kehrvers
6 Kommt, wir wollen uns niederwerfen,
uns vor ihm verneigen, /
lasst uns niederknien vor dem HERRN, unserm Schöpfer!
7 Denn er ist unser Gott, /
wir sind das Volk seiner Weide, /
die Herde, von seiner Hand geführt. – Kehrvers
8 Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören! /
Verhärtet euer Herz nicht wie in Meríba, /
wie in der Wüste am Tag von Massa!
9 Dort haben eure Väter mich versucht, /
sie stellten mich auf die Probe
und hatten doch mein Tun gesehen. – Kehrvers

Äpfel
Autorin:
Sigrid Haas, Dipomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Verbunden mit der ganzen Schöpfung – Erntedank und heiliger Franz von Assisi

Liebe Leserin, lieber Leser
in diesen Tagen gedenken wir des heiligen Franz von Assisi, der wie kein anderer Heiliger die Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung gelebt hat. Und wir feiern Erntedank. Üppig wird in den Kirchen der Platz vor dem Altar geschmückt: mit Obst und Gemüse in allen Farben, Getreide, Honig, Brot, Wein und Sonnenblumen, bisweilen werden gar kunstvolle Bilder auf den Boden gelegt. In ländlichen Regionen wird manchmal noch ein richtiges Erntefest gefeiert mit prächtiger Prozession, Essen, Musik und Tanz. Es ist die Zeit, dankbar zurückzublicken, was Gott uns durch die Natur und das Zusammenspiel aller Geschöpfe an Fülle geschenkt hat.

Die kosmische Lebenskräfte
Was für ein Wunder ist so ein winziges Samenkorn! Es enthält alle Informationen, um zu einer kräftigen Pflanze oder sogar einem mächtigen Baum zu werden, der älter werden kann als ein Mensch.

Durch Züchtungen und gentechnische Veränderungen können Menschen zwar auf Pflanzen und auch Tiere einwirken. Doch die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen, die neues Leben entstehen lassen und Ökosysteme aufrecht erhalten, sind viel zu komplex, wir können sie in ihrer Gesamtheit nicht erfassen. Wenn wir uns dies bewusst machen, werden wir erkennen, dass hinter diesem Wunder des Lebens – vom kleinsten Bakterium bis zum Menschen – eine höhere kosmische Intelligenz stehen muss, welche die Quelle allen Lebens ist. Denn trotz allen technischen Fortschritts können wir nie die perfekte göttliche Schöpfung nachahmen. Auch wenn große Konzerne versuchen, Gott zu spielen. Ein solches Handeln ist nur möglich, wenn der Mensch sich von der Schöpfung als getrennt betrachtet.

Alle Kulturen kennen Erntefeste. Jahrtausendelang wussten die Menschen um die Verbindung mit den kosmischen Lebenskräften. Sie waren abhängig von den Pflanzen als Ernährungsgrundlage. Deshalb hatten sie nicht nur ein umfangreiches Wissen über Wildpflanzen, aus denen sie Kulturpflanzen züchteten, sondern waren auch tief mit der Erde verbunden. Sie war für sie ein lebendiges Wesen, die sie trägt, ernährt, mit ihrer Schönheit erfreut und ihnen alles gibt, was sie zum Leben brauchen. Sie bezeichneten sie deshalb liebevoll als ihre Mutter. Um das Gleichgewicht der Natur zu erhalten, nahmen sie nur das Notwendige. Sie behandelten die Pflanzen und Tiere, die Steine, das Wasser und das Feuer mit Respekt und lebten in den Rhythmen der Jahres- und Tageszeiten. Sie wussten, dass der Mensch aus denselben Elementen besteht wie die Erde, aus Stoffen, aus denen der ganze Kosmos besteht, z.B. Sauerstoff, Kohlenstoff und Schwefel. Allein diese Tatsache zeigt, dass wir untrennbar mit der ganzen Schöpfung verbunden sind.

Auch zur Kommunikation mit Pflanzen, Tieren und den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft waren sie fähig. Ebenfalls wussten sie um das feinstoffliche Energiesystem der Erde im Inneren und das unsichtbare Energiefeld, welches sowohl die Erde als auch jedes Lebewesen umgibt, sowie um die Energien einer Landschaft. Sie wussten, dass nur im harmonischen Zusammenspiel aller Geschöpfe die kosmischen Lebenskräfte erhalten bleiben.

Das uralte Wissen über die Natur und den Kosmos blieb teilweise in Mythen, Märchen und im Brauchtum erhalten. Doch erscheint es heute unverständlich, weil es häufig unvollständig ist und das dahinter stehende Wissen fehlt, zudem wird es von der Kirche oft als Esoterik betrachtet. Dabei war dieses Wissen bis ins Mittelalter lebendig. Beispielsweise wurden Kirchen auf Kraftplätzen und nach bestimmten energetischen Strukturen erbaut und die Landwirtschaft orientierte sich am Rhythmus des Mondes. Dass nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen fühlen und miteinander kommunizieren können und dass Wasser Informationen speichern kann, ist heute auch wissenschaftlich belegt. Glücklicherweise sind neue, fächerübergreifende Forschungszweige entstanden, die das alte Wissen aufgreifen.

Wiederverbindung mit der Natur
Viele Menschen, vor allem auch Kinder, kennen nur industriell in Massen angebaute, oft noch verarbeitete Lebensmittel aus dem Supermarkt. Wie lange es dauert, was dazu alles notwendig ist und welche Bedrohungen es gibt, bis beispielsweise eine Tomate oder ein Apfel geerntet werden kann, das wissen viele heute nicht mehr. Probleme wie die starke Zunahme von chronischen Erkrankungen und die massive Umweltzerstörung haben zu einem neuen Interesse an einer Verbindung mit der Natur geführt.

Unzählige Initiativen sind entstanden, die neue Wege gehen oder altes Wissen wieder vermitteln: beispielsweise Samenbanken für seltene Sorten, effektive naturnahe Anbaumethoden wie Permakultur, Renaturierung von ausgelaugten Böden und Wüsten, „Urban Gardening“ und „Essbare Städte“, Wildkräuterwanderungen, Heilkräuterseminare und Geomantiekurse.

Für die Kirche und die einzelnen Gläubigen ist es eine Chance, zu den vielfältigen Umweltschutz- und Gesundheitsbewegungen eine Brücke zu bauen und die spirituelle Dimension der Schöpfung wieder bewusst zu machen.

Erntedank und Eucharistie
Eucharistie – griechisch ευχαριστία / eucharistia – heißt Danksagung. Das Erntedankfest lädt ein, Gott für die Früchte der Erde zu danken – doch nicht nur an diesem Tag, sondern bei jedem Essen, in Form eines Segens oder einer zeitgemäßen Form des Tischgebetes. Dabei sollten wir uns bewusst machen, wie viele Menschen daran beteiligt sind, ja, mehr noch, auch den Tieren, den Mikroorganismen im Boden, den Mineralien, der Sonne, dem Regen, dem Wind und der Erde selbst zu danken. Denn nur durch das Zusammenspiel aller können die Früchte wachsen.

Gott ist uns nahe in der rituellen Form der Eucharistie, aber genauso auch in der täglichen Nahrung. Leider enthalten die heutigen Lebensmittel durch den respektlosen Umgang mit der Natur kaum noch Nährstoffe, statt dessen oft sogar gefährliche Gifte. Industrieller Massenanbau zerstört Landschaften und ganze Ökosysteme, unzählige Pflanzen und Tiere sind vom Aussterben bedroht oder schon ausgerottet. Wasser und Luft sind verschmutzt. Doch liegt es an jedem und jeder Einzelnen von uns, durch einen entsprechenden Lebensstil beizutragen, dies wieder zu ändern.

Heilige wie Franz von Assisi lebten intuitiv in tiefer Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung. Er erfreute sich nicht nur an der Schönheit der Natur, sondern betrachtete alle Geschöpfe als gleichgestellt, die fühlen, lieben, leiden und sterben, also Geschwister sind. Auch die Planeten und Elemente gehörten für ihn dazu.

Und Hildegard von Bingen betonte, dass Gott dem Menschen die Verantwortung für die Schöpfung übertragen hat (Gen 2,19), was leider bis heute als Herrschaft umgedeutet wird. Deshalb ging für sie auch „ein Weg vom Herzen des Menschen zu den Geschöpfen.“ Sie kannte nicht nur die heilende Wirkung von Nahrungsmitteln, Heilkräutern und Edelsteinen, sondern empfahl auch als eine Quelle der Lebensenergie, die Kraft der Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft zu nutzen durch den Aufenthalt in der Natur.

Leben wir wieder wie die Menschen früher in der täglichen Verbindung zur Natur. Nehmen wir uns Zeit zum Essen, teilen wir es gemeinsam mit anderen, machen wir jede Mahlzeit zu einem kleinen Erntedankfest. Bauen wir selbst wieder Gemüse, Kräuter und Obst an und leben in den Rhythmen der Natur. Betrachten wir die Schöpfung mit all ihren Geschöpfen – vom winzigen Samenkorn bis zum entferntesten Planeten – nicht als etwas von uns Getrenntes, das wir nach Belieben benutzen können, sondern als Geschenk Gottes, das uns anvertraut wurde. Denn die Schöpfung in all ihrer Fülle und Schönheit ist die Liebesbotschaft Gottes an uns Menschen. Amen.

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