Die Züge des Auferstandenen in jedem menschlichen Gesicht – Ostermontag 2017

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 24
13 Am ersten Tag der Woche waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist.
14 Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte.
15 Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen.
16 Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, sodass sie ihn nicht erkannten.
17 Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen,
18 und der eine von ihnen – er hieß Kleopas – antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
19 Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk.
20 Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen.
21 Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist.
22 Aber nicht nur das: Auch einige Frauen aus unserem Kreis haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab,
23 fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe.
24 Einige von uns gingen dann zum Grab und fanden alles so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht.
25 Da sagte er zu ihnen: Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben.
26 Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?
27 Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
28 So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen,
29 aber sie drängten ihn und sagten: Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.
30 Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen.
31 Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.
32 Und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?
33 Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt.
34 Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.
35 Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.

Autorin:
Elisabeth Schmitter Elisabeth Schmitter, Pastoralreferentin im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, Hauptabteilung Pastorale Konzeption

 
Die Predigt:
Die Züge des Auferstandenen in jedem menschlichen Gesicht

Liebe Brüder und Schwestern,
(in der Anrede halte ich mich gern an die Höflichkeitsregel und beginne mit den ‚Brüdern‘ – in der Hoffnung, dass die es auch so machen)

vielleicht wollten sie ja ungenannt bleiben, die beiden Jünger, von denen wir eben gehört haben, vielleicht fand der Evangelist Lukas ihre Namen auch nicht so wichtig. Wie auch immer, sie blieben – bis auf die kurze Namenserwähnung des einen: Kleopas – ungenannt. Und so gibt es zu der schönsten und bekanntesten Ostergeschichte keine Personen, mit denen sich die Ereignisse verbinden. Immer wieder hat die Bibelforschung darüber spekuliert, wer es denn wohl gewesen sein wird, aber letztlich wir wissen es nicht.

Was wir wissen, ist nicht allzu viel, und doch mehr als genug. Was ungesagt bleibt, steht zwischen den Zeilen, und dort lesen wir eine ganze Menge.

Sie sind zu zweit, und sie sind unterwegs. Es ist gut, dass nicht jeder für sich allein seiner Wege geht, so können sie wenigstens reden über das, was ihnen das Herz gebrochen hat und alle Hoffnungen genommen. Sie haben dasselbe erlebt, dieselben Erfahrungen gemacht, jetzt müssen sie mit denselben Gefühlen fertig werden. Gemeinsamkeit tut gut, besonders in einer solchen Situation.

Sie sind zu zweit, und sie sind unterwegs. Sie bleiben nicht stehen am Ort des unfassbaren Grauens, sie lassen sich nicht lähmen, sie setzen sich in Bewegung. Sie gehen, dorthin, wo sie hergekommen sind, wo sie hingehören, wo sie sich auskennen. Dorthin, wo Menschen sind, die sie erwarten. Was sollten sie auch noch in Jerusalem, jetzt, wo alles vorbei ist und jede Hoffnung zerstört. Doch wenn sie jetzt zurückkehren, dann ist das ja auch so etwas wie das Eingeständnis, dass sie sich haben täuschen lassen und einer Illusion auf den Leim gegangen sind. Und die anderen, die nicht auf den Mann aus Nazareth gesetzt hatten, die haben es dann vielleicht schon immer gewusst… Zurückzugehen wird den beiden nicht leicht fallen, und doch brauchen sie jetzt das Vertraute und Verlässliche, den festen Boden unter den Füßen, um sich wieder zurecht zu finden in der Wirklichkeit und in ihrem Leben.

Unterwegs stößt einer zu ihnen, irgendeiner, den die beiden nicht kennen. Der geht einfach mit, hört zu, fragt nach, mischt sich in ihr Gespräch, sagt, wie er die Sache sieht, unaufgeregt und unaufdringlich. Im Gehen erzählen sie ihm, von Jesus und von ihrer Sehnsucht, von seiner Hinrichtung und von ihrer Trauer. Der Unbekannte sieht manches anders als die beiden in ihrer Hoffnungslosigkeit und sie spüren, dass ihnen diese neue Perspektive gut tut. Und als es dann Zeit wird, sich zu verabschieden, da wollen sie ihn gar nicht gehen lassen.

Und der Fremde, der schon kein Fremder mehr ist, er lässt sich einladen und bleibt noch eine Weile bei ihnen. Und dann, beim Essen, geschieht das, was diese alltägliche Begebenheit zu einer Ostergeschichte macht: Der Fremde nimmt Brot in die Hand, segnet es und teilt es an alle in der Runde aus – ganz so, wie es seit Jahrhunderten jeden Tag in allen jüdischen Haushalten getan wird. Und auf einmal gehen ihnen die Augen auf, auf einmal sehen sie weiter, tiefer, mehr. Auf einmal sehen sie in diesem unbekannten Allerweltsgesicht unglaublich vertraute Züge, die Züge des Freundes, des Meisters – die Züge des auferstandenen Herrn. Und dann treten diese vertrauten Züge auch schon wieder zurück in irgendein Gesicht irgendeines zufälligen Weggefährten. Es ist nur ein einziger Augenblick, aber einer von den Augenblicken, die das ganze Leben verändern. Und die Jünger begreifen ein für allemal: Der gekreuzigte Herr lebt, und zwar nicht irgendwo und irgendwie – er lebt unerkannt unter uns.

Wie dieses Erlebnis in den beiden Jüngern weitergewirkt hat? Auch darüber wissen wir nicht viel. Aber seit jener Begegnung auf dem Weg zwischen Jerusalem und Emmaus wissen wir etwas anderes, das viel wichtiger ist. Wir wissen jetzt, dass jedes menschliche Gesicht die Züge des Auferstandenen zeigen kann. Und wir wissen, dass es von uns abhängt, ob wir seine Züge erkennen – von unserem Blick, von unserer Erwartung, von unserer Aufmerksamkeit.

Nehmen wir mal an, wir würden wirklich damit rechnen, dass wir in jedem unscheinbaren Allerweltsgesicht die Züge des auferstandenen Herrn finden können. Nicht auszudenken, wie anders wir Menschen dann begegnen könnten! Wie aufmerksam und liebevoll müssten wir miteinander umgehen! Und wie offen und freudig, wie erwartungsvoll und einladend würden wir auf Fremde zugehen!

Aber auch umgekehrt gilt: Auch in unseren Gesichtern können andere den auferstandenen Herrn finden. Wo ich mitgehe, zuhöre, Freude und Trauer teile, wo ich sage, was mir wichtig ist, Orientierung gebe, tröste, mich einladen lasse – überall da kann es sein, dass Menschen auch in mir dem lebendigen Herrn begegnen. In den Menschen ist er bei den Menschen, und bleibt bei ihnen, wie er verheißen hat, bis ans Ende der Zeit.

Vielleicht haben die Jünger in der Erzählung ja deshalb keinen uns bekannten Namen, weil sie jeden Namen haben können, auch Ihren Namen, auch meinen Namen. Die Rollen sind offen – und wollen in jeder Begegnung neu besetzt werden.
Amen.

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