Maximale Spannweite – Palmsonntag Lesejahr A

Zweite Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi , Kapitel 2
(Übersetzung Bibel in gerechter Sprache)
6 Über göttliche Gestalt verfügend, hielt Christus die Gottgleichheit doch nicht wie ein glückliches Los fest,
7 sondern entäußerte sich selbst aller Vorrechte und nahm die Gestalt eines versklavten Menschen an, wurde den Menschen gleich und seine ganze Erscheinung zeigte: Er war ein Mensch wie du und ich.
8 Er erniedrigte sich selbst und war dem Auftrag Gottes gehorsam bis zum Tode, dem Sklaventod am Kreuz.
9 Darum hat Gott den Erniedrigten erhöht und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen erhaben ist,
10 damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen im Himmel und auf Erden und unter der Erde,
11 und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes, unserer Mutter und unseres Vaters.

Autorin:
scale-210-210-12_25508028_2Maria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen, stellvertretende geistliche Leiterin der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung)

 
Die Predigt:
Maximale Spannweite

Liebe Leserin, lieber Leser,
vom Uranfang kommend, göttlich, menschliche Existenz angenommen, die gedemütigt wurde und durch Gewalt endete, dann zum Herrn des Alls erhöht. Dies alles in einem, Jesus Christus. Soviel Spannkraft liegt in unserem Bekenntnis. Zum Zerbersten und gleichzeitig zusammen gehalten. Mit einem Sprung aus der Entstehungszeit des Textes in unsere heutige packe ich diese Spannung, zugespitzt, in folgende Frage:
Kennen Sie eine Zwangsprostituierte, als Gemeindeleiterin?

Diese Frage klingt vielleicht radikal. Zunächst. Sie führt uns jedoch einfach und nüchtern an die Spannweite und die Spannkraft des Bekenntnisses: „Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist der Herr“. So das Bekenntnis, der urchristlichen Gemeinden, der Keimzellen unserer heutigen Gemeinden in der Weltkirche.

Unser Text, der sogenannte Christushymnus, oder Philipperhymnus, wurde zu einer Zeit geschrieben, in der Sklaverei offiziell zum Alltag gehörte. Die Schutzregeln des alten Israel für Knechte und Sklaven galten nicht. Die Sklaverei im römisch-hellenistischen Raum war absolut. Sklaven waren Sachen, die Verfügung über sie grenzenlos. Jegliche Gewalt war legitim. Sklaverei als Grundlage von Wirtschaft und Gesellschaft gehörte zum Alltag, in dem die urchristlichen Gemeinden entstanden. Bekannt ist, dass viele Sklaven zu den Gemeinden fanden. Weniger bekannt, dass Sklaven auch Gemeindeleiter waren.

Wenn wir in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft das Wort Sklaverei in den Mund nehmen, dann meist in zwei Zusammenhängen. Zum einen sprechen wir von moderner Arbeitssklaverei bei extremen Formen von Leiharbeit, wie Beispiele in Schlachthöfen, bei Amazon, im Baugewerbe oder bei der Saisonarbeit afrikanischer Einwanderer in Italien illustrieren. Zum anderen sind sich die meisten Menschen einig, dass Menschenhandel, wie er z.B. mit osteuropäischen Frauen betrieben wird, den Namen Sklaverei verdient. Deutschland nimmt hier eine traurige Spitzenstellung ein. Folglich haben wir auch heute davon zu sprechen, dass Sklaverei auch bei uns alltäglich ist. Soweit, wenn auch verkürzt, der sozialgeschichtliche Zusammenhang, vor dem ich die Frage stelle: Kennen Sie eine Zwangsprostituierte als Gemeindeleiterin?

Nun haben wir dabei nicht eine Gemeinde vor Augen, die sich sonntags in wertvollen historischen Gebäuden trifft, nicht einmal die Gemeinde im modernen, ökumenisch genutzten Gemeindehaus. Die urchristliche Gemeinde in Philippi war eher eine Gebetsgemeinschaft, die sich draußen vor der Stadt in einer Baracke traf, ähnlich wie es heute die Leute der ‚Exerzitien auf der Straße’ tun. Es geht nicht darum, das eine gegen das andere zu stellen; es geht nicht um besser oder weniger gut. Ich gehe ausgesprochen gern in unsere neu renovierte Dorfkirche, ein geistvoller Ort, und ich habe großen Respekt vor dem immensen Engagement hunderter von Freiwilligen, die an vielen Orten ihre Gemeindekirchen mit gebaut und finanziert haben. Ich kenne eben auch das andere, hier in Deutschland, nicht irgendwo weit weg, und weise damit auf die Vielfalt von Gemeinden auch bei uns hier und heute hin. Es versteht sich von selbst, dass bei diesem Bild von Gemeinde, das auch die Gebetsgemeinschaft in einer Baracke am Stadtrand einschließt, hierarchische Fragen als zweitrangig ausgeklammert werden. Aufgaben wie Gemeindeleitung wurden zur Zeit der Urgemeinden als Funktion und nicht als Hierarchie wahrgenommen.

Vor diesem Hintergrund nähern wir uns der Spannkraft unseres christlichen Bekenntnisses: „Der Gekreuzigte, Jesus, ist Christus, der Herr.“ Dieses Bekenntnis verbindet uns mit den urchristlichen Gemeinden. Wie haben Sklaven damals den heutigen Lesungstext gehört und gesprochen? Und wie hören und sprechen heute zum Beispiel Zwangsprostituierte diesen Text? Menschen, an Leib und Seele geschändet, weil andere daran verdienen. Der Sklaventod Jesu am Kreuz ist Ausdruck der Solidarität Gottes. In der tiefsten Demütigung bleibt Frau, oder Mann, geliebtes Kind Gottes. „Gott der Herr wird mir helfen, darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate. Er, der mich freispricht, ist nahe, wer wagt es mit mir zu streiten?“, so lesen wir im 50. Kapitel bei Jesaja, Verse 7 und 8. Diese Worte werden mit dem Bekenntnis: „Der Gekreuzigte ist der Herr“, bekräftigt.

Können wir die Liebe, die Gott, die Lebendige, im Sklaventod Jesu zum Ausdruck bringt, erfassen? Jeder Schmerz und jede Verzweiflung hat darin Platz; auch Wut, Entsetzen, Sprachlosigkeit, Ohnmacht, Ekel, Verwirrung, Leere. Eine Liebe, die nicht anders kann, als sich selbst in einen Leidenden zu verwandeln. Vielleicht die einzige Art, die Gedemütigten tröstend zu erreichen, ohne sie noch kleiner zu machen. Und eine Liebe, die zum Hinsehen zwingt. Die Liebe Gottes, die sich im Sklaventod vollzieht, wird zum Protest gegen die Gewalt derer, die andere demütigen, um sich Vorrechte zu verschaffen. Hinschauen, Zeuginnen und Zeugen sein. Halten wir dieser Spannung stand?

Am Palmsonntag ist jedes Jahr die Passionsgeschichte zu hören. Wir Christen sind eine Erzählgemeinschaft. Menschsein entwickelt sich in der Zugehörigkeit zu einer bestimmtem Gemeinschaft. Ob die Passion Jesu als singuläres Ereignis geschildert, oder als tiefster Ausdruck der Solidarität Gottes mit gedemütigten Menschen erzählt wird, macht einen Unterschied.

Ich bin überzeugt, die Menschen, die bei Jesus am Kreuz standen, waren dieselben, die Jesus beim Einzug in Jerusalem ihre Kleider zu Füßen legten. Ich schließe mich nicht der Sichtweise an, die da sagt: zuerst jubeln sie Hosianna und dann rufen sie ans Kreuz mit ihm. Diese Sichtweise hat die falschen im Fokus. Wie gegen Jesus, der sich in kein Schema pressen lässt und sich einfach nicht an Sachzwänge anpassen will, vorzugehen sei, darüber herrscht stillschweigendes Einvernehmen in exklusiven Kreisen. Die Menschen am Palmsonntag erwarten keine Sensation, sie begrüßen einen Freund. Gedemütigte Menschen, die sich an Jesus, der greifbar gewordenen Liebe Gottes, freuen. Menschen, die wissen, dass ihr Fest nicht von Dauer sein wird. Ihre Erfahrung lehrt sie: es sind nur geduldete Momente der Unterbrechung. Schon anderntags werden die Seilschaften der Mächtigen wieder die Oberhand haben. Gleichwohl sind diese Momente Wirklichkeit. Gedemütigte Menschen, erinnert an ihre Würde, schöpfen Mut und Hoffnung. Sie bleiben beim Kreuz stehen. Das Bekenntnis der frühen Kirche:“Der Gekreuzigte, Jesus Christus, ist der Herr“, richtet auf. Auch heute. Auch hier. Auch uns. Amen.

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3 Antworten auf Maximale Spannweite – Palmsonntag Lesejahr A

  1. Kähny sagt:

    ER hat s i e zur Zwangsprostituierten gemacht, damit w i r s i e zur Gemeindeleiterin,zur apostola apostolarum bestellen…

    ER kommt nackt und halbtot bei Lampedusa an Land, damit w i r IHM aus unseren verfallen(d)en Kloster-und Kirchenimmobilien “ Hütten bauen…!“ „.

    Der solidarische Gott trifft,wie vor 2000 Jahren,auf von klerikaler „Otternbrut,Natterngezücht und Selbstgerechtigkeit “ verseuchtes Weideland- mit Herden,die zu 95 % ihren Hirten nicht kennen und den Wölfen ausgesetzt sind.

  2. W. sagt:

    Sowohl der Predigt, wie dem Zusatz von Herrn Kähny kann ich voll zustimmen und Danke sagen.In der Predigt hat mir besonders gefallen: „Aufgaben wie Gemeindeleitung wurden zur Zeit der Urgemeinden als Funktion und nicht als Hierarchie wahrgenommen.“ Wenn wir dazu zurückfänden, würde sich die Hierarchie bald überlebt haben. Viele Verletzungen und viele pseudodogmatische Argumentationen hinsichtlich der Ämterfrage würden ebenfalls in unsere Kirche verschwinden. Für Papst Franziskus wäre es durchaus möglich, dass eine ehemalige Prostituierte Gemeindeleiterin würde.

  3. lydia sagt:

    Vielen Dank für diese Auslegung der Philipperhymnus; sie ist voller Spannkraft und zukunftsweisender Gedanken.
    schön!

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